Die Türkei hat zurzeit mit Terrorangriffen aus drei verschiedenen Quellen zu kämpfen. Es gibt die kurdische PKK, die seit 2014 erneut auf Kriegsfuss mit der türkischen Armee und den Sicherheitsdiensten steht. Ihre Aktivisten sind Ziele türkischer Luftangriffe sowohl innerhalb der türkischen Grenzen in den Bergen des Südostens der Türkei wie auch jenseits dieser Grenzen in den Bergen des irakischen Kurdengebietes.
Die Taktik der PKK
Nach den türkischen Angaben haben diese Angriffe, die immer weiter andauern, Hunderten von PKK-Kämpfen das Leben gekostet. Die PKK selbst gibt keine Verlustzahlen preis. Sie antwortet jedoch auf die Luftangriffe mit Überraschungschlägen, „Terrorangriffen“ in der Sicht der türkischen Behörden, gegen türkische Militärs und Polizisten aller Art, wo immer sie diese erreichen kann, auch innerhalb der grossen Städte, wie etwa im vergangenen Februar in Ankara mit 28 meist militärischen Todesopfern.
Die kurdischen „Freiheitsfalken“
Es gibt zweitens auch eine weitere kurdische Organisation mehr schattenhafter Natur, die „kurdischen Freiheitsfalken“. Sie ist weniger wählerisch als die PKK in der Selektion ihrer Opfer. Sie nimmt nicht nur militärische und Polizeikräfte aufs Korn, sondern geht auch terroristisch gegen zivile Personen und Gruppen mit Bombenanschlägen vor. Wobei ihr Ziel zu sein scheint, den türkischen Staat zu schädigen und Unsicherheit zu verbreiten, mit Vorliebe in touristischen Zonen, wie am 12.Januar 2016 in Istanbul mit dem Tod von 10 deutschen Touristen. Später, am 19.März nochmals auch in Istanbul mit 4 Toten und 36 Verwundeten. Diesmal möglicherweise durch den IS.
Inwieweit und wie genau die „Falken“ mit der PKK zusammenhängen ist unklar und umstritten. Die türkischen Propagandisten machen keinen Unterschied zwischen den beiden Formationen, und manche der offiziellen Stellen behaupten, die „Falken“ seien nur eine Front für die PKK. Sie dienten dazu, den Umstand zu verschleiern, dass die Kurden nicht nur gegen militärische Kräfte, sondern auch gegen Zivilisten vorgehen, um unter ihnen Terror zu verbreiten.
IS – von geduldet zum Feind
Die Dritte Kraft ist der IS, der ohne Zweifel ebenfalls in der Türkei mit Anschlägen aktiv geworden ist. Dies war nicht immer der Fall. Es gab Jahre der heimlichen Zusammenarbeit zwischen den türkischen Geheimdiensten und dem IS, die zu einer gewissen Duldung – im Zeichen der gemeinsamen Feindschaft gegen das Asad- Regime – für die nicht militärischen Aktivitäten des „Kalifates“ auf türkischem Boden führte. Nachschub an Kriegsmaterial und die Durchreise von Aktivisten aus dem Ausland nach Syrien durch die Türkei wurden „übersehen“. Im Gegenzug wurde der IS nicht aktiv in der Türkei – ausser dadurch, dass er dort heimliche Schläferzellen einrichtete.
Doch diese informelle Koexistenz ging allmählich zu Ende, teils wohl durch amerikanischen Druck hinter den Kulissen, teils aber auch weil der IS gegen die Kurden aktiv wurde. Dies zuerst innerhalb Syriens in der Grenzstadt Kobane, wo sich Monate lang, vom September 2013 bis zum Februar 2014, schwere Kämpfe abwickelten, später, am 20. Juli 2015, über die Grenze hinweg in Suruç mit einem Grossanschlag auf türkische Aktivisten, die Kobane beim Wiederaufbau helfen wollten, und dann zu weiteren Anschlägen in der südlichen Türkei wie auch in Ankara und in Istanbul.
IS-Terror gegen die Tourismusindustrie
Der IS zwang dadurch die türkischen Behörden, ihre Haltung zu ändern, die Grenzen nach Syrien dichter zu schliessen und aktiv nach Zellen und Schläferzellen der Terroristen des IS innerhalb der Türkei zu forschen.
Das „Kalifat“ wurde so aus einer inoffiziell geduldeten zu einer als Landesfeind eingestuften Macht für die Türkei. Es verhält sich nun auch demgemäss und setzt seine Selbstmordbomber rücksichtslos dort ein, wo es den türkischen Staat am meisten schädigt. Dies ist der Bereich des Tourismus. Der Tourismus war im vergangenen April gegenüber dem Vorjahr um 28 Prozent zurückgegangen und droht nun nach dem Anschlag auf den Flughafen von Istanbul noch weitere Rückschläge für die kritische Sommersaison zu erleiden.
Erdogans neuer aussenpolitischer Versöhnungskurs
Im Versuch, die Fehler der letzten Jahre nach Möglichkeit zu korrigieren, hat die türkische Regierung nun Schritte getan, um sich sowohl mit Russland wie auch mit Israel auszusöhnen. Der Streit mit Moskau geht auf den Abschuss eines russischen Kriegsflugzeugs an oder jenseits der türkisch-syrischen Grenze vom April 2014 zurück, bei dem ein Pilot sein Leben verlor. Unter anderen Vergeltungsmassnahmen wurde darauf der russische Tourismus nach der Türkei gestoppt.
Nun hat Erdogan, wie die russischen Medien berichteten, sich bei Putin für den Abschuss „entschuldigt“. Von türkischer Seite war nur zu vernehmen, er habe mit Putin telephoniert. Der türkische Ministerpräsident, Binali Yildirim, hat erklärt, wenn es sein müsse, sei die Türkei bereit, Kompensationen für den Abschuss zu entrichten.
Reparierter Bruch mit Israel
Mit Israel war der Bruch, der nun geheilt wurde, schon älter. Er ging zurück auf die Erstürmung durch israelische Sondertruppen des türkischen Hilfsschiffs Mavi Marmara, das Gaza trotz der israelischen Seesperre Hilfsgüter bringen sollte, am 30.Mai 2010, wobei ein Israeli und neun türkische Aktivisten ihr Leben verloren. Dies hatte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen geführt, die nun wiederhergestellt werden sollen.
Die Verhandlungen über die Wiederaufnahme hatten Monate lang gedauert. Die Türkei hatte versucht, als Gegenleistung die Aufhebung der Gaza-Sperre zu erreichen, doch schliesslich musste sie sich mit der geringeren Konzession einer türkischen Hilfssendung für Gaza via Ashdod (Israel) unter Aufrechterhaltung der Sperre begnügen. Israel bezahlt Kompensation für die Todesopfer.
Ministerpräsident Netanyahu erklärte die Wiederaufnahme zu einem grossen Erfolg, weil sie mithelfen werde, die schwierigen Verhandlungen über die Erdgasvorkommen am Ostrand des Mittelmeers voranzubringen. Wie weit die Türkei dabei wird mithelfen können und wollen, bleibt allerdings abzuwarten. Neben ihr sind auch Libanon, Syrien, Zypern (die dortigen Griechen und Türken) Israel und Gaza an diesen Vorkommen interessiert.
Zurück zu „null Probleme“ mit den Nachbarn
Die Widerherstellung der Beziehungen zu beiden Staaten, Russland und Israel, kann als ein Versuch der Türkei gesehen werden, zu ihrer Aussenpolitik früherer und besserer Zeiten zurückzukehren, die formuliert worden war: „null Probleme mit allen Nachbarn“. Damals, vor 2011, war allerdings unter diesen Nachbarn an erster Stelle Syrien gestanden, das Syrien von Baschar al-Asad.
Doch null Probleme mit Syrien sind heute unmöglich geworden, weil Syrien selbst voller explosiver Probleme steckt. Sie drohen ständig, sich auf alle Nachbarn Syriens auszudehen, von der Türkei mit den Millionen von Flüchtlingen, zu Libanon mit soeben gemeldeten Selbstmord- Bombenanschlägen in Qaa, einem teilweise christlichen Dorf in der Bekaa, nah an der syrischen Grenze, und bis Jordanien mit seinen durch Selbstmordkommandos aus Syrien und aus dem Irak gefährdeten Wüstengrenzen.
Späte Einsicht in Ankara
Angesichts der Gefährdung durch drei Quellen der Terroranschläge in der Türkei kann man annehmen, dass die dortige Regierung nun zu der späten Einsicht gekommen ist, dass Versöhnung mit jenen Nachbarn, mit denen eine Aussöhnung möglich ist, für das Wohlbefinden der Türkei eine Notwendigkeit darstellt.