Zunächst einmal das Zitat in voller Schönheit aus einem Interview Gabriels mit dem «Deutschlandfunk» vom 12. August: «... es gibt in Deutschland den Paragraphen 370 der Abgabenordnung. Da steht drin, dass, wenn man bandenmässig Steuern hinterzieht - eine Bande ist, wenn es mehr als zwei oder drei Leute sind, das ist eine Bande juristisch - dass man dann mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann. Das ist ein schwerer Straftatbestand. Hier reden wir über organisierte Kriminalität in Schweizer Banken in Deutschland.»
Immerhin sagt Gabriel im Interview auch, allerdings nicht darauf bezogen: «Na ja, alle Leute verplappern sich mal, das ist mir auch schon passiert.»
Angeblich, angeblich, angeblich
Worauf stützt sich da der Vorsitzende der SPD? Darauf, dass ein deutsches Bundesland angeblich Daten-CDs gekauft hat, auf denen angeblich UBS-Kontodaten von deutschen Steuerhinterziehern sowie angeblich dementsprechende Schulungsvideos für Bankmitarbeiter und angeblich «Papierspuren» sein sollen, die eine teilweise Weiterleitung von Schwarzgeldern nach Singapur vermuten lassen.
Reicht das, um von «organisierter Kriminalität in Schweizer Banken» zu reden? Nun, Gabriels parlamentarische Immunität als Mitglied des deutschen Bundestags dürfte ihn zumindest vor Verleumdungsklagen schützen.
Die Fassade
Solche und ähnliche Aussagen sind Teil eines innenpolitischen Schauringens, das mehr mit Deutschland als der Schweiz zu tun hat. In der SPD ist der Nahkampf um den nächsten Kanzlerkandidaten ausgebrochen, Deutschland rast mitsamt der Euro-Zone dem Abgrund entgegen, der deutsche Staat ist unerträglich verschuldet und in Euro-Haftungen eingebunden. All das steigert logischerweise die Gier nach Steuersubstrat. Verfolgung von Steuerhinterziehern in der Schweiz bietet sich da natürlich eher an als die Bekämpfung von Schwarzarbeit in Deutschland selbst; diese Schattenwirtschaft macht schätzungsweise rund 15 Prozent des BIP aus.
Der Hintergrund
Innerhalb der EU, genauso wie innerhalb der USA, können Schwarzgelder nach wie vor mindestens so einfach wie in der Schweiz versteckt werden. Das exkulpiert die Schweizer Finanzdienstleister natürlich nicht, legt aber die Frage nahe, wieso sich die Debatte dermassen auf die Eidgenossen konzentriert. Die Antwort ist einfach: Im Krieg zwischen konkurrenzierenden Finanzplätzen bietet sich die Schweiz als Prügelknabe geradezu an. Sie ist keine Weltmacht. Das gilt allerdings auch für Singapur, Panama oder karibische Steueroasen. Also muss es da noch einen zweiten Faktor geben.
Schwäche provoziert Stärke
Um Missverständnisse zu vermeiden: Keinesfalls sollen hier allfällige Rechtsverstösse Schweizer Banken im Ausland verteidigt werden. Aber zwei Aspekte wirken fatal für die Schweiz: Die scheibchenweise Aufgabe der Schweizer Rechtssouveränität, also des grundlegenden Prinzips, dass in der Schweiz Schweizer Gesetze gelten, alles andere regeln zwischenstaatliche Abkommen. Und das Nachgeben gegen Rechtsimperialismus, also das Einknicken gegen ausländische Anmassung, fremde Gesetze auch in der Schweiz zu exekutieren.
Der Bankenplatz Schweiz ist nicht das Fundament des Landes. Der Rechtsstaat hingegen schon. Wenn der Rechtsstaat in Gefahr gerät, dann ist nicht nur der Bankenplatz gefährdet.
Rechtsstaat
Wie wichtig der Kampf für Rechtsstaatlichkeit ist, sieht man exemplarisch beim aktuellen Euro-Schlamassel. Kaum eine vertragliche Bestimmung, kaum eine Vorschrift einer EU-Institution, sei das die EZB, seien das die Rettungsschirme, sei das die Verlagerung von wesentlichen Entscheidungen in unkontrollierte Dunkelkammern, bleibt dort unbeschädigt. Ohne Rücksicht auf Rechtsstaatlichkeit oder demokratische Mitbestimmungsrechte der eigentlich Betroffenen. Am Anfang dieses Weges, der ins Verderben führt, steht leider auch die Schweiz.
Willfährigkeit
Der Vorsitzende der immerhin zweitgrössten Partei und ehemaliger Minister unseres nördlichen grossen Kantons unterstellt Schweizer Banken «organisierte Kriminalität». Nicht gerade ein freundnachbarschaftlicher Umgangston. Und frei von jedem Beweis, beispielsweise in Form einer entsprechenden Verurteilung oder auch nur Anklage.
Damit hat Gabriel sich sicherlich und wohlverdient eine massive Antwort von Schweizer Seite eingehandelt. Die ihm zumindest klar macht, dass er sich wieder «verplappert» hat. So ähnlich wie als sein Parteikollege und Krawallist Steinbrück die Kavallerie ausreiten lassen wollte. Aber da ist bislang Schweigen im Walde. Unverständliche Unterwürfigkeit. Weinerliche Willfährigkeit. Statt ein klarer Verweis auf Schweizer Rechtssouveränität und die Spielregeln bei Anschuldigungen dieses Kalibers in einem Rechtsstaat. Unvorstellbar, eigentlich.