„Wenn der Suezkanal unsere Hintertür zum Osten ist, so ist er auch die Eingangstür zu Europa. (...) Tatsächlich ist der Kanal die Pendeltür des britischen Empires, welche sich ständig drehen muss, wenn unsere Kommunikationswege so funktionieren, wie sie sollten.“
Der Abgeordnete Anthony Eden am 23. Dezember 1929 im britischen Unterhaus
Grossbritanniens Premierminister Sir Anthony Eden war erbost, erbost über den ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, der es im Jahre 1952 gewagt hatte, zusammen mit einigen anderen Offizieren den englandtreuen König Farouk zu stürzen und ins römische Exil zu schicken, und der, ein noch grösserer politischer Affront gegen die taumelnde Weltmacht England, zudem im Juli 1956 die Frechheit besessen hatte, den in britisch-französischem Besitz befindlichen Suezkanal zu verstaatlichen.
„Ich wünsche ihn ermordet“
Als einer von Edens Mitarbeitern im März 1956, also schon vor der Verstaatlichung des Kanals, Pläne ausarbeitete, den Einfluss Nassers in der Region eher auf sanfte Weise zu begrenzen, erhielt er einen Anruf eines erbosten Eden: „Was soll“, rief Eden ins Telefon, „all dieser Unsinn, Nasser zu isolieren oder ihn zu neutralisieren, wie Sie es nennen? Ich wünsche ihn ermordet, können Sie das nicht verstehen?“ Und dann, nach einigen Diskussionen mit dem Mitarbeiter: „Ich wünsche keine Alternative. Und ich schere mich nicht darum, wenn es Anarchie und Chaos in Ägypten gibt.“
Diese politische Stimmungslage des Führers eines im Niedergang befindlichen Empire kam einem anderen Partner der Invasion gerade recht. Das gerade einmal acht Jahre alte Israel sah sich von arabischen Staaten umzingelt, von Nassers panarabischer Rhetorik ideologisch bedroht und enerviert von ständigen militärischen Scharmützeln mit arabischen Guerillakämpfern. Was lag da näher aus israelischer Sicht, als die Gelegenheit zu nutzen, militärisch zu intervenieren und dem grössten arabischen Land, Ägypten, einen Schlag zu versetzen, von dem es sich lange nicht erholen werde?
Furcht vor einem neuen Saladin
Ein persönliches Argument sei zudem entscheidend gewesen, schreibt die Historikerin Alex Tunzelmann. Im Jahre 1956 sei Israels Premier David Ben Gurion bereits 76 Jahre alt gewesen. Und da sei in Gestalt des ägyptischen Führers Nasser (damals 38 Jahre alt) plötzlich ein junger, dynamischer, charismatischer arabischer Führer auf der politischen Szene erschienen, der womöglich in der Lage sei, die gesamte arabische Welt gegen Israel zu vereinigen. Ben Gurion sei soweit gegangen, Nasser mit Salah Ed Din (Saladin) zu vergleichen, der Jerusalem im Jahre 1187 von den Kreuzrittern befreit hatte.
Es sei also Zeit, habe der alte Ben Gurion gefühlt, den arabischen Hoffnungsträger Nasser zu besiegen, solange er, Ben Gurion, noch dazu in der Lage sei. Und schliesslich: dass sich das nur acht Jahre alte Israel plötzlich an der Seite zweier führender Grossmächte – Grossbritannien und Frankreich – sah, war wohl zusätzlich Motivation, sich dem Komplott gegen das grösste arabische Land anzuschliessen.
Zerfallende Imperien
Der Dritte im Bunde, Frankreich, zeigte sich als williger Partner. Nachdem es im Jahre 1954 in Dien Bien Phu gegen die Vietnamesen militärisch und politisch untergegangen war, wollte die ebenfalls ums Überleben kämpfende Kolonialmacht wenigstens Algerien, wo sich arabische Muslime gegen französische Kolonisten wehrten, in seinem Besitz halten. Weil Nasser die algerischen Aufständischen mit seiner Rhetorik und vor allem auch mit Waffen unterstützte, galt der ägyptische Führer auch in Paris als politischer Feind, den man mit einem Regimewechsel beseitigen musste.
In der folgenden Propagandaoffensive operierten die Kriegsplaner mit harten Bandagen. In London galt Nasser als der „Hitler vom Nil“, in Paris war man kaum zimperlicher und schalt den arabischen Führer als „Mussolini vom Nil“. Manche von seinen Anhängern hofften dagegen, Nasser werde ein arabischer Kemal Atatürk, der einen modernen arabischen Staat gründen könne.
Dermassen rhetorisch motiviert, trafen sich der französische Premier Guy Mollet, Sir Anthony Eden und David Ben Gurion vom 22. bis zum 24. Oktober 1956 im fast schon als notorisch zu nennenden Pariser Vorort Sèvres. Dort hatten 1920 die Alliierten des Ersten Weltkriegs zusammen mit Griechenland das türkische Festland, mithin das osmanische Kernland, unter sich aufgeteilt. Nie wieder, lautete damals das Ziel, sollte es einen kompakten türkischen Staat geben. Kemal Atatürk hatte diese Pläne dann allerdings militärisch durchkreuzt und war so zum Gründer der modernen Türkei geworden.
Allzu durchsichtige Machenschaften
Nun, sechsunddreissig Jahre später, sassen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges abermals in Sèvres zusammen, diesmal vereint mit der neuen nahöstlichen Kolonialmacht Israel. Ganz konkret plante man, wie der Störenfried Nasser zu beseitigen und der Suezkanal wieder in koloniale Hände zu bringen (später zu „internationalisieren“) sei.
Auf israelischer Seite mit von der Partie: der spätere Friedensnobelpreisträger Shimon Peres sowie Verteidigungsminister Moshe Dajan.
Politisches Aperçu am Rande: Einen Tag bevor sich Ben Gurion, Guy Mollet und Anthony Eden in Sèvres trafen, hatten die Franzosen ein Flugzeug mit dem algerischen Rebellenführer Ahmed Ben Bella gekapert und Ben Bella verhaftet.
Der Invasionsplan von Sèvres glich einer dürftigen politischen Trickkiste – durchsichtig und das Zusammenspiel der drei Verschwörer kaum verhüllend. Israel sollte in Richtung Suezkanal vorstossen, dann sollten England und Frankreich diesen Vorstoss verurteilen, danach schliesslich sollte dem ägyptischen Botschafter in London ein auf zwölf Stunden befristetes Ultimatum übergeben werden, in welchem der Rückzug der ägyptischen Truppen von der Kanalzone gefordert wurde.
USA spielen nicht mit
All das geschah am 29. Oktober 1956. Natürlich lehnte Nasser die Rückzugsforderung ab. Darüber hinaus hatte man von ihm die Zustimmung zur vorübergehenden alliierten Besetzung der Städte Port Said, Suez und Ismailia verlangt. Israel besetzte den Gazastreifen und die Halbinsel Sinai. Mit von der Partie: Ariel Sharon, der sich in zwei Tagen mit der Fallschirmjägerbrigade 202 bis zum strategisch wichtigen Mitlapass auf dem Sinai durchschlug. Am 31. Oktober begannen Grossbritannien und Frankreich mit der Bombardierung ägyptischer Flughäfen.
Der Militärmacht der Dreierallianz hatte Ägypten nichts entgegenzusetzen. Der arabische Revolutionsheld Nasser schien verloren. Israel besetzte den Gazastreifen und die Halbinsel Sinai.
Doch dann nahmen die Dinge eine unerwartete Wende. Besonders Eden hatte erwartet, dass seine politischen Verschwörungspläne, wenn nicht auf Zustimmung, so doch auf Tolerierung des amerikanischen Präsidenten Dwight Dean Eisenhower treffen würden. Doch diese voreilige Annahme erwies sich als fatale Fehlkalkulation. Zunächst erklärte US-Aussenminister John Foster Dulles, solange die Schifffahrt im Suezkanal nicht beeinträchtigt werde und keine Ausländer zu Schaden kämen, gebe es für die USA keinerlei Grund zu politischer oder gar militärischer Unterstützung der anglo-französisch-israelischen Invasion.
Russische und amerikanische Unterstützung
Doch der Kanal funktionierte weiter. Zwar hatten die meisten ausländischen Lotsen, welche die Schiffe durch den Kanal bugsierten, das Land verlassen. Doch die Ersatzleute, unter ihnen auch Russen, waren ihrer Aufgabe durchaus gewachsen. Auch als England auf jeder Seite des Kanals fünfzig Schiffe auflaufen liess, um den Kanal zu blockieren und damit Ägypten der Unfähigkeit zu überführen, konnten die neuen Lotsen die Lage meistern. Zum Dank zeichnete Nasser sie später mit einem hohen Orden aus.
Nasser konnte nicht nur auf diese technische Unterstützung zählen. Er bekam auch Hilfe von der anderen Seite des Atlantiks – und zwar nicht nur von Dulles, sondern auch vom Präsidenten höchstpersönlich. Eisenhower nämlich stand weder politisch noch ideologisch auf der Seite der Invasoren. Er hatte seine eigene Meinung über Nasser. Und diese deckte sich weder mit jener von Franzosen und Briten noch mit jener Israels. „Nasser verkörpert“, zitiert Alex Tunzelmann die Einstellung Eisenhowers, „die emotionalen Forderungen der Menschen der Region nach Unabhängigkeit und den Wunsch, den weissen Mann zu schlagen.“
Ungelegener Ungarnaufstand
Die amerikanische Zurückhaltung, die einer Ablehnung politischer und militärischer Unterstützung gleichkam, bedeutete fast schon das politische Scheitern der Invasion. Dazu kam ein Ereignis, das keiner der Beteiligten hatte vorhersehen können. Am 23. Oktober begann der ungarische Volksaufstand gegen die sowjetische Besatzung, am 1. November 1956 griff die Rote Armee ein und warf den Aufstand nieder. Radio Free Europe hatte den ungarischen Rebellen zwar militärische Hilfe versprochen, aber in Washington dachte niemand an eine solche Option. Einerseits hätte sie einen Krieg mit der Sowjetunion bedeutet.
Und andererseits? Andererseits war es für die USA politisch und moralisch absolut unmöglich, das sowjetische Eingreifen in Ungarn zu verdammen, während westliche Mächte im Nahen Osten am Suezkanal intervenierten und versuchten, mit Nasser ein gewähltes Staatsoberhaupt abzusetzen.
Konsequenterweise stellte die Dreierallianz am 6. November die Kampfhandlungen ein. So hatten Eden, Mollet und besonders Ben Gurion trotz ihres militärischen Sieges politisch und auch moralisch verloren. Und so konnte Nasser zum strahlenden Helden der arabischen Welt aufsteigen. Anfang März 1957 verliessen die letzten israelischen Truppen Ägypten. Die USA gewannen an Prestige in der arabischen Welt. Denn sie hatten ihre Verbündeten England, Frankreich und Israel in einem entscheidenden Moment fallen gelassen.
Fatale Eisenhower-Doktrin
Doch die Euphorie dauerte nicht lange. Im Januar 1957 erliess Eisenhower eine Richtlinie, Eisenhower-Doktrin genannt, der zufolge die USA jede nahöstliche Macht verteidigen würden, welche vom „internationalen Kommunismus“ angegriffen wurde. Politiker der Region waren entsetzt: Schon wieder drohte eine westliche Intervention in der Region. – Der CIA-Agent Copeland erklärte später, die Formulierung der Eisenhower-Doktrin sei einer der grössten Fehler gewesen, welche die USA in der Region gemacht hätten.
Schliesslich: Israel hat das diplomatische Desaster von 1956 nie vergessen. Seine führenden Politiker sannen fortan darauf, Nasser, den politischen Star der arabischen Welt, zu demontieren. Die Gelegenheit kam 1967, als Israel – völkerrechtswidrig – einen Präventivkrieg gegen Ägypten und Syrien führte und das grösste arabische Land und dessen Führer im Sechs-Tage-Krieg militärisch und politisch demütigte.
Nasser trat zurück, machte diesen Schritt aber nach heftigen Sympathiedemonstrationen der Bevölkerung rückgängig. Doch seine politische Macht war gebrochen. Nasser starb 1970. Israel besetzte das Westjordanland, der Siedlungsbau begann. Auch fast ein halbes Jahrhundert nach dem Krieg von 1967 ist kein Ende der Besetzung zu erkennen.
Benutzte Quellen: Alex von Tunzelmann: Blood and Sand – Suez, Hungary and Eisenhowers Campaign for Peace, erschienen 2016; Keith Kyle: Suez, Britains End of Empire in the Middle East, erneuerte Auflage 2003; Barry Turner: Suez 1956, erschienen 2006.