Dass der Junge sie eine „blöde Kuh“ und „dumme Sau“ nenne, sei sie gewohnt, auch „fick dich“. Seit er aber mit jener Frau lebe, habe er sich allzu sehr distanziert, habe sie aus dem Auto geworfen und weggeschickt. „Was habe ich ihm denn getan?“, fragt Cornelia ihre Vertraute. Auch zu ihrem Geburtstag wolle er auch nicht kommen. „Lass ihn“, rät die ebenfalls sehr gepflegte Verwandte, "gib ihm etwas Luft zu Atmen, du nervst ihn und machst dich damit selber fertig." Cornelia, eine erfolgreiche Architektin, hört kaum zu.
Tout-Bukarest und eine gemeinsame Putzfrau
Zu ihrem Geburtstag erscheint Tout-Bukarest mit Pelzen und Perlen, Anzügen und Scherzen, auch der entfremdete Ehemann Relu, ein angesehener Chirurg, ist angetreten. Die Abwesenheit des Sohns Barbu wird mit falschen Erklärungen überspielt.
Ein unerwarteter Schnitt führt in Cornelias Wohnung zurück, hier tönt der Staubsaugermotor, die Putzfrau putzt jeweils auch beim Sohn und dessen Partnerin Carmen. Cornelia quetscht sie aus: wenn also bei denen das Kinderbett steht, wo das Sofa war, wo ist denn das Büro? Und diese Partnerin, sie wird doch nicht weniger unordentlich geworden sein? Und: Du putzest doch den Nachttisch: was liest er denn?
Zusammenhalt durch Lüge und Korruption
Endlich ergibt sich für die Mutter die Gelegenheit, wieder die volle Kontrolle über den Sohn zu übernehmen: Barbu hat ein Kind überfahren, das Kind ist tot. Ob er zu schnell gefahren sein, ob er getrunken haben könnte?
Sofort beginnt die Mutter mit dem Vertuschungswerk – wie eine Flucht ins Netz wirkt ihr hektisches Telefonieren, der Ehemann wird vom Operieren wegbeordert, der schwer schockierte Sohn in die mütterliche Wohnung geholt und mit Beruhigungsmitteln lahmgelegt, der Schlüssel zu seiner Wohnung endlich ergattert .
Alle Hebel werden in Bewegung gesetzt, um sicherzustellen, dass Barbu kein Fehler nachgewiesen werde. Penetrativ und rücksichtslos diktiert „Neli“ der Polizei, was zu schreiben und zu tun sei, man scheut zu dem Zwecke weder Lügen noch Bestechungskosten. Und alle schwenken ein, nur eine jüngere Polizistin bleibt, freilich ohne Wirkung, auf ihrem Posten, was die Mutter als „unkooperativ“ bezeichnet. Cornelia hängt an ihrem Handy auch während sie sich in demselben Raum befindet, in welchem die dem sogenannt einfachen Volk angehörige Familie des 14-jährigen toten Buben trauert.
Die Beziehungsunfähigkeit der Macht
Im Laufe des Films wird klar, dass Cornelia gar nicht anders kann. Ihre Unfähigkeit, gedeihliche Arten von Austausch zu pflegen, betrifft nicht nur ihren Sohn, von dessen Zuneigung sie in ihrem Beziehungsnotstand abhängig ist wie von einer Droge. Nur Macht- und Ohnmachtsbeziehungen scheinen ihr als Kontaktmöglichkeiten überhaupt zur Verfügung zu stehen.
Ausserhalb des Macht-Kontextes wirkt sie gänzlich unbeholfen, kann wie ihre Frisur zerfallen, ohnmächtig und verloren aussehen, ein wenig liebenswürdiges, verlassenes grosses Kind, das viel redet, aber sprachlos bleibt.
„Mama, lass mich raus“
Barbu, der 34-jährige Sohn, den Cornelia immer das „Kind“ oder den „Jungen“ nennt, leidet. Er möchte nicht das Ein und Alles seiner Mutter bleiben. Schwach, abhängig, in chronifizierter Adoleszenz befangen hasst er sie für ihre Abhängigkeit von ihm, die Ansteckungsphobie, die er entwickelt hat, kann ihm die nötige Distanz auch nicht schaffen. Als ihr Kind aber liebt er sie aber und als erwachsener Mann achtet er den Menschen in der korrupten, egozentrischen, rücksichtslosen, elenden Frau.
In einem Gespräch unter vier Augen bittet er sie, ihn nicht mehr anzurufen, sondern zu warten, bis er sie aus eigenem Impuls anrufe. Er redet ruhig und freundlich zu ihr, er weiss, sie ist schwer von zwischenmenschlichem Begriff. Wenn sie ihm Raum lasse, entstehe vielleicht etwas wie eine Beziehung zwischen ihnen. Andere Leute hätten ein normales Verhältnis zu ihrem Kind, sie solle sich doch ein Substitut suchen, einen Hund, einen Geliebten, ein Hobby, zu den Pyramiden reisen. Die Mutter, unter Stress, mobilisiert Verständnislosigkeit: "Wie - mich ändern? Was habe ich denn falsch gemacht?" - „Mama, lass mich raus“, ist im Film Barbus letzter Satz.
Carmen, bescheidenerer Herkunft, von Cornelia in keinem Augenblick als Partnerin des Sohns anerkannt, leidet auf ihre Weise.
Wer ist da krank?
Nicht selten wirkt an Frauen pathologisch, was einen Mann als potent und führungskräftig ausweist – der Anspruch auf ungehinderte Kontrolle, Aufbau von Verfügungsmacht, penetratives Verhalten, Ego-Zentriertheit, die Fähigkeit, Gefühle abzuspalten, ständige Kampfbereitschaft. Nicht selten wirkt an Frauen unverzeihlich, was zum unschönen, womöglich strafbaren, aber doch meist als unabdingbar anerkannten Instrumentarium der Herrschaft gehört, Rücksichtslosigkeit etwa und Lüge im Dienst der jeweils eigenen Sache. Jedenfalls unsere west-europäische Wahrnehmung ist so programmiert.
Anderen scheint diese scharf geschlechtsdifferenzierende Wahrnehmung nicht so selbstverständlich zu sein. Călin Peter Netzers Mutter hat den Film ihres Sohns, der durchaus auf persönlichen Erfahrungen beruht, offenbar zunächst „als eine Hommage an sich gesehen.“ Erst als sie die Kommentare zur Erstaufführung in Berlin gelesen habe, sei sie „ein bisschen erschrocken“.
Tatsächlich arbeitet „Child’s Pose“ eher die sozialdifferenzierende Wahrnehmung heraus: die Kaputtheit der machthabenden Community gegenüber einem intakteren Rechtsempfinden, einer Fähigkeit zu Trauer und einer gedeihlicheren, vitaleren Regulation von Nähe und Distanz bei der wenig mächtigen, ärmeren Familie Angheliou, bei der untergeordneten Polizistin, im Ansatz selbst beim erstickungsgefährdeten Kind Barbu.
Ein im doppelten Sinne ausgezeichneter Film
„Child’s Pose“ ist kein Geheimtipp. Sein Regisseur Călin Peter Netzer ist bereits mit seinen früheren Filmen – „Maria“ (1997 und 2003) und „Medal of Honor“ (2009) mit Preisen und Nominierungen geehrt worden. 1975 in Rumänien geboren, 1983 mit seinen Eltern nach Deutschland ausgewandert, hat an der National University of Theatre and Cinema Art in Bukarest studiert. Und jetzt hat er für „Child’s Pose“den Goldenen Bären und den Fipresci-Preis der internationalen Filmkritik erhalten.
Tatsächlich gibt es daran viel zu bewundern. Eine sensible und präzise Regie kombiniert sich mit gutem Casting und ausgezeichneten DarstellerInnen. Die – berühmte – Hauptdarstellerin Luminiƫa Gheorghiu (Cornelia) spielt überragend. Es gelingt ihr, die Brüchigkeit und Angst einer Person auf ihr Gesicht zu bringen, die sich in allen Lebenssituationen auf nichts anderes als auf Verfügungsmacht und Reichtum verlassen kann. Sie schafft es, gleichzeitig unausstehlich und erbärmlich zu wirken. Es sei ihr nicht leichtgefallen, sich in diese Rolle zu finden, berichtet Netzer. Sie lacht dazu.
Auch die in ihrer Unauffälligkeit wichtige Nebenfigur Carmen (Ilinca Goia) beeindruckt nachhaltig. Das Buch, das Netzer zusammen mit Răzvan Rădulescu, einem gesuchten rumänischen Autor, verfasst hat, imponiert sogar in deutscher Untertitelei mit Intelligenz und Tiefe.
Ton und Schnitt spielen kunstvoll ineinander, die Kamera nimmt eine Art von ethnographischer Haltung ein, bald bleibt sie ruhig auf Gesichtern und Situationen, bald sucht sie nach Kontexten, oft scheint sie vom Eigenleben von Händen, Gesten, Handlungen angezogen.
Gerne empfiehlt man diesen im doppelten Sinn ausgezeichneten Film.
Călin Peter Netzer, „Mutter und Sohn“ (Poziția Copilului, Rumänien 2013)