Die aus einer globalen Freihandelsvergangenheit stammende Idee von möglichst viel eigenem Freihandel mit möglichst vielen Partnern weltweit hält sich in der Exportnation Schweiz speziell hartnäckig. Dabei wird die Zukunft von politisch geprägtem Wirtschaftsverkehr zwischen Blöcken bestimmt sein. Embargobruch durch Alleingänge wird immer stärker bestraft werden.
Die Schweiz, im Gegensatz zur EU, hat mit China ein Freihandelsabkommen abgeschlossen. Vor kurzem hat Bern nun in Peking den Wunsch nach einer Ausweitung hinterlegt. Ist dies nun eine Weiterführung guter helvetischer Praxis oder doch ein dem globalen handelspolitischen Zeitgeist widersprechender Missgriff? Ein Missgriff, weil erstens Handelsbeziehungen heute zwischen Blöcken geregelt werden und weil zweitens eine westliche Absetzbewegung vom immer aggressiveren China stattfindet.
China und die USA sind Gegner, aber verbunden
Hauptbeispiel der neuen Zeit ist das politisch antagonistische, wirtschaftlich aber weiterhin bedeutende Verhältnis zwischen den USA und China. Entgegen der unbedeutenden Rolle der Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Ostblock und dem freien Westen während des Kalten Krieges sind diese beiden grössten Wirtschaftsmächte der Welt teilweise eng verzahnt. Der politische Imperativ will aber, dass die gegenseitige Abhängigkeit reduziert wird. Die verbleibenden Wirtschaftsbeziehungen werden reguliert und überwacht.
Dies betrifft nicht nur die beiden Länder, sondern entfaltet auch Drittwirkungen auf zahlreiche weitere Exportnationen. Diese müssen sich vermehrt zwischen dem US-Geschäft einerseits und dem chinesischen Markt andererseits entscheiden. Sollte das chinesische Regime einen Konflikt im südchinesischen Meer oder gegen Taiwan lostreten – Chinas übertriebene Lagerhaltung von essentiellen Produkten könnten Vorbereitungen für einen solchen Krisenfall bedeuten –, würde das sehr schnell zur harten Realität.
In China für China?
Vor diese Herausforderung gestellt, versuchen westliche Wirtschaftsakteure auszuweichen. So haben etwa die Investitionen der deutschen Autoindustrie in China zugenommen. Dies im Widerspruch zu einer ausdrücklichen Mahnung von Bundeskanzler Scholz. VW verteidigt sich mit dem Argument, in China verdientes Geld werde eben auch dort investiert, um künftig Fahrzeuge für China noch vermehrt in China zu produzieren.
Betriebswirtschaftlich macht das Sinn, volkswirtschaftlich, geschweige denn politisch aber nicht. Die amerikanischen und auch die westlichen Beziehungen insgesamt mit China werden sich auch ohne aktuellen Konflikt verschlechtern, jedenfalls solange Xi Jinping seinen autoritären Unrechtsstaat weiter ausbaut. Wenn Wirtschaftsbeziehungen mit China, dann von Block zu Block: USA-China, EU-China. Nur dann hat der Westen Hebel, um chinesisches Verhalten zu beeinflussen.
Chinas Subventionsspringflut
Dies gilt auch und vor allem gegenüber der Weltmarktüberflutung mit stark subventionierten Produkten aus China, welche dort durch falsche planwirtschaftliche Anreize im Überfluss produziert werden. Dies gilt für die bekannten Beispiele: Elektroautos, Sonnenkollektoren und andere Produkte im Bereich erneuerbare Energien. In der Schweiz hat bereits etwa der an sich grundsolide Produzent Meyer Burger die Zeche bezahlt. Die EU wird ab November dieses Jahres Strafzölle auf chinesischen Elektroautos einführen.
Aber auch in anderen Produktlinien häufen sich die Beispiele. So hat etwa kürzlich die einzige Stahlschmelze in Chile, südamerikanisches Vorzeigeland für Freihandel, aufgeben müssen, machtlos angesichts von billigen Importen aus China. Auch die verbleibende Stahlproduktion in der Schweiz ist, wenn auch indirekt, von chinesischem Dumping betroffen. Dagegen hatte die EU ihrerseits neue Zollschranken erlassen, welche den europäischen Aussenseiter Schweiz ebenso treffen wie China. Was übrigens nicht der Fall wäre, hätte sich Bern damals unter das schützende Dach des EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) begeben.
Embargobrecher Schweiz
Die speziell heimtückische Bombe (Kh-101 missile) mit welcher das Regime von Putin im Januar dieses Jahres gezielt eine ukrainische Schule in Kiew mit zahlreichen Todesopfern im Kindesalter dem Erdboden gleich gemacht hat, enthielt auch einen elektronischen Bestandteil (MOS buffer with quad bus), der vom schweizerischen Unternehmen STMicroelectronics hergestellt worden war. Nun ist dies ein Bestandteil, der über einen weiten Fächer von Produkten gebraucht werden kann, zudem gelang er via Malaysia und China nach Russland. Man muss sich aber doch fragen, ob die Anwendung der schweizerischen «dual use»-Gesetzgebung (zivile und militärische Nutzung möglich) wirklich greift.
Diese wurde damals nach dem Modell internationaler Vorgaben ausgearbeitet und schien bislang zu funktionieren. Eine konstante Praxis ist wichtig sowohl für die Hersteller als auch ihre ausländischen Kunden. Indes hat das zitierte Beispiel gezeigt, dass ein offensichtlicher Vorfall die Glaubwürdigkeit der Schweiz insgesamt in Frage stellen kann. Allenfalls müssen zusätzliche Schranken eingebaut werden, um eine Weitergabe an ein von Embargo betroffenes Land, hier Russland, zu verunmöglichen.
Im zitierten Fall der russischen Bombe ist dies umso wichtiger, als die Schweiz ohnehin am Schwanz der westlichen Unterstützer der Ukraine liegt. Bekanntlich weigerte sich der Bundesrat gar, unter Berufung auf eine obskure Anwendung der Neutralität, indirekt ein paar rostige Panzer Kiew zukommen zu lassen. Ebenso zurückhaltend gibt sich Bern, was den Finanzbereich anbelangt. Ob es hier um russische Gelder in der Schweiz oder um eine ohne weiteres und verzugslos mögliche Zahlungsbilanzhilfe aus schweizerischen Reserven beim IMF (Internationaler Währungsfond) geht, werden immer neue juristische Gründe vorgeschoben, warum das eine oder andere leider nicht möglich sei.
Konsequenzen für die Schweiz
Die Schweiz ist wohl Mitglied der WTO (Welthandelsorganisation), nicht aber der EU und der Nato. Erstere tritt heute immer mehr in den Hintergrund, auch wenn die gegenwärtigen Weltwirtschaftsbeziehungen noch von WTO-Regeln bestimmt werden. Die beiden anderen geben ihren Mitgliedern einen gewissen Rückhalt im Machtspiel der Blöcke. Gewiss sind damit auch Verpflichtungen verbunden, die Bern bislang gescheut hat. Der Preis für die traditionelle Exportnation steigt aber rasch. Ob der Alleingang, sei es sicherheits- oder wirtschaftspolitisch, für das Wohl unseres Landes weiterhin die beste Lösung darstellt, ist heute zu hinterfragen.
Ebenso wie die bislang sakrosankte Praxis einer autonomen Aussenwirtschaftspolitik. Eine Neuorientierung hin zu unseren engsten Partnerländern tut not. Dies wird verbunden sein mit gewichtigen schweizerischen Leistungen in einem bislang ungewohnten Ausmass, welche der Solidarität für ein sicheres und prosperierendes Europa geschuldet sind. Die Schweiz kann und soll dies tun, auch im wohlverstandenen Eigeninteresse als europäisches Kernland.