Klebstoff-Aktionen haben sich in letzter Zeit gehäuft. Hinter ihnen stehen kleine Gruppen und Organisationen, denen es nicht schnell und gründlich genug vorangeht mit der Klimapolitik. Sie erzielen zwar Wirkung, fahren aber einen riskanten Kurs.
Sie kleben sich auf Autobahn- und andere Strassenbeläge, an Museumswände, an die Rahmen berühmter Gemälde oder auch mal ans Mobiliar eines TV-Studios. Ihre Mitkämpfer dokumentieren die Aktionen mit Handykameras und verbreiten sie sofort über die weltumspannenden elektronischen Nervenbahnen. Medienerklärungen mit Forderungen sind schon vorbereitet. Websites professioneller Machart mit Zusatzinformationen begleiten die Aktionen. Was da alle paar Tage abläuft, sind generalstabsmässig geplante Manifestationen von Aktivistengruppen mit Namen wie «Renovate Switzerland», «Last Generation», «Just Stop Oil», «Extinction Rebellion».
Ihre Aktionen stören nicht nur, sie irritieren auch. Was treibt Menschen dazu, nicht nur ihre Hände mit Sekundenkleber der Gefahr übler Hautverletzungen auszusetzen, sondern auch Opfer von Verkehrsunfällen zu werden? Weshalb riskieren sie es, die Wut der im Feierabendverkehr feststeckenden Menschen auf sich zu ziehen? Wozu die nicht eben reputationsfördernden Tabubrüche mit heiklen Manipulationen an empfindlichen Kunstwerken?
Die Sekundenkleber-Guerilla ist die Taktik kleiner Gruppen, die keine grossen Demonstrationen auf die Beine stellen können. Sie zielt auf Bereiche, in denen Störungen wehtun: neuralgische Punkte im Strassenverkehr oder Schwachstellen beim Schutz wertvoller und verletzlicher Kulturgüter. Die Aktionen enthalten zudem die unausgesprochene Drohung, es könnte da mehr passieren. Der Verkehr könnte grossflächig statt bloss punktuell lahmgelegt und im Museum könnte statt bloss der Rahmen auch mal das Gemälde mit zerstörerischem Klebstoff angefasst werden.
Dass die mit Sekundenkleber operierenden Aktivistinnen und Aktivisten nebst aller Wut und Aufregung in der Öffentlichkeit auch Sympathien finden, liegt zum einen an ihren durchwegs selbstlosen Zielen. Sie wollen eine rasch und wirkungsvoll durchgreifende Klimapolitik. Ihre Forderungen finden bei Aufgeschlossenen durchaus Verständnis. Mit ihrer Leidensbereitschaft signalisieren die Festgeklebten zudem einen unbedingten Ernst. Indem sie manchmal auch Gefahr für Leib und Leben in Kauf nehmen, zeigen sie, dass es ihnen um ein Anliegen geht, das grösser ist als sie selbst.
Den Sekundenkleber-Guerilleros und -Guerilleras wird oft vorgeworfen, mit ihrer Art zu kämpfen kontraproduktiv zu wirken. Allerdings ist ihnen zugute zu halten, dass bislang kein Fall von Lebensgefahr wegen eines durch sie blockierten Krankentransports oder Feuerwehreinsatzes bekannt geworden ist. Auch hat bis jetzt kein Kunstwerk ernsthaft Schaden genommen. Ihre Aktionen sind symbolisch, wenn auch aufsehenerregend und riskant. Letzteres allerdings macht sie für die Ziele der Aktivisten gefährlich. Denn so bald es zu einem gravierenden Schaden oder gar zu einem Todesfall käme, würde im Lager der Sympathisanten die Stimmung kippen. Man würde dann von Sabotage oder Terror reden (was in nicht sympathisierenden Kreisen zum Teil schon jetzt geschieht).
Bei alldem verdient auch die Rolle der Polizei Beachtung. Sie ist durch diese Aktionsformen vor neue Herausforderungen gestellt. Mit der Sekundenkleber-Taktik sind die Demonstrierenden zunächst mal hilflos und müssen zuerst losgemacht werden, bevor die Ordnungshüter sie wegtragen können. Angeblich greifen die Polizistinnen und Polizisten zu Sonnenblumenöl als Lösungsmittel und gehen mit Sorgfalt und Schonung vor. Das verdient – entgegen den entrüsteten Stimmen, die robustere Prozeduren fordern – ausdrückliche Anerkennung. Genau so und nicht anders soll die Polizei in einem Rechtsstaat funktionieren.
Die Sekundenkleber-Guerilla bewegt sich auf einem schmalen Grat. Nur wenn es ihr durchwegs gelingt, das Spektakel ihres Aktionismus klar in den Dienst der vernünftigen Ziele zu stellen, werden sie vermehrt auf Verständnis und Einverständnis stossen. Wenn aber auch nur eine Aktion entgleist oder wenn das Sich-Festkleben irgendwann als lästige Masche erscheint, dann wird man diese Guerilleros nur noch als Wirrköpfe oder als Extremisten wahrnehmen.