Wenn Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh dazu gebracht werden könnte, das Land auch nur vorübergehend zu verlassen, könnte der schwierige Prozess beschleunigt werden.
Schon am 6. April meldete die offizielle jemenitische Nachrichtenagentur SABA, der neue Präsident, Abdrabbo Mansour al-Hadi, habe 20 führende Offiziere der Streitkräfte von ihren Posten entfernt. Unter ihnen befinde sich der Halbbruder des bisherigen Präsidenten, General Muhammed Abdullah Saleh, welcher bisher die Luftwaffe kommandierte. Auch ein "führender Offizier" der General Ali Mohsen al-Ahmar nahe stehe, befinde sich unter den entlassenen. Die Agentur meldete auch, der Sohn des Ex-Präsidenten, Ahmed, der als Generalbrigadier die Präsidialgarde kommandiere, verbleibe auf seinem Posten.
Die beiden Hauptfeinde bleiben vorläufig
Offenbar wurde auch der Hauptgegenspieler des Präsidentensohns, der erwähnte General Ali Mohsen al-Ahmar, nicht abgesetzt, denn wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte die Agentur nicht ausdrücklich erwähnt, ein hoher Anhänger dieses Generals sei entfernt worden. Sie hätte ihn selbst genannt.
Ali Mohsen al-Ahmar war im März 2011 mit der von ihm kommandierten Tankbrigade auf die Seite der Demonstranten getreten und hatte damit den ersten und entscheidenden Schritt zur Aufspaltung der jemenitischen Streitkräfte getan,welche nun durch eine Aussöhnung überwunden werden soll.
Die Untergebenen vor den Kommandanten
Dass die beiden Hauptantagonisten, der Sohn des Ex-Präsidenten und der wichtigste abtrünnige General, auf ihren Posten verblieben, liess erkennen, dass der neue Präsident graduell vorgehen wollte, indem er zuerst die wichtigsten Gefolgsleute beider Seiten entfernte. Das geschah gewiss in der Hoffnung, dass die Führungspersonen dadurch geschwächt würden, so dass mit der Zeit auch ihre Entfernung möglich werde.
Dass der neue Präsident in der Tat vorsichtig vorgehen muss, zeigte die Folge. Gerüchte und Hintergrundberichte gingen um, nach denen die abgesetzten Generäle und Brigadiere darüber verhandelten, ob sie wirklich gehen würden. Um zurückzutreten, forderten sie, dass auch ihre Gegner abträten, politische sowie militärische Widersacher. Diese Lage zog sich hin, und die Gerüchte wurden dadurch bestätigt, das der amerikanische Botschafter in Jemen, Gerald Feinstein, am 25. April, gute zwei Wochen nach der Entlassungsmeldung, öffentlich warnte, wenn die Armeeoffiziere dem neuen Präsidenten nicht gehorchen wollten, könnte sich die internationale Gemeinschaft veranlasst sehen, Massnahmen zu ergreifen.
Einige gehen wirklich, so scheint es
Dies ist keine leere Drohung, weil das Land Jemen jeden Tag mehr auf internationale Hilfe angewiesen ist. Seine eigene Wirtschaft ist weitgehend zusammengebrochen. Im März hatte Saudi Arabien sich bereit erklärt, den Erdölbedarf des Landes für die kommenden drei Monate (!) abzudecken.
Es gab denn auch zwei Tage später, am 29.April, eine neue Meldung, diesmal von Reuter, nach welcher der Luftwaffenkommandant und Halbbruder des Ex-Präsidenten "bereit sei", seinen Posten zu verlassen. Er habe die Position eines Stellvertretenden Verteidigungsministers erhalten. Dies ist insofern etwas ironisch, als er zuvor den Rücktritt des Verteidigungsministers als Gegenleistung für seinen Rücktritt als Luftwaffenkommandant gefordert hatte. Er soll nun offenbar Stellvertreter des Ministers werden, dessen Rücktritt er hatte erpressen wollen. Gemeldet wurde auch, sein Sohn, General Tareq Mohammed Abdullah Saleh, ein Neffe des früheren Präsidenten, der die Sicherheitskräfte kommandierte und auch schon am 6. April entlassen worden war, sei ebenfalls bereit zurückzutreten. Ob auch er wie sein Vater, der bisherige Lufwaffenkommandant, in der Lage war, eine Kompensation für seinen Rücktritt auszuhandeln, wurde nicht erwähnt.
Die Armee im Einsatz gegen "al-Qaeda"
Parlamentswahlen sollen im Jemen im Juli durchgeführt werden. Doch dies kann nur geschehen, falls es gelingen sollte, die Armee wiederzuvereinigen. Ein erster Schritt in dieser Richtung scheint nun getan. Doch die beiden Hauptgegenspieler bleiben offenbar noch in ihren Kommandopositionen: Ahmed Ali Saleh Abdullah als Chef der Präsidialgarde und Ali Mohsen al-Ahmar als abtrünniger Kommandant der wichtigsten Tankbrigade.
Es ist nicht nur der Wahltermin, der die Amerikaner, die Saudis und die Golfstaaten zur Eile antreibt. Die mit al-Qaeda verbündeten Kräfte scheinen immer noch auf dem Vormarsch zu sein. Es ist den "Ansar al-Schari'a" ("Helfern der Schari'a", wie sie sich im Jemen nennen) offensichtlich gelungen, sich in der südlichen Provinz Abyan (Hauptstadt Zinjibar, an der Küste östlich von Aden) eigene Territorien zu schaffen. Sie versuchen von dort aus nach Norden vorzustossen und hatten eine Zeit lang den Flecken Radda an der Grenze zwischen Nord- und Südjemen, in ihrem Besitz. Die jemenitische Armee versucht, ihrer Herr zu werden.
Der neue Präsident hat angeordnet, dass der Kampf gegen sie prioritär geführt werden soll. Was unter seinem Vorgänger Ali Saleh Abdullah nicht der Fall war; seine Feinde hatten sogar immer wieder erklärt, er gewähre den radikalen Islamisten im Süden weitgehend freie Hand, um angesichts ihres Vorrückens mehr amerikanische Hilfe zu erhalten.
Drohnen töten - wen?
Die Amerikaner versuchen, den Einsatz der jemenitischen Armee gegen "al-Qaeda" durch Drohnenschläge zu unterstützen. Doch wie immer ist unklar wieviele zivile Opfer die Drohnen verursachen, neben den immer hervorgehobenen "Tötungen" von angeblichen Qaeda Kämpfern.
Die jemenitische Armee meldet immer nur Erfolge, Rückschläge meldet sie nie. Im Falle der Houthi Rebellion hat sie seit 1984 nach eigenen Angaben immer siegreich gegen die Houthis gekämpft. Doch diese sind heute Herren über ihre eigenen Stammesgebiete und deren Nachbargebiete sowie über die Hauptstadt des jemenitischen Nordens, Saada.
Das "Emirat von Waqar" der Qaeda
Im Krieg gegen die mit al-Qaeda verbündeten Ansar al-Schari'a haben die jemenitischen Streitkräfte Zinjibar, die Hauptstadt von Abyan mindestens vorübergehend verloren. Möglicherwiese halten die Islamisten sie noch immer besetzt. Sie haben in einem Überfall auf eine Kaserne bei Zinjibar über 100 Soldaten getötet und 73 gefangen genommen. Die Gefangenen haben sie kürzlich in dem von ihnen beherrschten Flecken Jaar frei gelassen. Sie hatten zuerst versucht, sie gegen ihre Anhänger, die die Regierung gefangen hält, auszutauschen. Doch dann entschlossen sie sie sich, wie sie erklärten, "angesichts des geringen Interesses der Regierung an ihren eigenen Soldaten" dazu, den Vermittlungsbemühungen von Stammeschefs der Region stattzugeben und die Milizsoldaten frei zu lassen. Diese befänden sich nun auf dem Heimweg in ihre Wohnungen im Norden und in Aden, hiess es.
Einer der Soldaten soll erklärt haben, die Gefangenschaft sei hart gewesen, doch die Islamisten hätten alles getan, um sie ihnen zu erleichtern. In Zukunft werde er nicht mehr dem Irrtum verfallen, gegen sie, die Freunde der Schari'a, kämpfen zu wollen.
Die Freilassung erfolgte in einer Zeremonie, zu der die Familien der Befreiten, Stammesvermittler und auch die jemenitische Presse eingeladen waren. Die Sprecher der Islamisten versäumten nicht, die Pressevertreter nach Zinjibar einzuladen, damit sie sehen könnten, wie sie - im Gegensatz zur Regierung - in ihrem Emirat , das sie Waqar nennen, Ruhe und Ordnung aufrecht erhielten.
Sie erklärten der Presse auch, sie seien Freunde des jemenitischen Volkes, Feindschaft hegten sie nur gegen Amerika. Man sieht, die "Helfer der Schari'a" sind bemüht, die Bevölkerung des Hinterlandes im Inneren Jemens auf ihre Seite zu bringen.
Die Elitetruppen in Sanaa, fern von al-Qaeda
Der nun neu auflebende Krieg gegen "al-Qaeda" hängt mit den Versuchen, die jemenitische Armee wieder zu vereinigen, zusammen. Die bestausgerüstete und bestausgebildete Einheit der Armee ist die Präsidialgarde unter dem Kommando von Ahmed, dem Sohn des Ex-Präsidenten. Die Amerikaner haben für ihre Ausbildung und Bewaffnung gesorgt. Sie ist jedoch bisher nie gegen al-Qaeda eingesetzt worden, weil sie dem Präsidenten in der Hauptsatdt als Garde diente. Der neue Präsident benötigt sie nicht. Doch sie dient immer noch der Sicherheit des abgesetzten Präsidenten und seiner Parteigänger in Sanaa.
Am 29. April wurde unter Berufung auf diplomatische Quellen gemeldet, der bisherige Präsident sei bereit, vorübergehend ins Ausland zu reisen. Er werde zunächst in die Arabischen Emirate fliegen. Doch diese Nachricht wurde sofort von Freunden Ali Salehs dementiert. Der Ex-Präsident ist berühmt dafür, dass er unter diplomatischem Druck Zusagen erteilt, sie dann aber unter irgendwelchen Vorwänden zurücknimmt. Man kann annehmen, dass einiger Druck auf ihn ausgeübt wird, wenigstens vorübergehend abzureisen, um es dadurch dem neuen Präsidenten zu erleichtern, die Armee ganz in den Griff zu bekommen und sie dann auch voll gegen die Kämpfer der Islamisten einzusetzen.