Ausser in der Ukraine und im Gazastreifen finden gleichzeitig Dutzende von weiteren äusserst gewaltsamen Kriegen statt. Man weiss, dass man das Wissen darum ausblendet: Anlass genug, sich über die eigene geistige Lage im globalen Dorf zu wundern.
Vor dreieinhalb Jahren putschte das Militär in Myanmar. Seither führt es Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Der Fluss der Informationen, die uns aus dem Land erreichen, ist in dieser Zeit immer spärlicher geworden. Auch ein Ereignis wie das Massaker bei Pazigyi, verübt von der Luftwaffe der Junta beim Versuch, den Aufstand zu ersticken, drang im Rauschen der News kaum durch. Zu den 3,2 Millionen Binnenvertriebenen kommen noch 1,3 Millionen, die in Nachbarländer geflohen sind. 18,6 Millionen Menschen im Land sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Seit Mitte der 1990er-Jahre hat der Krieg den Kongo fest im Griff. Rivalisierende Truppen und Milizen terrorisieren die Bevölkerung. In jüngster Zeit hat sich die Lage im Osten der Demokratischen Republik Kongo nochmals sehr verschlechtert. Zehntausende Geflohene drängen sich beispielsweise in einem Lager bei Goma, das weder versorgt noch im Mindesten gesichert werden kann.
Im Sudan leiden 25 Millionen Menschen unter einer Hungersnot, in der Region Darfur befürchten Beobachter einen Völkermord. Es tobt ein blutiger Machtkampf zwischen der Armee und den mafiösen RSF-Milizen (Rapid Support Forces). Nach dreissigjähriger islamistischer Diktatur Omar Al-Baschirs war es 2019 im Sudan zum erfolgreichen Aufstand gekommen. Die danach eingesetzte Übergangsregierung aus Zivilisten und Militärs hatte sich als überfordert erwiesen und war 2021 weggeputscht worden. Danach eskalierte der Krieg zwischen Armee und RSF. Trotz wiederholter internationaler Vermittlungsbemühungen ist keine Lösung in Sicht. Auch die zurzeit in Genf von der Uno geführten Friedensgespräche haben wenig Aussicht auf einen Durchbruch.
Das sind nur drei der bekanntesten unter den weltweit Dutzenden von kriegerischen Konflikten, die meistens unter dem Radar der allgemeinen Wahrnehmung bleiben. Die davon nicht selbst Betroffenen – also die meisten hierzulande – können gar nicht anders, als sich gegenüber dieser globalen Realität zumindest partiell abzuschotten. Und auch wenn man dafür gute Gründe hat, ist mit dieser Haltung oft ein latentes ungutes Gefühl verbunden.
Solche Störungen des geistig-emotionalen Komforts rufen nach Abhilfe. Ein zunehmend praktizierter Ausweg ist die News-Abstinenz. Etwa vierzig Prozent der Schweizer Bevölkerung verzichten darauf, sich Medieninformationen anzutun, sei es als bewusster Entscheid oder einfach aus Desinteresse. Wenn man möglichst nichts weiss von der Welt, kann sie einen auch nicht beunruhigen.
Als Gegensatz zu diesem Sich-Abmelden vom Weltgeschehen gibt es die Haltung des Sich-Hineinstürzens: Bestimmte Ereignisse erfahren ein thematisches «Framing», das ihnen bei dafür sensiblen Zielgruppen eine geradezu explosive Bedeutung verleiht. Die dadurch jeweils ausgelösten politischen Bewegungen haben eine popkulturelle Dynamik. Sie stiften – ähnlich einem Fanclub – Zugehörigkeiten und grenzen ab. Wer «From the river to the sea» auf Mauern sprayt, bekennt sich zu einer Community, und Bekennen hilft zweifellos gegen allenfalls im seelischen Untergrund rumorende ungute Gefühle.
Schwieriger machen es sich diejenigen, die keinen dieser beiden Auswege gehen wollen. Sie machen sich angreifbar: Den News-Verweigerern bieten sie die offene Flanke, selbst ja auch nur einen kleinen Teil des Weltgeschehens wahrzunehmen – und die Auswahl der Themen, denen sie ihre Aufmerksamkeit zuwenden, in den meisten Fällen nicht einmal aktiv selbst zu bestimmen. Den aktivistisch Solidarischen gegenüber wiederum erscheinen sie als Distanzierte oder gar Gleichgültige, die das Engagement der sich betroffen Zeigenden womöglich mit schnödem Whataboutism niedermachen.
Wer sich den Extremen des Wegsehens und des Aktivismus verweigert, ist nicht nur angreifbar; er stellt sich auch selbst andauernd in Frage: Was ist meine Rolle als Zuschauer der Not und der Gewalt? Kann ich daraus Konsequenzen für mein Selbstverständnis und Handeln ableiten? Trage ich mithin als Medienkonsument eine Verantwortung? Welcher Instanz gegenüber bin ich rechenschaftspflichtig für meinen Umgang mit Informationen?
Es sind genau diese existenziellen Fragen, die jeden Versuch begleiten, es sich inmitten dieser verrückten Welt nicht zu einfach zu machen.