Was die Klimaallianz Schweiz, die Dachorganisation aller wichtigen Klima- und Umwelt-NGOs, etlicher „grüner“ Wirtschafts-Verbände, der Grünen Partei, der SP und der Grünliberalen, fordert, ist nicht ganz neu. Schon vor der New Yorker Jubelfeier vom 22. April, an der eine neue Klimarahmenkonvention und das „Paris Agreement“ unterzeichnet wurden, hat sich die Klimaallianz mit klaren Forderungen zu Wort gemeldet: Ihr gehen die vor Paris verkündeten Klimaziele der Schweiz eindeutig zu wenig weit. Sie seien völlig unzureichend, um die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Überdies bemängelte die Klimaallianz schon damals zu Recht, dass Doris Leuthard ohne einen klaren, langfristigen Klimaplan nach Paris gereist sei.
Am vergangenen Donnerstag hat die Klimaallianz nun einen eigenen Klima-Masterplan vorgelegt. In einer 28-seitigen Broschüre, die sich vor allem an Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft richtet, konkretisiert sie eine Reihe von zum Teil hochbrisanten Forderungen. Basis des Masterplans ist eine Auftragsstudie des unabhängigen Forschungs- und Beratungsunternehmen econcept.
Zehn „Hebel“ für eine Schweizer Klimapolitik
Natürlich ist dieser Masterplan kein umfassendes Konzept für eine Schweizer Klimapolitik; es beschränkt sich auf zehn wichtige Teilbereiche, sogenannte „Hebel“, an denen die Klimapolitik ansetzen müsse, um die in Paris beschlossenen Ziele zu erreichen.
Im „Paris Agreement“ haben sich die 195 Unterzeichner-Staaten verpflichtet, die Klimaerwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Das sei allerdings, so der Weltklimarat, nur möglich, wenn die Treibhausgasemissionen bis 2050 so weit reduziert würden, dass in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Klimaneutralität herrsche. Mit anderen Worten: Ab 2050 dürfen weltweit nur noch so viel Treibhausgase emittiert werden, darunter auch Methan, Distickstoffmonoxid (Lachgas) und andere Treibhausgase, wie mit anderen Mitteln, etwa Waldaufforstungsprogrammen, andernorts der Atmosphäre wieder entzogen werden - die Klimaallianz nennt dieses Ziel in ihrem Masterplan “Netto Null“.
Wie dieses globale Reduktionsziel auf die einzelnen Länder verteilt werden soll, ist umstritten; als Grundsatz gilt, dass jedes Land gemäss seiner historischen Verantwortung und seinen Möglichkeiten handeln soll. Klar ist aber auch, dass die bisher vorgeschlagenen nationalen Klimaziele der Unterzeichnerstaaten bis 2030 bei bei weitem nicht ausreichen, um auf diesen ambitiösen, aber absolut notwendigen Reduktionspfad einzuschwenken.
Die Schweizer Klimaziele: Völlig ungenügend
Das gilt auch für die Schweiz, die in Paris der „Koalition der Ehrgeizigen“ („High Ambition Coalition“) beitrat, sich selber also als Vorreiterin der Klimapolitik verstanden wissen will. Die im künftigen CO2-Gesetz vorgesehene Inland-Reduktion von 30 Prozent bis 2030, von Doris Leuthard immer wieder als „ambitiöser, aber machbarer grosse Schritt in die richtige Richtung“ verklärt, ist völlig unzureichend; das wissen alle, natürlich auch Doris Leuthard. Um das Netto-Null-Ziel , zu dem sich die Schweiz in Paris verpflichtet hat, bis 2050 tatsächlich zu erreichen, müssten nur schon die inländischen CO2-Emissionen (gemessen am Stand von 1990) in einem ersten Schritt bis 2030 nicht um magere 30 Prozent, sondern um 60 Prozent sinken. (Es bleiben dann immer noch 40 Prozent oder jährlich 20 Millionen Tonnen, die in den folgenden 20 Jahren eliminiert werden müssten.) Die Klimaallianz fordert deshalb bereits ab 2020 eine jährliche Reduktionsrate von 4 statt 1 Prozent.
Brisante Vorschläge
Um dieses Zwischenziel zu erreichen, fordert der Masterplan eine Reihe einschneidender, zum Teil hochbrisanter Massnahmen. Im Bereich Verkehr etwa schlägt die Klimaallianz unter anderem die Einführung einer leistungsabhängigen Verkehrsabgabe auch auf Personenwagen vor. Und verschärfte Abgasvorschriften: Statt wie heute 142 Gramm CO2 pro Kilometer sollen neu importierte Personenwagen im Flotten-Durchschnitt bis 2023 bloss noch 60g/km, danach gar nur noch 20g/km ausstossen dürfen; ähnlich verschärfte Vorschriften soll es auch für Nutzfahrzeuge geben. Das funktioniert allerdings nur, wenn rund drei Viertel der neu zugelassenen Fahrzeuge Elektromobile sind.
Als weitere effektiver „Hebel“ zur direkten oder indirekten Reduktion der Treibhausgase zählt der Masterplan erweiterte Massnahmen und strengere Vorschriften bei der Gebäudesanierung, für die Landwirtschaft und die Industrie, vor allem für die Zementindustrie. Zu den brisantesten Vorschlägen gehören die Umwandlung der CO2- Abgabe zu einer generellen Treibhausgas-Abgabe, die neben allen Brennstoffen auch alle übrigen Treibhausgase wie auch die sogenannten „grauen“ Treibhausgasemissionen umfasst, also auf importierte Güter und Dienstleistungen, deren Emissionen bei der Produktion im Ausland anfallen. Ebenso soll eine „Dreckstromabgabe“ erhoben werden für den Stromimport aus ausländischen fossilen Kraftwerken. Und schliesslich soll ein Mindestpreis festgelegt werden für Emissionszertifikate.
Klimaschutzhebel Schweizer Finanzplatz
Der kräftigste Klimaschutzhebel der Schweiz mit einem indirekten Einsparpotenzial von immensen 1'100 Millionen Tonnen soll gemäss dem Masterplan beim Finanzplatz Schweiz ansetzen. So soll möglichst kein neues Geld mehr in Firmen investiert werden, die Erdöl, Gas oder Kohle erschliessen, verarbeiten, handeln oder verkaufen. Auch da schlägt der Masterplan ein ganzes Bündel von Massnahmen vor, insbesondere im Bereich der Vermögensverwaltung der AHV, der Pensionskassen, Versicherungen und Banken, aber etwa auch bei der Exportrisikogarantie.
1 Milliarde Dollar für den Klimafonds
Neben all diesen Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgase auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel plädiert die Klimaallianz aber auch vehement für eine massive Erhöhung des Schweizer Beitrags an den Klimafonds, der ab 2020 mit jährlich 100 Milliarden Dollar gespeist werden soll, um den ärmsten Ländern zu helfen, sich an den Klimawandel anzupassen. Die Schweiz will diesen Fonds mit jährlich 100 Millionen Dollar unterstützen. Das sind umgerechnet 0,1 Prozent der anvisierten Gesamtsumme. Die Klimaallianz fordert, den Beitrag der Schweiz auf eine Milliarde Dollar aufzustocken. Das würde in etwa 1 Prozent der Wirtschaftsleistung der OECD-Länder entsprechen und sei einem der reichsten und emissionsintensivsten Ländern der Welt durchaus angemessen.