Selten wurde so viel für die gute Sache demonstriert. Selten war es so scheinheilig.
Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Terence Schmid wurde 2005 geboren und geht in die Klasse 4i am Realgymnasium Rämibühl. Er interessiert sich für das Altertum und für Physik. Er hasst Schwarz-Weiss-Photos und geschlechtsneutrales Schreiben.
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Wir kennen sie alle – die Bilder des Limmatquais voller „Black-Lives-Matter“-Demonstranten, die Wind und Wetter trotzen und selbst dem Coronavirus todesmutig entgegentreten. Mit erhobenen Fäusten marschieren sie quer durch die Stadt und empören sich, was für Rassisten ihre Mitbürger doch sind. Keine gute Idee, hier genüsslich in einen Mohrenkopf beissen zu wollen, da dieser „verbale Rassismus“ geradezu als Manifestierung des Bösen schlechthin verurteilt wird. Auch die Polizei wird lautstark als mehr oder weniger rassistisch verschrien: Polizisten, die am Hauptbahnhof einen kriminellen schwarzen Jugendlichen verhaften, werden übel beschimpft und als Reinkarnation der Sklaventreiber im 19. Jahrhundert abgestempelt.
Hierbei wird vergessen, dass die Schweiz nicht Amerika ist und George Floyd nicht in Zürich erdrosselt wurde. Hierzulande müssen die Rapper und die schweren Jungs ihr „Ghetto“ erst erfinden und sich bemühen, kriminell zu werden, um ihre krasse Einstellung zu beweisen. Vor allem die sozialen Medien kreieren eine Scheinnähe zu den USA, die es so in der Realität gar nicht gibt.
Plötzlich scheint es, als ob die Auswüchse jenseits des Atlantiks vor der eigenen Haustüre an der Alfred-Escher-Strasse direkt neben Dublers Mohrenkopf-Fabrik passieren würden. Tun sie aber nicht. Doch durch die emotionalisierten Berichterstattungen wie beispielsweise über den Mord an George Floyd werden so intensive Gefühle ausgelöst, dass es völlig egal ist, ob wir in der Schweiz überhaupt ein Problem mit der Diskriminierung von Schwarzen haben oder nicht; man läuft einfach mit.
Warum also gehen unsere empörten Schüler – die meisten aus gutem Hause – und mit ihnen alle Gutmenschen auf die Strasse und identifizieren sich mit den „Black Bros“? Ist es vielleicht einfach eine willkommene Abwechslung zum Corona-Trübsal? Tut es einfach gut, sich in die Meute zu stürzen und sich künstlich zu empören? Nach monatelanger Einsamkeit im Lockdown und den Corona-Restriktionen ist das Bedürfnis nach Menschenmengen und Gemeinschaftsgefühl noch viel grösser geworden.
Und genau das konnte die BLM-Bewegung den Demonstranten bieten: Ein gemeinsames Ziel, einen gemeinsamen Feind und die Gelegenheit, mit anderen Menschen tatkräftig als Teil einer intensiven Massenerfahrung für etwas Grosses und Gutes kämpfen. Auf diese Weise lässt sich die eigene moralische Überlegenheit elegant wie ein hübsches Herbstkleidchen in der Öffentlichkeit spazieren führen. Dabei ist es letztlich vollkommen egal, ob Rassismus gegen Schwarze in der Schweiz im grossen Stil vorhanden ist oder nicht: Ein Hype braucht schliesslich keine fundierten Gründe. Wie die Eintagsfliege hat aber auch die BLM-Bewegung die Saison leider nicht überlebt.
Richtig stossend ist allerdings nicht die Gesinnung unserer edlen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die für die Black-Lives-Matter-Bewegung auf die Strasse gehen. Beunruhigend ist vielmehr die soziale Akzeptanz des echten Rassismus, der tief in den Köpfen vieler Mitbürger verankert ist. Die wahren Verlierer unserer Gesellschaft sind heute die Immigranten aus den Balkan-Staaten, die Rassismus und Diskriminierung jeden Tag nicht nur bei der Wohnungs- oder Jobsuche erleben, nur weil sie den falschen Namen tragen oder – noch schlimmer – mit Akzent sprechen. Sie sind die Aussenstehenden, die nicht in unsere Schweizer Gesellschaft aufgenommen werden, denn mit solchen Leuten will man ja nichts zu tun haben. Wie oft haben wir schon das Wort „Du Sau-Yugo“ oder Witze auf Kosten von Menschen aus dem Balkan gehört? Meistens werden Jugo-feindliche Aussagen mit netten Füllwörtern und Floskeln wie „Sorry, aber“ oder „Seien wir doch mal ehrlich“ dekoriert. Sogar ein ganz unauffällig braver Schweizer Bürger hat ernsthaft behauptet: „Sorry, aber das Coronavirus verbreitet sich vor allem in Jugo-Kreisen, weil solche Menschen einfach nichts von Hygiene verstehen.“
Die Black-Lives-Matter-Bewegung findet er hingegen super. Solcher Fremdenhass ist hierzulande salonfähig, weil sich für diese Menschen keiner stark macht. Wer will denn schon für Srbo oder Beriša aus Schwamendingen auf die Strasse gehen? Ist halt nicht so cool. Durch tendenziöse Zeitungsartikel, die gerne über straffällige Schweizer mit Balkanwurzeln („ein 42jähriger Schweizer mit serbischer Herkunft“) berichten, wird auf perfide Weise öffentlich Stimmung gegen diese Menschen geschürt. Gleichzeitig erscheinen in denselben Zeitungen tief bewegende Tränendrüsen-Artikel wie „Black-Lives-Matter: Die einzige Chance gegen Rassismus“ oder „Ich spüre den Rassismus immer noch“. Die Diskriminierung der Jugos ist halt nicht so spannend und aufregend und bringt keine Schlagzeilen wie der Mord an einem Schwarzen in den USA.
Die BLM-Bewegung ist deshalb für die Schweiz sogar gefährlich, weil all diese Gutmenschen mit ihrer zur Schau getragenen noblen Gesinnung die eigene politische Meinung nicht mehr zu hinterfragen brauchen. Sie fühlen sich wie Moralapostel, wenn sie statt „Mohrenköpfe“ „Schaumköpfe“ sagen. Aber auf das liebe Handy will man dann eben doch nicht verzichten; Dass dessen Bestandteile aus Ausbeuterminen in Afrika stammen, ist nicht so wichtig. Hauptsache, man hat mit seinem Smartphone die Teilnahme an der Demonstration als Beweisstück für die eigene moralische Überlegenheit aufgezeichnet. Danach postet man noch ein schwarzes Quadrat auf Instagram und alles ist gut. Hoffentlich freuen sich die kongolesischen Minenarbeiter dann darüber, dass sich in der reichen Schweiz so viele für sie via Smartphone einsetzen, ausgestattet mit seltenen Erden aus Schwarzafrika. So gedeiht ihr latenter Fremdenhass weiterhin unter dem Deckmäntelchen der BLM-Demo, denn sie setzen sich ja für eine gute Sache ein.
Auch wenn die BLM-Bewegung in der Schweiz nicht all zu viel bewegt hat, kann man ihr also etwas Gutes abgewinnen: Die Bürger konnten sich wieder einmal geeint für etwas Schönes einsetzen und gleichzeitig ihr Geltungsbedürfnis befriedigen. Für kurze Zeit steht ihre persönliche Moral auf einem Allzeithoch, weil sie sich endlich wieder in eine Meute stürzen und mit ihren „Black Bros“ mitfühlen konnten.
Vielleicht muss man den Dingen halt einfach ihren freien Lauf lassen. Denken wir doch an die Italiener, die „Spaghettifresser“ oder „Sau-Tschinggen“ aus den 70er Jahren, die sich perfekt assimilieren konnten. Heute sind sie die Vorzeigeausländer! Ach, was lieben wir alle doch die neu gewonnene Italianità, und wer weiss – horribili dictu! –, vielleicht könnte Burek & Čevapčići der Pizza eines Tages sogar den Rang ablaufen.
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer ([email protected]).
Weitere Informationen zum Zürcher Realgymnasium Rämibühl unter www.rgzh.ch