Oberflächlich betrachtet, führte Alexander Nikolajewitsch Ostrowski in seinem Schauspiel „Gewitter“, das die literarische Vorlage für Leos Janaceks Oper „Katja Kabanova“ bildete, nur das Scheitern einer Ehe und damit die Unausweichlichkeit eines Ehebruchs vor. Was der als der damals grösste und beliebteste Komödiendichter Russlands geltende Ostrowski hier aber im Jahre 1860 anprangerte, ist die kalte, in Routine und verknöcherter Moral erstarrte russische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, die sich höchstens im Alkoholrausch noch zu trösten weiss.
Die Szenerie trieft von aufgestautem Frust: Hier die treibende, die Handlung voranpeitschende Mutter, eifersüchtig ihre Herrscherinnenrechte über ihren schwachen Sohn, Gatte der Katharina, ausübend – dort die unsicher tastende, von der wahren Liebe träumende, sanfte Ehefrau, gefangen in einer Ehe mit einem ungeliebten Mann und am Konflikt zerbrechend. Rings um sie herum kreisen Figuren jeglicher Couleur, sowohl von Ostrowski als auch von Janacek mit grimmigem Humor vorgeführt.
Janaceks neuer Naturalismus
Janaceks grosser Erfolg seiner mittleren Jahre, „Jenufa“, galt ebenfalls der Tragödie einer jungen Frau. Diese Oper ist aktuell in dieser Spielzeit, praktisch zeitgleich mit Basel, als Eröffnungspremiere der Zürcher Oper zu sehen. „Katja Kabanowa“ von 1921 zählt bereits zum Spätwerk Janaceks. Als Anstoss für die oft mit eruptiven musikalischen Mitteln durchsetzte Oper wird Janaceks Schwärmerei für die viel jüngere Kamila Stösslova angesehen, einer verheirateten jungen Frau, die Janacek 1917 kennengelernt hatte.
Das zarte, liebliche Thema der Katja Kabanowa ist jedenfalls voll unschuldiger Schwärmerei und Lebenshoffnung, blüht auf bei ihrem Erscheinen in reinem Dur und begleitet sie, zwischen Liebesfieber und Todessehnsucht oszillierend, bruchstückhaft bis zu ihrem Tod. Janacek, der - ausgehend vom tschechischen Sprachduktus - nach eigenen Aussagen einen „neuen Naturalismus“ anstrebte, war der Älteste unter den wichtigen Erneuerern der Musik des frühen 20. Jahrhunderts. Seine ganz aus der Sprachmodulation entwickelte Musik ist, will man schon vergleichen, näher bei Gustav Mahler als bei Igor Strawinsky.
Musikalische Wucht
Diese spätromantische Note wurde in Basel vom niederländischen Dirigenten Enrico Delamboye mit grosser Wucht herausgearbeitet. Das Bruchstückhafte, die von Janacek selbst verlangten Generalpausen, rissen dabei die musikalische Linie fast entzwei, und Blech und Pauken hatten ihre grosse Stunde. Der amerikanischen Sopranistin Mary Mills in der Rolle der Katja verdankten wir dafür Momente, in denen Interpretation, Musikalität und Stimme zu jener Einheit verschmelzen, welche zum unvergesslichen Erlebnis werden. Was die Interpretation anbelangt, hatte sie – und mit ihr alle anderen, durchwegs hervorragend besetzten Sängerinnen und Sänger auf der Bühne – einen wahrhaft schweren Stand.
Inszenatorischer Erneuerungsrausch
Der deutsche Regisseur Armin Petras verfiel in dieser seiner ersten Operninszenierung einem wahren Erneuerungsrausch, in dem die Figuren maskenhaft und fast unbeweglich einer erdrückenden Szenerie standzuhalten haben (Bühnenbild Kathrin Frosch). Er verlegte das Bürgerhaus an den Ufern der Wolga in ein Forschungszentrum für seismologische und elektrische Phänomene, isoliert und von (reellem!) Wasser umgeben. In vielem ist die Bezugnahme auf die literarische Vorlage wohl spürbar- nicht umsonst wurde der Regisseur 2005 mit dem Lessingpreis des Freistaats Sachsen ausgezeichnet. Aber der technische Wust ringsum bildet ein Bouquet von zischenden, blendenden, letztlich ablenkenden Unnötigkeiten, bis zum – für die Bühnentechnik als Meisterleistung zu rühmenden – tektonischen Beben und Wackeln des gesamten Gebäudes.
Solche Jahrmarktseffekte überwuchern eine ansonsten sehr bewusste inszenatorische Arbeit und wurden zum Schluss auch mit einigen Buhs quittiert. Dem musikalischen Ensemble hingegen galt zu Recht ein stürmischer, nicht endenwollender Applaus.