Heute sieht die Welt ganz anders aus, doch die Geopolitiker greifen auf ihren alten Fundus zurück. Das zeigt die von Barack Obama angekündigte Verstärkung der amerikanischen Militärpräsenz im pazifischen Ozean.
Peter Achten hat im "Journal 21" bereits die Gipfeltreffen von vergangener Woche in Honolulu und auf Bali analysiert. Die Projizierung amerikanischer Macht auf die Länder Ostasiens ist aber keine regionale Angelegenheit. Sie ergänzt die Bemühungen Washingtons, Russland klein zu halten und den Iran zu isolieren.
Ende der ideologischen Konfrontation
Vor genau 20 Jahren sind die Sowjetunion und der sogenannte Ostblock zusammengebrochen. Die meisten Mitglieder des ehemaligen Warschauer Pakts wurden in die Nato integriert. Mao Zedong starb 1976. Seine Nachfolger öffneten das Reich der Mitte. Das Ende der ideologischen Konfrontation brachte aber keine echte Abrüstung. Der unter George W. Bush beschlossene Bau eines Raketenabwehrschirms in Polen und Tschechien erschien den Russen als Versuch, ihre modernen Waffen zu entwerten. Friedensnobelpreisträger Obama liess den ohnehin technisch undurchführbaren Plan fallen, baut dafür aber jetzt ein kleineres Raketenabfangsystem in Rumänien.
Rückschläge erlitt die Nato bei ihren Bemühungen, die Ukraine und Georgien einzugliedern. Damit wäre das Schwarze Meer völlig in der Hand der Nordatlantischen Allianz gewesen. In der Ukraine scheiterte der Nato-Beitritt am Widerstand der Bevölkerung und an der Abwahl des prowestlichen Präsidenten Viktor Juschtschenko. Georgien musste den Antrag auf Mitgliedschaft in der Nato wegen des von Mikheil Saakaschwili leichtfertig vom Zaun gebrochenen Kriegs mit Russland aufs Eis legen.
Die USA als pazifische Macht
Die Russen sind keineswegs neurotisch, wenn sie eine Einkreisung durch die USA und deren Verbündeten befürchten. Die USA besitzen rund um die Erde mehr als 700 Militärbasen in 130 Ländern. Ein neuer Stützpunkt wird nächstes Jahr in Darwin (Nordaustralien) dazukommen. Vor dem australischen Parlament machte Obama vergangene Woche seinen inzwischen berühmt gewordenen Spruch: „Die USA sind eine pazifische Macht, und wir sind hier, um zu bleiben!“
Zur gleichen Zeit unterzeichnete US-Aussenministerin Hillary Clinton in Manila ein Militärabkommen mit den Philippinen. Das Abkommen sieht unter anderem die Lieferung von zwei Zerstörern vor. 1992 hatten die USA ihre beiden grossen Militärstützpunkte auf den Philippinen, Subic Bay und Clark Air Field, geschlossen. Das Nachbarland Indonesien erhielt am Freitag von den USA 24 gebrauchte F-16-Jagdbomber geliefert, die mit moderner Elektronik und Waffentechnik ausgerüstet wurden.
Washington rechtfertigt die Aufrüstung seiner Freunde im Fernen Osten mit den steigenden Militärausgaben Chinas. Diese hätten sich innert zweier Jahrzehnte verdreifacht und 2010 rund 160 Milliarden Dollar erreicht. Die letzten Prunkstücke der Chinesen sind Tarnkappenbomber und ein Flugzeugträger.
Mentalität des Kalten Krieges
Im Verhältnis zum Verteidigungsbudget der USA – 895 Milliarden Dollar für das laufende Fiskaljahr - sind die chinesischen Militärausgaben aber bescheiden. Die USA unterhalten im pazifischen Raum ein dichtes Netz von Stützpunkten. Angelpunkt ist die Insel Guam, die 1898 den Spaniern entrissen wurde. Eine grosse Flotten- und Luftwaffenbasis befindet sich auf der südjapanischen Insel Okinawa. In Südkorea stehen 28'500 US-Soldaten. Die mit Atomwaffen bestückte Siebte Flotte ankert in japanischen und südkoreanischen Häfen.
Obamas Sicherheitsberater Tom Donilon beteuerte vor Journalisten, dass es den USA beim Ausbau ihrer militärischen Präsenz im Pazifik keineswegs darum gehe, „jemanden zu isolieren oder einzudämmen“. „Wir balancieren bloss unsere Interessen aus und konzentrieren uns dabei erneut auf die Region Ostasien“, erklärte er nach dem Treffen Obamas mit dem chinesischen Regierungschef Wen Jiabao auf Bali. Doch die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua warnte: „Wenn die USA in die Mentalität des Kalten Krieges zurückfallen und im Umgang mit asiatischen Nationen hochnäsig auftreten, werden sie in der Region auf Widerstand stossen.“
Wink mit dem Knüppel
Aktueller Anlass für die Spannungen ist der Streit um die Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer. Unter diesem Archipel von mehr als 750 kleinen Inseln, Atolls und Riffen werden reiche Vorkommen an Erdöl und Gas vermutet. Sechs Länder raufen sich um die potentiellen Bodenschätze. China beansprucht die ganze Inselgruppe für sich, Vietnam den Grossteil davon. In jüngster Zeit ist es zu Scharmützeln zwischen chinesischen und vietnamesischen Schiffen gekommen. Die Philippinen, Malaysia, Taiwan und Brunei verlangen nur ein Stück des Kuchens vor ihren Küsten. Geographisch liegen die meisten Spratly-Inseln nämlich näher bei Brunei, den Philippinen und den malaysischen Bundesstaaten Sarawak und Sabah als bei China oder Vietnam.
Washington gibt sich im Territorialkonflikt neutral. Die von Hillary Clinton und dem philippinischen Aussenminister Albert del Rosario unterzeichnete Erklärung von Manila tritt aber für „die Wahrung der freien Schifffahrt, eines ungehinderten Handels und eines freien Personenverkehrs“ ein. Die militärische Stärkung der Philippinen soll „eine glaubhafte Abschreckung zum Schutz legitimer Tätigkeiten wie des Fischfangs oder der Erforschung von Erdgas- und Ölvorkommen bewirken“, heisst es darin. Das ist ein Wink mit dem Knüppel.
Russland und China versuchen der Ausdehnung der amerikanischen Einflusszone ein Gewicht entgegenzusetzen. Zu diesem Zweck gründeten sie 2001 zusammen mit den früheren Sowjetrepubliken Kasachstan, Kyrgistan, Tadschikistan und Usbekistan die „Shanghai Cooperation Organization“. Der Iran wollte sich dieser neuen Achse anschliessen, doch die Chinesen winkten ab. Sie machen eine Erweiterung des Klubs von „ernsthaften Studien“ seiner derzeitigen Mitglieder abhängig. So muss sich der Iran mit einem Beobachterstatus begnügen, den auch Indien, Pakistan und die Mongolei haben.