Die Zwischenwahlen vom 8. November sind für Amerikas Demokraten glimpflicher verlaufen als befürchtet. Noch wird es dauern, bis die endgültigen Resultate und das Aussehen der neuen Machtverteilung im Kongress in Washington DC bekannt sind. An Wahlleugnern und Extremisten wird es jedenfalls nicht mangeln, was für die Demokratie im Lande wenig Gutes verheisst.
Die «Election Night Watch Party» der republikanischen Partei (GOP) im noblen Scottsdale Resort in Arizona verlief nicht wie geplant. Die prognostizierte «rote Welle» brandete nicht wie erwartet an den Strand und daran konnte auch der Fernsehsender Fox News nichts ändern, dessen Wahlberichterstattung auf grossen Bildschirmen lief. Das Publikum hatte gehofft, schon früh Siege in den Rennen für den Senat, den Gouverneurssitz, den Staatsekretär und andere Positionen feiern zu können. Als diese Triumphe nicht oder noch nicht eintraten, begannen die ersten Partygäste das Resort zu verlassen und bis um 22 Uhr hatten sich die Reihen schon merklich gelichtet.
Ähnlich dürfte die Stimmung in der Wahlnacht bei anderen Zusammenkünften von Republikanern gewesen sein. Zwar ist beim derzeitigen Stand der Stimmenauszählung noch durchaus möglich, dass die GOP in beiden Kammern des Kongresses die Kontrolle übernimmt. Falls die Partei das tun wird, dann aber längst nicht in dem Ausmass, wie sie es erhofft und wie das demokratische Lager es befürchtet hatte.
Unzuverlässige Umfragen
Erneut lagen offenbar auch die Meinungsumfragen nicht immer richtig, die vorausgesagt hatten, die Wählerschaft würde sich in erster Linie um die wirtschaftliche Lage und nicht um den Stand der amerikanischen Demokratie kümmern. Die Demokratie, hatte es zwar von demokratischer Seite geheissen, stünde 2022 auf dem Wahlzettel. Offenbar aber wurde auch die Inflation nicht als ganz so schlimm empfunden, wie die republikanische Partei unermüdlich herausposaunte.
Zwar zeigten erste Befragungen nach Stimmabgabe, dass für eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler Preissteigerungen das wichtigste Thema gewesen waren. Noch drei von zehn Stimmenden aber antworteten, vor allem die landesweite Abschaffung des Rechts auf Abtreibung habe sie veranlasst, an die Urne zu gehen und demokratisch zu stimmen – ein grösserer Anteil als erwartet.
Stimmverluste bei Minderheiten
Sorgen dürfte den Demokraten in Zukunft allerdings der Umstand bereiten, dass sie im Vergleich zu den Zwischenwahlen 2018 unter Latinos und mutmasslich auch unter Schwarzen an Zuspruch verloren haben. Derweil stimmten weisse Frauen ohne College-Abschluss in noch grösserer Zahl für die Republikaner als vor vier Jahren. Trotzdem war auffällig, dass mehrere Staaten sich weigerten, das Recht auf Abtreibung wie auf nationaler Ebene unilateral abzuschaffen, wozu sie befugt gewesen wären.
Auch wenn ein Sieg der Republikaner im Repräsentantenhaus wohl ausser Frage steht, dürfte auch hier der Abstand zu den Demokraten kleiner sein als erwartet. Was insofern von Bedeutung ist, als es Kevin McCarthy, dem vermutlich künftigen Mehrheitsführer der GOP in der grossen Kammer, bei einer kleineren Fraktion schwerer fallen dürfte, Gesetzesvorhaben widerstandslos durchzubringen. Relativ wenige Abweichler würden genügen, um sie zu Fall zu bringen. Und ähnlich wie bei den Demokraten, wo der progressive Flügel der Partei mitunter gegen die Fraktionsführung opponierte, dürfte auch bei den Republikanern die extreme Rechte unter Eiferinnen wie Marjorie Taylor Greene versuchen, auf die Linie der Partei Einfluss zu nehmen oder auf die Parteiführung öffentlich Druck auszuüben.
Blauer Sieg in Pennsylvania
Bemerkenswert beim Rennen um Senatssitze war in Pennsylvania der Sieg des Demokraten John Fettermann, der den Republikaner Mehmet Oz, einen populären Fernsehdoktor, hinter sich liess. Fettermann, stellvertretender Gouverneur des Staates, hatte kurz vor der Vorwahl einen Schlaganfall erlitten und sich bis zu den Zwischenwahlen am 8. November wieder weitgehend, aber nicht vollständig erholt.
Die Folgen der Krankheit äusserten sich in gelegentlichen Sprachstörungen, auf die sich die Republikaner stürzten, um den gegnerischen Kandidaten als amtsunfähig zu disqualifizieren. Zwar war es Mehmet Oz, einem Günstling Donald Trumps, über den Sommer gelungen, den Abstand zu Fettermann zu verkleinern, doch am Ende reichte es nicht aus, um ihn als «soft on crime», als zu nachgiebig in Fragen der Justiz, zu karikieren.
Etliche Wahlleugner gewählt
Was wiederum nicht heisst, dass es Kandidatinnen und Kandidaten nicht nützte, vom Ex-Präsidenten ausdrücklich unterstützt zu werden. Immerhin sind unter den rund 300 Republikanerinnen und Republikanern, die als Wahlleugner oder Wahlskeptiker antraten, bei den «midterms» an die 200 Kandidatinnen und Kandidaten auf verschiedenen Ebenen gewählt worden. Derweil hatten bis Mittwochmittag mindestens 80 unter ihnen ihre Rennen verloren.
Über 30 Kandidatinnen und Kandidaten, welche die Präsidentenwahl 2020 ausdrücklich als gestohlen bezeichnet hatten, siegten an der Urne, unter ihnen die künftigen Senatoren J. D. Vance (Ohio) und Markwayne Mullin (Oklahoma). «ich bin ehrlich der Überzeugung, dass die demokratische Maschine diese Wahl stiehlt», hatte Mullin vor zwei Jahren nach Joe Bidens Sieg gesagt.
Einige Premieren
Der 45-jährige Markwayne Mullin ist im Übrigen der erste «native American», der seit zwei Jahrzehnten erneut in den Senat einzieht – Ausdruck des Umstandes, dass die Zwischenwahlen 2022 so divers waren wie wohl noch nie zuvor. So standen in allen 50 Bundesstaaten Angehörige der LGBTQ-Gemeinschaft zur Wahl, 18 Prozent mehr als noch vor zwei Jahren. Auch hatten sich früher noch nie so viele Frauen für einen Gouverneurssitz beworben, was aber im Fall von Sitzen im Abgeordnetenhaus und im Senat nicht der Fall war. Dort ging die Zahl der Kandidatinnen im Vergleich zu 2018 und 2020 zurück.
Mit dem 44-jährigen Demokraten Wes More wird in Maryland erstmal ein Schwarzer Gouverneur; er ist derzeit der einzige landesweit. In Arkansas zieht mit der 40-jährigen Republikanerin Sarah Sanders, die einst Donald Trumps Pressesprecherin war, zum ersten Mal eine Frau in den Gouverneurssitz in Little Rock ein. Derweil ist In Massachusetts die 51-jährige Demokratin Maura Healey die erste Lesbe, die einen Staat führt.
Der 25-jährige Demokrat Maxwell Frost (Florida) ist der erste Vertreter der Generation Z (nach 1996 geboren), der im Abgeordnetenhaus in Washington DC Volksvertreter wird. Im Staat New York ist die 64-jährige Demokratin Kathy Hochul nach einem harten Wahlkampf die erste Gouverneurin in Albany. Erste und einzige Abgesandte des kleinen Staates Vermont ist die 54-jähige Demokratin Becca Balint.
Obszöne Kosten
Unbestritten ist der Organisation «Open Secrets» zufolge die Summe des Geldes, das bei den Zwischenwahlen 2022 auf verschiedenen Ebenen ausgegeben worden ist. Sie dürfte sich auf 16,7 Milliarden Dollar belaufen, 2,6 Milliarden mehr als vor zwei Jahren. Allein der bisher noch nicht entschiedene Senatswahlkampf in Georgia, wo sich der Demokrat Raphael Warnock und der Republikaner Herschel Walker wohl einer Stichwahl werden stellen müssen, hat bisher über 100 Millionen Dollar gekostet.
Kulturpessimisten mögen sich damit trösten, dass die Summen, die für die fünf über die Mehrheit im US-Senat bestimmenden Wahlkämpfe insgesamt ausgegeben wurden, am Ende kleiner sind als der Jackpot, den es in Amerika in der Wahlnacht in der «Powerball»-Lotterie zu gewinnen gab: 2,04 Milliarden Dollar. Der siegreiche Schein geht ins demokratische Kalifornien.