Die zivile Regierung Pakistans unter Präsident Asif Zardari und Ministerpräsident Jousouf Raza Gilani steht zur Zeit in einer doppelten Fehde, einerseits mit dem Obersten Gericht Pakistans, andrerseits mit der Armee Pakistans.
Die Feindschaft mit dem Gericht schwelt schon lange. Man kann ihren Beginn auf Dezember 2009 ansetzen. Damals entschied das Gericht, die Amnestie, die Zardari und Dutzende anderer Politiker seiner Partei zwei Jahre zuvor erhalten hatten, sei ungültig. Die Amnestie war unter Vermittlung der Amerikaner zustande gekommen, als diese versuchten, eine Rückkehr zu einem demokratischen Regime in Pakistan zu bewirken, das den damaligen Militärdiktatoren, General Parvez Musharraf, ablösen sollte.
Das Desaster der Bhuttos
Zu diesem Zweck war es notwendig, die Verurteilungen wegen Korruption aufzuheben und die laufenden Untersuchungen einzustellen, die gegen die Partei der Butto Familie, die PPP und deren Führerin, Benazir Bhutto, sowie ihren Gemahl Zardari und viele andere Politiker der Partei vorlagen. Dies ermöglichte die Heimkehr von Benazir aus dem Exil und die Entlassung ihres Gemahls aus der Untersuchungshaft in Pakistan. Benazir wurde kurz nach ihrer Heimkehr im Dezember 2007 ermordet. Ihre Partei gewann die Wahlen. Zardari trat das Erbe seiner Frau an und wurde Staatschef. Doch das Oberste Gericht beschloss 2009, das ganze Paket von Anklagen und Verurteilungen wieder zu öffnen, indem es die Amnestie für ungültig erklärte.
Die Regierung Zardari ignorierte den Richterspruch, und das Obergericht mahnte im vergangenen Dezember die Regierung und Präsident Zardari, indem es daran zu erinnerte, dass sie nach der Verfassung verpflichtet seien, sich an den Rechtspruch des Obergerichtes zu halten, und die Nachforschungen über Korruption neu zu beginnen. Wenn sie den Gerichtshof weiter ignorierten, machten sie sich der Missachtung des Gerichtes schuldig, und dieses könnte ihre Absetzung dekretieren, so liess das Gericht sich vernehmen.
Die einzige korruptionsfreie Institution?
Das Obergericht hatte in den Jahren zuvor einen langen und bitteren Kampf mit dem Militärdiktator Musharraf geführt. In dessen Verlauf hatte es sich in Pakistan den Ruhm zugezogen, die einzige von der Korruption unbeinflusste und unbeinflussbare Institution des Landes zu sein. Dies galt besonders für den Vorsitzenden des Gerichtes, Oberrichter Iftikhar Chaudhri, der mutig und zäh seine eigene Person aufs Spiel gesetzt hatte, um gegen Musharraf aufzustehen. Er war zu einem Volkshelden geworden. Das Obergericht profitiert bis heute von seinen damaligen Lorbeeren.
Zusammenstoss mit der Armee
Doch der Zeitpunkt, in dem das Obergericht seinen Rechtsspruch neu in Erinnerung rief und ihn mit Drohungen gegen die Regierung und den Präsidenten verband, kommt nicht von ungefähr. Er fällt zusammen mit einem kritischen Höhepunkt, welchen die zweite Konfrontation, jene zwischen Regierung und der Armee, erreichte.
Auch diese Konfrontation hat eine lange Vorgeschichte. Als ihre jüngsten Etappen kann man aufzählen: Spannungen aller Art zwischen der Armee und den Amerikanern, in denen die Regierung stets versuchen musste, die amerikanischen Bündnispartner zu beruhigen und zu besänftigen. Die Spannungen drehten sich um die Ereignisse an der afghanischen Grenze und die Übergriffe der Nato-Kräfte in erster Linie durch Drohnenschläge auf pakistanisches Hoheitsgebiet, die immer wieder pakistanische zivile und militärische Opfer erforderten; sowie um die "Aussenpolitik" des pakistanischen Geheimdienstes, ISI, gegenüber den bewaffneten Islamisten der Taleban und anderer Gruppen, welche die Amerikaner bekämpfen, die Pakistani auch - jedoch diese, indem sie sie gleichzeitig heimlich unterstützen und protegieren.
Wachsende Belastungen der Armee
Dies geschieht in der vermutlichen Absicht, die bewaffneten Extremisten - wie schon in der Vergangenheit so auch in der zu erwartenden Zukunft - als politische Instrumente ihrer Indien- und Afghanistan-Politik einzusetzen.
Die Spannungen erreichten neue Höhepunkte mit der Erschiessung Ben Ladhens durch die Amerikaner - ohne die Pakistani darüber zu informieren - und mit dem jüngsten und schwersten Zwischenfall an der afghanischen Grenze, als am 26. November 2011 24 pakistanische Grenzwächter in ihren Schlafquartieren von Nato Granaten getötet wurden.
Die Armee antwortete auf diesen Zwischenfall, indem sie die Zufahrtswege nach Afghanistan über die Khyber-Strasse für die Amerikaner und anderen Nato-Kräfte sperrte. Diese Spannungen und aussenpolitischen Massnahmen der Armee scheinen erneut die Frage aufgeworfen zu haben: "Wer bestimmt die pakistanische Aussenpolitik? Die Regierung oder die Armee?" Bei ihrem Antritt im Jahre 2008 hatte die Zardari-Regierung schon einmal versucht, den Geheimdienst der Armee unter die Kontrolle der Minister zu bringen, doch sie war abgeschlagen worden. ISI hatte sich sein Privileg bewahrt, auf eigene Faust Politik zu machen.
Während diese Frage erneut akut wurde, kam es zu dem weiteren Skandal, den man "Memo Gate" nennt und der die Gegensätze zwischen den beiden Führungen in Pakistan, der Armee-Führung und der Regierung, zum offenen Ausbruch brachte.
"Memo Gate"
Der amerikanischen Regierung wurde nach dem Schlag gegen Ben Ladhen ein nicht unterzeichnetes Memorandum zugespielt, in dem es heisst, die pakistanische Regierung benötige die Hilfe der Amerikaner gegen ihre eigene Armee, weil sie Gefahr laufe, von ihr gestürzt zu werden. Sie sei bereit, die gegenwärtige Armeeführung abzusetzen, wenn die Amerikaner ihr dabei den Rücken deckten, und sie erkläre sich im Gegenzug auch bereit, "mit allen militärischen Gruppen zu brechen". Womit vermutlich die Kampfgruppen gemeint waren, die gegenwärtig mit den pakistanischen Geheimdiensten Kontakte aufrechterhalten und die von diesen Diensten mehr oder weniger weitgehend unter der Hand unterstützt werden, unter ihnen die Taleban.
Der amerikanische Admiral Michael Mullen hat bestätigt, dass es dieses Memorandum wirklich gab. Er sagte, die Amerikaner hätten es in Empfang genommen, aber nichts weiter getan. Doch woher das Memorandum stammt, ist bitter umstritten. Dem pakistanischen Botschafter in Washington, Hussain Haqqani, wurde vorgeworfen, er sei der Überbringer oder gar der Verfasser. Er bestritt dies. Auch die Regierung und Präsident Zardari bestreiten, dass sie das Memorandum veranlasst hätten. Doch ein Lobbyist, der für Pakistan arbeitet, der amerikanisch-pakistanische Doppelbürger, Mansour Ijaz, erklärte, er habe das Memorandum verfasst und der Botschafter habe ihm dabei geholfen. Der Lobbyist ist der Hauptenthüller des Memorandums. Er hatte früher eng mit Haqqani zusammengearbeitet. Botschafter Haqqani sah sich gezwungen, von seinem Botschafterposten zurückzutreten. Er ist inzwischen nach Pakistan zurückgekehrt und wurde vom Obergericht vorgeladen, weil dieses beschloss, die Sache mit dem Memorandum zu untersuchen. Auch eine Parlamentskommision untersucht die Angelegenheit.
Täter, Zeuge oder Opfer?
Der Botschafter wurde nicht verhaftet, doch erhielt er ein Verbot, aus Pakistan auszureisen und sein Pass wurde beschlagnahmt. Eine Gruppe von amerikanischen Professoren, die Fachleute für pakistanische Politik sind, haben ein Schreiben an die amerikanische Regierung gerichtet, in dem sie ihrer Sorge um Leib und Leben des bisherigen Botschafters Ausdruck geben. Sie fürchten, er könnte festgenommen werden, zum Beispiel von ISI, und durch Folter gezwungen, gegen Zardari auszusagen.
Haqqani selbst ist auch um seine Freiheit besorgt. Er lebt zur Zeit im Hause des Ministerpräsidenten, weil er hofft, in dessen Schutz einer Entführung oder Mordanschlägen zu entkommen. Der Doppelbürger Ijaz hat zugesagt, auf den 16. Januar nach Islamabad zu fliegen, um vor dem Höchsten Gericht über das Memorandum auszusagen.
Verschwörungstheorien für beide Seiten
Die Gerüchte um das Memorandum kochten in Washington und in Pakistan hoch. Die Kommentatoren und Verschwörungsaufdecker bemächtigten sich seiner. Neben der einfachen Version, nach welcher vielleicht doch die Regierung das Memorandum verfasst oder angeregt hätte, gibt es auch die komplexere, etwas an den Haaren herbeigezogene, nach welcher die Armee das Memorandum verfasst und in Umlauf gesetzt habe, um es der Regierung zuzuschreiben und sie dadurch zu schwächen oder zu Fall zu bringen.
Im Zuge der Auseinandersetzungen hat Ministerpräsident Gilani seinen Staatssekratär im Verteigungsministerium, Generalleutant Nabil Khalid Lodhi, entlassen. Er galt als "ein Mann der Armee, nicht der Regierung", und er hatte öffentlich erklärt, die Armee bestimme selbst ihre Einsätze, die Regierung habe dabei nichts zu befinden. Sie sei nur der Verwalter der Streitkräfte.
Gilani stellt die Vertrauensfrage
Nach den jüngste Meldungen ist nun geplant, dass einerseits dem Parlament von der Regierung die Vertrauensfrage gestellt werden soll, angesetzt auf den kommenden Montag. Der Ministerpräsident hat die Parlamentarier aufgerufen, die Vertrauensfrage zu bejahen, "um die Demokratie zu retten". Andrerseits soll aber auch die Verteidigungskommission zusammentreten, was schon seit langer Zeit nicht mehr geschehen ist. In dieser Kommission sitzen sich die Spitzen der Armee und die der Regierung gegenüber. Beide Seiten hoffen vermutlich, dass eine offene Aussprache zu einer Klärung führe.
Wenn nicht, könnte Zardari sich gewungen sehen, vorzeitige Wahlen auszurufen oder zurückzutreten.
Eine "Rettungsbewegung" im Aufbau
Ein neuer Politiker ist in der Person von Imran Khan auf den Plan getreten. Dieser, ein sehr berühmter Cricket Star, hat seine eigene Partei gegründet, "Tehrike Insaf" genannt, was bedeutet "Rettungsbewegung". Sie findet regen Zulauf, ist aber noch nicht in Wahlen gemessen worden.
Es gibt Spekulationen darüber, dass die Armee darauf hin arbeite, Zardari abzusetzen und Imran Khan zu seinem Nachfolger zu erheben. Eine solche Lösung würden die Offiziere in der gegenwärtigen Lage wahrscheinlich vorziehen, weil sie ihnen erlauben könnte, ihre bisherige Rolle als Macht in den Kulissen weiter zu spielen. Die Alternative, selbst die Macht zu übernehmen, dürfte in der gegenwärtigen Zeit wenig anziehend sein. Das Land ist in einer derartig unerfreulichen Lage, sozial, wirtschaftlich, sicherheitspolitisch, aussen- und innenpolitisch, dass seine offiziellen Verantwortlichen, mit zahllosen Schwierigkeiten zu rechnen haben und gewärtigen müssen, in den kommenden Jahren schwere Rückschläge zu erleiden.