Wie sagte Ringelnatz: «Mir ist in meiner Muschelschnur so négligé zu Mut.» Nein, nicht einmal Ringelnatz gönnte der Frau in dem satirischen Gedicht, dessen Überschrift trotz seiner antikolonialen Anklage nicht einmal mehr aus literarisch-historischen Überlegungen zu schreiben gewagt werden dürfte - nicht einmal er verwendet die weibliche Form. Weshalb auch? Niemand tat es. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Die emanzipatorisch-feministiche Entwicklung verlangte gebieterisch insbesondere den weiblichen Plural neben der männlichen Mehreit und musste tapfer gegen männliche Häme erstritten werden. Bei Ringelnatz könnte «négligé» mit stilistischen Begründungen noch stehen bleiben, nicht nur, weil die Bücher (sächlich neutral) längst gedruckt (und leider vergriffen) sind.
Das Wehklagen erhob sich in den Amtsstuben. Wohlwollender reagierten Universitäten. Doch ausgerechn die Medienleute brachen in kollektive Seufzer aus, auch die Journalistinnen - wurden ihnen 1500 Zeichen zugestanden, frassen die Tagungsteilnehnmerinnen und Tagungszeilnehmer bereits einige davon weg. Oder der unkleidsame Vorweg-Bindestrich musste her, um wenigstens das vorderste Wort einzusparen. In Erinnerung bleiben eifrige Ausreisser wie der unbeholfene Kotau vor dem weiblichen Auch-Plural im «Tagi», als ein Autor (oder eine Autorin) es vor Jahren nötig fand, von «Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten» zu schreiben.
Es gab durchaus witzige Reaktionen und reaktionäre Gegenwbewegungen. Stellte die Generalsekretärin fest, dass ein Brief an den Vorstand mit der Anrede «Sehr geehrte Herren» begann, obwohl der Absender wusste, dass es auch Vorstandsfrauen gab, so durfte es in der Antwort unbeanstandet schon mal «Sehr geehrte Damen» heissen. Kurzlebig waren Bestrebungen, sogar von Amtes wegen, künftig einfach alles mit weiblichen Endungen zu versehen. Niemand sollte übertreiben, gell. Aber die Wendung, statt «man» schlicht «frau» zu schreiben, hält sich manchenorts bis heute.
Schliesslich schlug die Geburtsstunde der androgynen Mehrheiten. Plötzlich gab es Arbeitende, Zuhörende, Studierende, selbst Teilnehmende, als gäbe es etwas mit gebührender Teilnahme zu betrauern. Hier tappten die Frauen in eine neue Plural-Falle. Es gab sie gar nicht mehr, so wenig wie früher, als sie im männlichen Plural versteckt und anonymisiert worden waren. Wer als Frau nun seufzend bekannte, da fühle sie sich im männlichen Plural doch noch wohler als in diesen Zwitter-Gebilden, erwarb sich Schelte. Es waren dann vorwiegend durchaus wohlmeinende Männer, die eine Zuflucht und Ausflucht suchten und fanden, indem sie einfach abwechselten zwischen weiblich und männlich: Architektinnen und Bauingenieure, Amtsvorsteherinnen und Bauherren mussten sich über Bauvorhaben einig werden. Nicht einmal schlecht, dieses Beispiel. Es gibt unpassendere. Der Tatbeweis war immerhin erbracht. Aber was, bitte soll frau als weiblichen Plural schreiben, wenn es in einer Branche schlicht keine weiblichen Mitarbeitenden gibt? Noch wäre es wohl kaum angebracht, «Verwaltungsratspräsidentinnen» zu erwähnen.
Dankbar waren die Kabarettisten und Satiriker, die weibliche Form ist immer mitgemeint. (Auch diese eilige Verneigung wurde als Aussweg erfunden. Es ginge allerdings auch umgekehrt, oder? Schliesslich sind die Frauen weltweit in der Mehrheit, ausser dort, wo man die Mädchen umbringt oder gar nicht erst zur Welt kommen lässt.) Also, nach diesem traurigen Extempore zurück zu den Spassmachernden. Für sie ist der sprachliche Gender-Konflikt ein nie unerschöpfliches Reservoir.
Stellt sich die Frage: Wie klettern die Frauen wieder aus der Plural-Falle heraus? Kreative Lösungen (weiblich) der sich darum Kümmernden sind weiterhin sehr gefragt.