In diesen Tagen wird in Polen der achte Jahrestag des Flugzeugabsturzes von Smolensk begangen. Beim Absturz am 10. April 2010 kamen neben dem Präsidenten Lech Kaczynski und seiner Frau 94 Personen aus der polnischen Elite ums Leben. Sie wollten eine Gedenkfeier in Katyn besuchen, wo im Zweiten Weltkrieg über 4’400 polnische Offiziere von den Sowjets ermordet worden waren. Das Flugzeugunglück war nicht zuletzt deswegen für alle Polen ein erschütterndes Ereignis.
Die nationalkonservative PiS (Recht und Gerechtigkeit) hat allerdings aus dem tragischen Ereignis einen Mythos, eine patriotische Helden- und Opfergeschichte gemacht, die sie intensiv bewirtschaftete. Jeden Monat wurden Gedächtnisfeiern in Warschau organisiert. Es wurde schon früh von einem Attentat gesprochen, der offizielle Untersuchungsbericht abgelehnt. Neben den von der Staatsanwaltschaft eingesetzten Ermittlern, die auch umstrittene Exhumierungen anordnete, setzte die PiS-Regierung eine technisch orientierte Kommission ein. Diese behauptete immer wieder klare Indizien für ein Attentat aufgedeckt zu haben. Nun soll ein erster umfassender Bericht die Attentatsthese „untermauern“.
PiS verliert an Unterstützung
Die PiS hat auf den Gedenktag auch ein Denkmal für Lech Kaczynski und die Absturzopfer von Smolensk errichten lassen.
Die Gedenkfeiern sind ein höchst willkommener Anlass, um die Opferrolle zu zelebrieren und die PiS einmal mehr als unerschrockene Verteidigerin der polnischen Nation in Szene zu setzen. Denn in den letzten zwei Monaten hat die PiS eindeutig an Terrain verloren.
In den Umfragen hat sie nach weit über einem halben Jahr erstmals klare Einbussen hinnehmen müssen. Eine Umfrage vor Ostern hatte sie sogar nur noch bei 28 Prozent Wählerunterstützung verortet, ein rekordverdächtiger Verlust von 12 Prozentpunkten. Dieses Ergebnis fand ein grosses Echo in den Medien. Es versetzte der PiS-Führung einen spürbaren Schock, obwohl man es herunterzuspielen suchte. Eine Umfrage vor knapp eine Woche bestätigte den Trend, wenn auch etwas abgeschwächt. Die PiS erzielte 32 Prozent, immerhin ein Verlust von 8 Prozent.
Die PiS schien noch Anfang Jahr nach einer grösseren Regierungsumbildung fest im Sattel zu sitzen (Journal21 10.01.2018). Dass die PiS in kurzer Zeit in Bedrängnis geraten ist, überrascht etwas. Es ist allerdings kein neues Phänomen, schon vor einem Jahr hatte sie im Frühling deutliche Einbussen erlitten.
Prämien abgeräumt
Wie damals müssen auch heute mehrere Erklärungsfaktoren herangezogen werden. Stark geschadet hat der PiS die Affäre um hohe Prämienzahlungen für besondere Leistungen an die Regierungsmitglieder. Die damalige Premierministerin und heutige Vizepremierministerin Beata Szydlo hat über 65’000 Zloty eingefahren, während rund die Hälfte aller Beschäftigten im Monat nur gut 3000 Zloty verdienten. Im Durchschnitt betrugen die Zusatzzahlungen 2017 an 21 Minister sogar 69’000 Zloty, rund das Dreifache von 2016.
Die PiS versuchte die Affäre klein zu halten. Der neue Premierminister Tadesz Morawiecki verfügte, dass künftig keine Zahlungen mehr erfolgen. Aber die gemachten Zahlungen wurden als rechtmässig verteidigt. Parteichef Jaroslaw Kaczynski, der nicht über die Zahlungen informiert gewesen sein soll, liess zuerst nur leise Kritik durchschimmern.
Beata Szydlo verteidigte gar in einer Parlamentsdebatte die Prämien vehement, dieses Geld habe ihnen einfach zugestanden. Medien und Opposition hielten die Affäre am Kochen. Vor allem die grösste Oppositionspartei, die PO (Bürgerverständigung), machte Druck, unter anderem auch mit geschickten Plakataktionen.
Schliesslich zog Kaczynski letzte Woche die Notbremse. Er kündigte an, dass die Minister und Staatssekretäre ihre Zusatzzahlungen der Caritas spenden würden. Zudem soll eine neue Vorlage die üppigen Löhne der Abgeordneten um 20 Prozent reduzieren und neue Limiten für die Einkommen von Amtsträgern in Städten und Gemeinden einführen. Der grosse Imageschaden ist damit allerdings nicht beseitigt worden.
Umstrittene Projekte
Das fällt gerade jetzt besonders ins Gewicht. Denn die PiS muss sich mit Projekten befassen, die sehr umstritten sind. Eine besonders heikle Vorlage ist das Bürgerprojekt für eine weitere Verschärfung des sonst schon rigiden Abtreibungsgesetzes. So sollen Abtreibungen wegen schwerer Missbildungen und Krankheiten der Föten verboten werden. Diese Vorlage wurde im Januar vom Sejm an die zuständigen Kommissionen zur Beratung überwiesen, ein Bürgerprojekt zu einer Liberalisierung aber abgewiesen, auch mit einigen Stimmen von Oppositionsabgeordneten.
Eine Kommission begutachtete die Vorlage in der zweiten Märzhälfte positiv, nicht zuletzt auf Druck der Kirche. Darauf regte sich breiter Widerstand in der Bevölkerung, die gemäss Umfragen mehrheitlich gegen eine Verschärfung eingestellt ist. Die Beratung in einer weiteren Kommission wurde darauf verschoben, was den Unmut der Befürworter hervorrief. Die Mobilisierung für einen grossen Protesttag, den „schwarzen Freitag“ vom 23.März, war beachtlich. Obwohl die Proteste nicht mehr so umfangreich waren wie vor anderthalb Jahren, gingen allein in Warschau mehrere Zehntausend Personen auf die Strasse.
Ein grosses Konfliktpotential birgt auch die anvisierte strategisch wichtige „Repolonisierung“ privater Medien, die bis jetzt eher neutral oder kritisch zum PiS- Regime eingestellt waren. Um in der angespannten Situation zusätzliche Konflikte zu vermeiden, wurde ein bereits ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zurückgestellt.
PiS-interne Konflikte
In der PiS haben Machtkämpfe wieder an Intensität gewonnen. Insbesondere liefern sich der moderatere Premierminister Tadeusz Morawiecki und der härter agierende Justizminister Zbigniew Ziobro Positionskämpfe. Allerdings schien der Konflikt zwischen dem Big Boss Jaroslaw Kaczynski und Präsident Andrzej Duda nach dessen weitgehendem Einlenken bei den Justizreformen entschärft zu sein.
Unerwartet wurde ein Nebenschauplatz zu einem Hotspot neuer Konflikte. Präsident Duda legte unlängst wieder ein Veto gegen ein Gesetz ein. Dieses beinhaltet die nachträgliche Degradierung hoher Offiziere aus der kommunistischen Zeit.
Er machte dabei rechtliche Bedenken geltend, insbesondere fehlende Rekursmöglichkeiten. Das irritierte wiederum viele PiS-Politiker und -Sympathisanten, allerdings weniger als beim Veto gegen die Justizreformen vom letzten Sommer.
Konflikt mit der EU
Die noch letztes Jahr verabschiedeten umstrittenen Justizreformen sind unterdessen weitgehend in Kraft getreten. Die Auflagen der EU wurden nicht befolgt, so dass das Verfahren nach Artikel 7 weiter läuft. Stattdessen versuchte die Regierung, mit der EU einen Deal zu machen. Es wurden auch bereits Gesetzesänderungen vorgeschlagen, die aber nicht viel mehr als kosmetische Reformen beinhalten und von der EU als ungenügend taxiert worden sind.
Es wird weiter verhandelt und Polens Regierung beteuert, dass man schon bald einmal einen Durchbruch erzielen könnte. Dass dürfte aber eher unwahrscheinlich sein, obwohl EU-Kommissionspräsident Juncker sich mit dem jetzigen Premierminister Morawiecki deutlich besser versteht als mit der Vorgängerin Szydlo.
Weitere Aussichten
Die PiS ist an mehreren Fronten unter Druck. Ihr grundlegendes Problem lässt sich folgendermassen auf den Punkt bringen: Gibt sie ihrer ideologischen Ausrichtung und den eigenen Interessen zu viel Gewicht, wie dies in letzter Zeit geschehen ist, verliert sie an Unterstützung. Allerdings muss sie auch ihre eigene Basis bei der Stange halten, ihre gut 20 Prozent überzeugten Stammwähler.
Man darf gespannt sein, wie sich die PiS auf ihrem in Kürze stattfindenden Parteikonvent positionieren wird. Es ist absehbar, dass sie wieder vermehrt auf soziale Anliegen setzen wird.
Denn da kann sie nicht nur ihre eigene Basis abholen, sondern auch auf breiten Support hoffen. Die günstige Situation in der Wirtschaft und vor allem auf dem Arbeitsmarkt lässt hier noch Spielraum übrig. Nach Eurostat hatte Polen im Februar eine Arbeitslosenrate von nur noch 4,5 Prozent. Zudem wird die PiS versuchen, die Reihen zu schliessen und ihre Basis für die im Herbst anstehenden Gemeinde- und Provinzwahlen zu mobilisieren. Pläne in dieser Richtung wurden bereits ausgearbeitet.
Viel hängt davon ab, wie sich die gespaltene Opposition entwickeln wird. Am meisten zugelegt hat bisher die ehemalige Regierungspartei PO, wie dies schon vor einem Jahr der Fall war. In der zitierten jüngsten Umfrage kam sie auf 24 Prozent. Das war klar das beste Resultat aller fünf Oppositionsparteien, die einen Einzug in das Parlament geschafft hätten. Diesen Zuwachs verdankte sie vor allem der schwächelnden PiS. Ihrem Parteichef, Grzegorz Schetyna, vertrauen nach der Umfrage nur 18 Prozent, noch weniger als Jaroslaw Kaczynski mit 23 Prozent.
Ob die PO diesmal ihre verbesserte Stellung halten oder sogar ausbauen kann, ist aber fraglich. Sicher scheint, dass eine Zusammenarbeit der Opposition notwendig ist, um bei den Wahlen Erfolg zu haben. Zwar wurden in letzter Zeit vermehrt Kooperationen angestrebt, aber mit beschränktem Erfolg. Vielleicht gibt ja das ungarische Beispiel einen zusätzlichen Impuls.