Angola, das ist ein Land mit viel Erdöl, zugleich aber mit viel Armut und starker Korruption, in dem deshalb auch Unbehagen grassiert. Nun hat das Volk sein Parlament neu gewählt und der früheren Einheitspartei MPLA einen Denkzettel verpasst. Sie hat nach offiziellen Zahlen so knapp gewonnen wie noch nie – und die Opposition gibt sich noch nicht geschlagen.
Sogar Angolas Ministerpräsident der Jahre 1992–96, Marcolino Moco, fand die Zeit reif für einen Wechsel. Seit der Unabhängigkeit von Portugal im Jahr 1975 hat in der Hauptstadt Luanda die selbe Partei regiert, nämlich der Movimento Popular para a Libertação de Angola (MPLA, Volksbewegung für die Befreiung von Angola). Als Moco die Regierung führte, war der MPLA gar noch eine Einheitspartei. Seit 2002 finden alle fünf Jahre nun Mehrparteienwahlen statt. Zum nunmehr fünften Mal war das Volk am letzten Mittwoch an die Urnen gerufen, um das Parlament – Assembleia Nacional – und damit indirekt auch den Staatspräsidenten für die nächsten fünf Jahre zu wählen.
Die «Putinisierung» verhindern
Moco kehrte seiner ehemaligen Partei nun den Rücken. Es gelte, meinte er einige Tage vor der Wahl, eine «Putinisierung» im Land mit rund 33 Millionen Einwohnern zu verhindern. Er wolle daher die grösste Oppositionspartei wählen, also die einst vom Westen gestützte União Nacional para a Independência Total de Angola (UNITA, Nationalunion für die völlige Unabhängigkeit Angolas). Sowohl MPLA und UNITA gingen aus Unabhängigkeitsbewegungen hervor. Und bis 2002 hatten sich die Truppen der MPLA-Regierungen und die der UNITA in einem zermürbenden Bürgerkrieg gegenübergestanden.
Wenigstens nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis hat erneut der MPLA gewonnen. Somit hätte das Stimmvolk den jetzigen Präsidenten, den jetzt 68-jährigen ehemaligen Minister für Verteidigung João Lourenço im Amt bestätigt. Er trat 2017 an die Stelle des kürzlich verstorbenen José Eduardo dos Santos, der 38 lange Jahre im Amt ausgeharrt und sein Land in schwierigen Zeiten des Krieges geführt, dieses aber auch einer wuchernden Korruption ausgesetzt hatte.
Sieg mit Denkzettel
Wie bei vorherigen Wahlen will die UNITA, die einen schwarzen Hahn als Symbol verwendet, auch diesmal das offizielle Wahlergebnis nicht anerkennen. Immerhin war der Vorsprung der MPLA nach dem vorläufigen Ergebnis so knapp wie bei keinem der Urnengänge davor. Nur noch 3,17 Millionen Stimmen, was einem Anteil von 51 Prozent entspricht, entfielen auf den MPLA, der gegenüber 2017 rund eine Million Stimmen verlor. 2,73 Millionen Frauen und Männer, 44 Prozent des Stimmvolkes, wählten die UNITA, die damit rund 0,9 Millionen Stimmen gewann. So verlöre der MPLA zwar nicht die absolute Mehrheit im Parlament, wohl aber die bisherige Mehrheit von zwei Dritteln der 220 Abgeordneten. 130 von ihnen werden über eine landesweite Liste gewählt, und die Nummer eins der meistgewählten Liste wird automatisch Staatspräsident. Hinzu kommen fünf Abgeordnete für eine jede der 18 Provinzen, die insgesamt also 90 Mitglieder des Parlaments stellen.
Dort dürfte der MPLA nur noch 124 (bisher 150) Mandate innehaben, während die UNITA die Zahl ihrer Sitze auf 90 (vorher 51) erhöht. Insgesamt hat das Parlament 220 Mitglieder, von denen 130 über landesweite Listen gewählt werden. Wer die meistgewählte Liste anführt, ist automatisch zum Präsidenten der Republik gewählt. Hinzu kommen fünf Abgeordnete für eine jede der 18 Provinzen des Landes, die zusammen 90 Sitze einnehmen, wobei die UNITA erstmals in der Hauptstadt Luanda die meisten Stimmen errang und damit dem MPLA einen harten Schlag versetzte.
Korrekturen am Wahlergebnis?
«Der MPLA hat die Wahl nicht gewonnen», versicherte indes UNITA-Spitzenkandidat Adalberto da Costa Júnior unter Hinweis auf «brutale» Diskrepanzen zwischen offiziellen Daten und den Ergebnissen von parallelen Stimmauszählungen. Allein in Luanda gebe es eine Differenz von rund 187’000 Stimmen, sagte er. Anstatt das Ergebnis anfechten zu wollen, plädierte er für die Einsetzung einer internationalen Kommission mit dem Auftrag, die Auszählung der Stimmen zu überprüfen. Am Samstag sagte ein Sprecher der nationalen Wahlkommission, dass Korrekturen am Ergebnis möglich seien. Nach Ansicht von Beobachtern dürften diese am Ergebnis aber nicht viel ändern.
Zu grösseren Ausschreitungen kam es nicht. Laut Medienberichten verwehrte die Polizei in Luanda aber Sympathisanten der UNITA den Zugang zu Kundgebungen. Überschattet wurden die Tage nach der Wahl derweil von den Feierlichkeiten für das Begräbnis von Ex-Präsident José Eduardo dos Santos, der Anfang Juli in einer Klinik von Barcelona gestorben war. Ausgerechnet für diesen Sonntag, an dem er das 80. Lebensjahr vollendet hätte, wurde die Beerdigung anberaumt. Zu diesem Anlass reisten der Staatspräsident von Portugal sowie die Präsidenten mehrerer afrikanischer Länder nach Luanda. Am Tag vor dem Begräbnis rivalisierten die TV-Bilder vom Trauerzug mit den Nachrichten über den Streit um das Wahlergebnis.
Nebenschauplatz des Ost-West-Konfliktes
Als ehemalige portugiesische Kolonie blickt Angola auf turbulente Jahrzehnte zurück. Während die meisten anderen europäischen Kolonialmächte in den späten 1950er und 1960er Jahren ihre afrikanischen Besitzungen in die Unabhängigkeit entliessen, klammerte sich Portugals Diktator Salazar an die Reste eines 500-jährigen Überseereiches. Er verwickelte sein Land dafür in aussichtslose Kriege mit den Befreiungsbewegungen, ab 1961 in Angola, ab 1963 in Guinea-Bissau und ab 1964 in Moçambique. Wegen dieser Kriege verlor das faschistoide Regime in Portugal seinen Rückhalt in den Streitkräften, und es waren just die Streitkräfte, die dem Regime mit der Nelkenrevolution vom 25. April 1974 ein jähes Ende bereiteten und den Weg für die Entkolonialisierung frei machten.
In Angola gab es drei unterschiedlich ausgerichtete Befreiungsbewegungen – der MPLA, die UNITA und die FNLA, die Nationale Front für die Befreiung von Angola. Sie hätten sich eigentlich die Macht teilen sollen, die Umsetzung eines entsprechenden Abkommens aus dem Jahr 1975 aber scheiterte. Letztlich übernahm der MPLA allein die Macht, während die UNITA zu den Waffen griff. Niemand ahnte, dass nach 13 Jahren des Kolonialkrieges rund doppelt so viele Jahre eines Bürgerkriegs bevorstehen sollten. Angola mit seinem Reichtum an Erdöl und Diamanten wurde dabei zunächst zum Nebenschauplatz des Ost-West-Konflikts. Während die Regierungstruppen sowjetische und kubanische Unterstützung bekamen, standen die USA und Südafrikas Apartheid-Regime hinter der UNITA.
Hoffnungen auf Frieden – und doch wieder Krieg
Unter portugiesischer Vermittlung gelang 1991 der Abschluss eines Friedensvertrages, zu dessen Unterzeichnung sogar die Aussenminister der USA und der Sowjetunion nach Lissabon reisten. Vorgesehen waren freie Wahlen und die Bildung eines einheitlichen Heeres. Aber der Frieden dauerte nur bis zur Präsidentenwahl 1992. Im ersten Wahlgang gewann José Eduardo dos Santos, aber ohne absolute Mehrheit, gegen UNITA-Führer Jonas Savimbi, dessen Partei dieses Ergebnis nicht anerkannte. Zur Stichwahl kam es nicht mehr, weil die UNITA den bewaffneten Kampf wieder aufnahm. Erst 2002 endete der Bürgerkrieg, nachdem Savimbi im Gefecht gefallen war.Schon während des Bürgerkriegs klammerte sich der MPLA an die Macht und etablierte eine korrupte Kleptokratie mit einer Elite, die sich schamlos bereicherte. Zu ihren Hauptfiguren zählte keine geringere als die Tochter des langjährigen Präsidenten Isabel dos Santos.
Sie brachte im Laufe der Jahre in Portugal wichtige Beteiligungen bei Banken und im Telekomsektor unter ihre Kontrolle und galt bald als die reichste Frau in Afrika. Hohe Figuren aus Politik und Militär erwarben in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts im früheren Mutterland derweil luxuriöse Immobilien und Weingüter. Während Portugals Wirtschaft in den Jahren der Finanzmarktkrise tief in der Krise steckte, profitierte Angola von damals hohen Preisen für Erdöl. Vor seinem Generalkonsulat in Lissabon bildeten sich täglich lange Schlangen von Portugiesen, die Angola als gelobtes Land entdeckten und angesichts der Aussichtslosigkeit im eigenen Land dorthin emigrieren wollten. Für Aufsehen in Angola sorgen derweil Prozesse gegen Regimekritiker wie den Rapper Luaty Beirão, der 2016 gemeinsam mit einigen Kumpanen zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Einige Jahre zuvor hatte der Journalist Rafael Marques mit seinem Buch «Diamantes de Sangue – Tortura e Corrupção em Angola» (Blutige Diamanten – Folter und Korruption in Angola) hohe Wellen geschlagen.
Parteien im Wandel
Der jetzige Präsident, João Lourenço, trat 2017 als Erneuerer und Kämpfer gegen die Korruption an. Er gewann tatsächlich einige Sympathien, indem er inbesondere die Mitglieder des Clans von Eduardo dos Santos mit ihren Privilegien und Pfründen ins Visier nahm. Nur blieben die Ergebnisse seines Kampfes für mehr Ethik letztlich hinter den Erwartungen zurück. Zudem spürt das Land eine wirtschaftliche Krise, nicht zuletzt wegen seiner einseitigen Abhängigkeit vom Erdöl und weil nicht genug für die Diversifizierung der Wirtschaft getan wurde.
Keine der zwei grossen Parteien des Landes ist mehr das, was sie einmal war. Angesichts der klaffenden sozialen Gegensätze geht der MPLA nur schwer als Volksbewegung durch. Wieviel die UNITA an den Zuständen im Land ändern würde, steht dahin. In ihr sehen viele Menschen indes nicht mehr die Banditen aus der Zeit des Bürgerkriegs, an den ein grosser Teil von Angolas sehr junger Bevölkerung ohnehin keine Erinnerung hat.
Die UNITA mag jetzt am Wahlergebnis rütteln. Ihre Chancen, als Sieger anerkannt zu werden, dürften gering sein. Ihr bleibt die Hoffnung, dass ihr der Sieg in fünf Jahren nicht versagt bleibt.