In einer Umfrage in der letzten Aprilwoche erreichte die ehemalige Regierungspartei PO (Bürgerverständigung) seit langem wieder etwas mehr Wählerstimmen als die regierende nationalkonservative PiS (Recht und Gerechtigkeit). Dies hat allerdings nur symbolische Bedeutung. Zudem unterscheiden sich die Umfragen teilweise deutlich. Trotzdem ist ein klarer Trend erkennbar. Seit dem Eklat um die Wiederwahl von Donald Tusk als EU-Ratspräsident (vgl. Journal21 10.03. 2017) hat die PiS in der Wählergunst etwas verloren. Vor allem aber hat die PO deutlich zugelegt. Beide Parteien schwanken jetzt wieder um die 30 Prozent herum – ein Trend, wie er auch vor den Wahlen im Herbst 2015 vorherrschte.
Rivalisierende Oppositionsparteien
Dass sich die PO massiv verbessern konnte, hängt vor allem mit der Schwäche ihrer grössten Konkurrentin um die Oppositionsrolle zusammen, der Nowoczesna (die Moderne). Diese hatte gegen Ende des letzten Jahres noch grössere Wähleranteile als die PO. Der rapide Absturz auf gegen fünf Prozent ist hauptsächlich auf eine Selbstdemontage ihres Parteichefs Roman Petru zurückzuführen. Dieser hatte in der innenpolitischen Krise Ende Dezember/Anfang Januar alles andere als eine gute Figur gemacht und sich nicht mehr davon erholen können (vgl. Journal21 13.01.2017). Dazu kamen interne Konflikte und die erst vor den letzten Wahlen gegründete liberal ausgerichtete Partei konnte sich zu wenig profilieren. Es gelang ihr auch nicht, eine tragfähige Basis aufzubauen.
Die zur politischen Mitte tendierende PO hingegen konnte sich nach ihrer aktiven Rolle in der innenpolitischen Krise immer besser positionieren. Sie beschränkte sich weitgehend auf konventionelle politische Mittel, erreichte aber trotzdem eine grosse Medienpräsenz. So lancierte sie beispielsweise im März ein konstruktives Misstrauensvotum gegen die Regierung. Da die PiS über die absolute Mehrheit verfügt, war dieses ohne jegliche Chance, verschaffte der PO aber Aufmerksamkeit. Wenn es darum geht, Entscheidungen und Massnahmen der PiS-Regierung zu kritisieren, steht die PO an vorderster Front. Sie ist zum wichtigsten Gegenpol in der stark polarisierten Politszene geworden. Ihr wenig charismatischer, aber effizienter Chef Grzegorz Schetyna gewann dabei an Popularität. Zudem konnte er interne Konflikte weitgehend unter Kontrolle halten.
PiS in der Defensive
Einen nicht unwesentlichen Beitrag für die spektakuläre Aufholjagd der PO lieferte die PiS selber, die in letzter Zeit nicht von Erfolgen verwöhnt worden ist. Einen grösseren Flurschaden als erwartet richtete schon die trotzig sture Verhaltensweise bei der Wiederwahl von Tusk an. Umfragen zeigten, dass eine Mehrheit diese begrüssten und das Ergebnis als Niederlage für die PiS einschätzten, darunter auch viele PiS-Sympathisanten. Donald Tusk selber gewann deutlich an Beliebtheit. Er würde aktuell sogar die polnische Präsidentschaftswahl gegenüber dem jetzigen PiS-Amtsinshaber Andrzei Duda gewinnen können. Vor einem halben Jahr war so etwas noch kaum vorstellbar.
Der PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, der Erzrivale von Tusk und eigentliche Strippenzieher, ist hingegen weiterhin einer der unpopulärsten Politiker Polens. Und auch das PiS-dominierte Parlament ist alles andere als beliebt. Ein Glanzstück parlamentarischer Arbeit lieferte es vor kurzem, als es eine Resolution zum Jubiläum der Fatima Marienerscheinung verabschiedete, auch für das katholische Polen ein Kuriosum.
Dafür verspätete sich eine Revision für Wetterschäden in der Landwirtschaft, so dass die Bauern sich die aktuellen Frostschäden kaum vergüten lassen können.
Kaczynski muss sich nun zudem vermehrt mit innerparteilichen Querelen und Affären auseinandersetzen, was dem Ansehen der PiS einigen Schaden zugefügt hat. Auch in der Regierung zeigen sich Risse. Die relativ populäre Premierministerin Beata Szydlo scheint zwar noch sicher im Sattel zu sitzen, bekundet aber mehr Mühe, die Regierungsmannschaft zusammenzuhalten.
Die Misiewicz-Affäre
Eine immer grössere Belastung stellt der Verteidigungsminister Antony Macierewicz dar. Dieser ist als einer der altgedienten und militanten Politiker bei dem radikalen Flügel der PiS beliebt, eckte aber mit umstrittenen Massnahmen auch im eigenen Lager an. So wechselte er beispielsweise viele Topmilitärs aus und liess wichtige Rüstungsgeschäfte platzen. Einen besonders krassen Schnitzer leistete er sich mit der Misiewicz-Affäre.
Der erst 27-jährige Misiewicz war letztes Jahr von Macierewicz auf wichtige Posten gehievt worden. So nahm er auch ohne die geforderten Qualifikationen im Verwaltungsrat des grössten staatlichen Rüstungsunternehmens Einsitz. Erst auf grossen Druck hin, auch aus den eigenen Reihen, wurde er aus der Schusslinie genommen. Als Misiewicz nun diesen Frühling einen hochbezahlten Management-Posten in eben diesem Rüstungsunternehmen antreten sollte, kam es zum Eklat. Kaczynski liess einen hochkarätigen parteiinternen Untersuchungsausschuss bestellen und lud Macieriewicz zum Rapport in die Parteizentrale vor. Misiewicz trat dann selber umgehend aus der Partei aus.
Der Schaden war allerdings schon angerichtet. Die PO forderte im Parlament die Absetzung des Verteidigungsministers. Nach einer Umfrage unterstützen fast zwei Drittel seinen Rücktritt. Auch mit dem formellen Oberbefehlshaber der Armee, dem Präsidenten, kam es zu Unstimmigkeiten. Da auch andere Minister, etwa der Aussen- und Umweltminister umstritten sind, ist es wahrscheinlich, dass eine Regierungsumbildung ansteht. Wann und in welcher Form dies geschehen wird, ist allerdings schwierig vorauszusagen. Soll bald ein Befreiungsschlag erfolgen, um ungünstige Entwicklungen aufzufangen, oder soll zugewartet werden, um parteiinterne Spannungen nicht zu verstärken?
Noch keine Trendwende
Es wäre jedenfalls völlig übertrieben, jetzt schon von einer Trendwende zu sprechen. Eine klare Verschiebung der Kräfteverhältnisses in der polnischen Politszene – weg von der PiS, hin zur Opposition – hat nicht stattgefunden. Sie ist auch für die nähere Zukunft nicht zu erwarten. Selbst in den Wählerumfragen konnte nur die PO zulegen, die kleinen Parteien der Linken und die Bauernpartei schwanken immer noch um die Fünfprozenthürde. Die Mobilisierungsfähigkeit der Opposition hat dieses Jahr sogar abgenommen. Der Achtungserfolg der Frauenbewegung am 8. März war eine Ausnahme. Das KOD, das Komitee zur Verteidung der Demokratie, ist vor allem mit sich selbst beschäftigt und nicht zuletzt wegen grober Fehler ihrer Führung stark geschwächt.
Die PO hat für nächsten Samstag zu einer regierungskritischen Demonstration aufgerufen. Dann wird sich zeigen, ob die PO auch bei der Mobilisierungsfähigkeit aufholen konnte. Die PiS ist immer noch in einer komfortablen Situation. Sie kontrolliert den Staatsapparat, die staatlichen Medien, das Verfassungsgericht und wohl bald zu einem beträchtlichen Teil das Gerichtswesen – trotz eines unerwartet breiten Widerstandes der Richter. Als man Premierministerin Szydlo in einem Interview fragte, was sie von den sinkenden Unterstützungswerten halte, meinte sie nur, es sei jetzt nicht Wahlkampf, Umfragewerte nicht so wichtig, die PiS realisiere jetzt einfach ihr Programm.