Einen kleinen Hüpfer in die Weltöffentlichkeit tat Nordkorea bereits vor dem neuen Atomtest. Der Aussenminister des nach Aussen abgeschirmten Staates wird am Davoser World Economic Forum teilnehmen. Diese Nachricht fand erst nach dem neuen Donnerschlag gebührende Beachtung. Der Dienstherr des Aussenministers und „Oberste Führer“ Nordkoreas, der bald 34 Jahre alte Kim Jong-un, versteht mittlerweile sein Handwerk, obwohl erst seit knapp vier Jahren im Amt. Kim hat seinen Vater, den „Geliebten Führer“ Kim Jong-il, mit diplomatischen Loopings und knallharten innenpolitischen Manövern bereits hinter sich gelassen. Kims 1994 verstorbener Grossvater und Staatengründer Kim Il-sung, „Präsident in alle Ewigkeit“, wäre gewiss stolz auf seinen agilen Enkel.
Den „grausamen Räubern“ das Fürchten lehren
Im vergangenen Oktober feierte die Koreanische Arbeiterpartei den 70. Gründungstag mit einer Parade vom Feinsten in Pjöngjang, präsidiert natürlich von Kim Jong-un, dem Generalsekretär der Partei und Vorsitzenden der Militärkommission.
Im Mittelpunkt: Langstreckenraketen vom Typ KN-08. Sie sollten der Weltöffentlichkeit, insbesondere aber dem imperialistischen Erzfeind USA, „dieser Bande von grausamen Räubern“, das Fürchten lehren. Mitte Dezember dann bezeichnete Kim der Jüngere Nordkorea selbstbewusst als „einen mächtigen Atomstaat, der bereit ist, eine selbständige Atombombe und eine Wasserstoffbombe zu zünden, um eine Souveränität zu verteidigen“. In der Neujahrsansprache gab sich Kim Jong-un dann eher bedeckt, man könnte auch sagen bescheiden. Die amtliche Nachrichten-Agentur KNCA zitierte ihn mit den Worten, „das Militär bekomme die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt“. Damit bezog sich der Herrscher des mausearmen und zum Teil hungernden Landes auf die geltende „Militär-Zuerst“-Doktrin.
„Fortgeschrittene Atomwaffentechnik“
Kaum waren die Neujahrsraketen im Himmel über Pjöngjang verglüht, traf der Marschall eine, wie KNCA schrieb, „strategische Entscheidung“. Unweit der nordkoreanisch-chinesischen Grenze im Nordosten des Landes auf dem Testgelände in Punggye-ri bebte die Erde. In Südkorea, Japan, China und den USA wurde ein Beben von 5,1 auf der nach oben offenen Richterskala gemessen. Eine neue Stufe in der Entwicklung Nordkoreas als Atommacht sei erreicht worden, jubelten die nordkoreanischen Staatsmedien. Wie nordkoreanische Fernsehbilder zeigen, starrten Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner gebannt auf die Fernsehschirme, als die traditonell gekleidete Nachrichtensprecherin feierlich erklärte: „Der erfolgreiche Wasserstoffbombentest ist ein in der Welt Aufsehen erregendes Ereignis, das in der 5‘000 Jahre alten Nationalgeschichte einen besonderen Platz einnehmen wird“. Damit gehöre Nordkorea zum Kreis jener Länder, die „über fortgeschrittene Atomwaffentechnik“ verfügten.
Nicht mehr „so eng wie Lippen und Zähne“
Die amtliche Nachrichten-Agentur KNCA bezeichnete den Test als „Massnahme der Selbstverteidigung gegenüber den von den USA angeführten feindlichen Kräften, die Nordkorea nuklear bedrohen und erspressen“. Was in diesem Zusammenhang bei jedem Besuch in Nordkorea immer wieder auffällt, ist die Tatsache, dass die amerikanischen Atomwaffen und die US-Truppen in Südkorea als akute Bedrohung wahrgenommen werden. Das mag durch Propaganda erzeugte Paranoia sein, doch sollten die Ängste ernst genommen und im diplomatischen Kalkül miteinbezogen werden.
Ob es sich beim neuesten Test tatsächlich um eine Wasserstoffbombe handelt, darüber streiten sich die Experten. Die Skepsis ist weltweit jedenfalls gross. Doch nach den Tests von 2006, 2009, 20013 und 2016 steht fest, dass der Traum von der denuklearisierten koreanischen Halbinsel weiter entfernt ist denn je. Die Volksrepublik China fühlt sich besonders düpiert. Noch im Oktober sandte Peking das hochrangige Politbüromitglied Liu Yunshan zum 70. Geburtstag der Koreanischen Arbeiterpartei nach Pjöngjang. Und jetzt wird der chinesische Bündnispartner nicht einmal mehr – wie bei den Tests zuvor – rechtzeitig im Vorfeld des Atomknalls gewarnt. Nordkorea nimmt ganz offensichtlich neue Sanktionen und Ärger mit China in Kauf. Noch ist das Reich der Mitte der einzige aussenpolitische Partner und – dies vor allem – die unverzichtbare wirtschaftliche Lebensader. Doch die Zeiten unter Gründervater Kim Il-sung sind längst vorbei, als die chinesisch-nordkoreanische Freundschaft noch als so „eng wie Lippen und Zähne“ gefeiert wurde. Unter Enkel Kim Jung-un ist diese Freundschaft allenfalls noch so eng wie Lippen und Stacheldraht.
Das Pulverfass in Nordostasien
China reagierte ungehalten auf das künstlich erzeugte Erdbeben nahe seiner Grenze. In einem Kommentar bezeichnete die amtliche Nachrichten-Agentur Xinhua (Neues China) den Atomtest als „höchst bedauerlich“ und einen „Verstoss gegen alle Uno-Resolutionen“. Zwar zeigte Xinhua ein gewisses Verständnis für „das tiefe Gefühl der Unsicherheit nach Jahren der Feindschaft durch die USA“, doch „Nordostasien in ein Pulverfass zu verwandeln, dient niemanden in der Region – auch nicht Nordkorea selbst“. Kurz, so folgert Xinhua, der Atomtest sein ein „Schlag“ gegen den angestebten Prozess zur atomwaffenfreien koreanischen Halbinsel.
Die Sprecherin des Chinesischen Aussenministeriums, Hua Chunying, machte klar, auf welcher Linie es weitergehen soll. Sie forderte Nordkorea auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und sein Atomwaffenprogramm aufzugeben. Mit dem Verhandlungstisch sind natürlich die Pekinger Sechser-Gespräche gemeint, an denen Süd- und Nordkorea, Japan, China, Russland und die USA beteiligt sind, beziehungsweise bis 2009 beteiligt waren. Damals zog sich Nordkorea einseitig zurück. Doch Verhandlungen, so Xinhua, sind „der einzig aussichtsreiche Weg aus dem regionalen Morast“. Friede und Sicherheit, so dagegen die Führung in Pjöngjang, könne nicht durch „demütige Verhandlungen“ erreicht werden. Für China ist Nordkorea mittlerweile zu einer Belastung geworden, doch ohne Alternative. Die chinesische Nordkorea-Politik wird weiterhin vom Grundsatz der territorialen Integrität und Stabilität Nordkoreas geleitet. Ein Regimewechsel, so die Befürchtung in Peking, würde die Position der USA in Asien stärken. Aber auch für die USA, Südkorea sowie Japan ist wohl der Status Quo auf mittlere Sicht die beste Lösung. Ein Zusammenbruch in Nordkorea würde Ostasien ins Chaos stürzen.
Das Blaue vom Himmel
So heftig die Reaktionen aller betroffen Staaten sowie der Uno auch sein mögen, sie zeigen auch die diplomatische und machtpolitische Hilflosigkeit und Ohnmacht. Seit einem Vierteljahrhundert, notabene. Nordkorea hat immer wieder das Blaue vom Himmel versprochen und unzählige Vereinbarungen unterzeichnet und kaum je auch nur das kleinste Versprechen gehalten. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich die nahe Zukunft vorzustellen. Die Uno wird eine neue Resolution verabschieden, eventuell werden die Sanktionen verschärft, Kim Jong-un wird neue – durch Uno-Resolutionen verbotene – Raketentests durchführen und wird es schliesslich wieder knallen lassen.
Die Frage bleibt, wie lange der geduldige Bündnispartner China weiter zusehen will. Je länger nämlich die Krise dauert, umso grösser wird die Gefahr, dass andere Staaten – etwa Japan oder auch Iran – über eigene A-Waffen nachzudenken beginnen. Technisch wären sie in kürzester Zeit dazu in der Lage. Kim Jong-un jedenfalls hat es mit seinem Feuerwerk einmal mehr geschafft, dass Nordkorea auf der Weltbühne ernst genommen wird. Damit hat er ebenso daran erinnert, dass es neben dem Nahen Osten auch in Asien gefährliche Brandherde gibt.