Das nordkoreanische Atomwaffenprogramm ist die Lebensversicherung der Dynastie Kim. Es ist auch das einzige Mittel, mit dem die Herrscher des völlig isolierten und verarmten Landes internationale Aufmerksamkeit erregen können. Das haben sie jetzt wieder getan, indem sie die erfolgreiche Erprobung einer Wasserstoffbombe verkündeten.
Die Wissenschaftler in aller Welt sind sich ziemlich einig, dass die nordkoreanische Führung blufft. Das von den Messstationen aufgezeichnete Erdbeben lässt auf eine unterirdische Explosion in der Stärke von sechs Kilotonnen (6000 Tonnen) des herkömmlichen Sprengstoffs TNT schliessen. Das ist wenig. Schon die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von zehn bis 15 Kilotonnen TNT.
Offenbar ein Bluff
Thermonukleare Atomwaffen – zu denen die Wasserstoffbomben gehören – sind nicht leicht herzustellen. Ihre in Megatonnen (Millionen Tonnen) TNT gemessene Energie entsteht durch die Verschmelzung der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium oder Lithium. Da zur Einleitung einer solchen Fusion hohe Temperaturen von einigen Millionen Grad erforderlich sind, wird ein nuklearer Sprengkörper aus Uran 235 oder Plutonium 239 als Zünder benützt.
Die Nordkoreaner haben in den letzten Jahren immer wieder den grossen Durchbruch bei der Entwicklung einer Wasserstoffbombe gemeldet. Ernst genommen wurden sie nie. Sie wollten jetzt den Beweis antreten. Der wahrscheinliche Grund für das Misslingen des Tests liegt wohl darin, dass der nukleare Zünder nicht die Reaktion der leichten Wasserstoffkerne einleitete.
Der Weltsicherheitsrat hat das Vorgehen Nordkoreas scharf verurteilt und stellt „schwerwiegende Massnahmen“ in Aussicht. Die Machthaber in Pjöngjang werden diese Gesten kaum beeindrucken. Sie sind es gewohnt, auf der internationalen Bühne als Parias behandelt zu werden.
Pekings Dilemma
Mehr Gewicht hat die Haltung Chinas. Nordkorea hängt wirtschaftlich stark von China ab. Die vom Dynastiegründer Kim Il Sung verkündete Doktrin der völligen Autarkie des Landes – Dschutsche genannt – hat sich als Illusion herausgestellt. China ist über das Atomwaffenprogramm Nordkoreas höchst erbost. Das Testgelände liegt nahe der chinesischen Grenze. Schwerer wiegt, dass ein mit modernen Atomwaffen gerüstetes Nordkorea eine strategische Pattsituation mit China erreichen würde.
Die Regierung in Peking steht aber vor einem Dilemma. Ein Sturz des nordkoreanischen Regimes hätte unabsehbare Folgen. Sicher wären Flüchtlingsströme nach China. Wahrscheinlich wäre eine von allen Koreanern angestrebte Wiedervereinigung der beiden Landesteile. Die USA als derzeitige Schutzmacht Südkoreas würden dann ihre militärischen Vorposten bis an die chinesische Grenze projizieren.
Dass sich die Lage so zugespitzt hat, ist nicht zuletzt dem früheren US-Präsidenten George W. Bush anzulasten. Bushs Amtsvorgänger Bill Clinton erzielte 1994 nach schwierigen Verhandlungen in Genf ein Abkommen mit Nordkorea. Die Regierung in Pjöngjang verpflichtete sich darin, ihr gesamtes militärisches und ziviles Atompotential zu verschrotten und dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. Als Gegenleistung versprachen die USA den Bau von zwei modernen Atomkraftwerken und die Lieferung von Erdöl als Überbrückungshilfe. Tatsächlich wurde der nordkoreanische Schwerwasserreaktor Yongbyon, in dem das für Atombomben benötigte Plutonium entstand, unter Kontrolle der Internationalen Atomenergie-Organisation zerstört.
Windwechsel in Washington und Pjöngjang
Die entscheidende dritte Runde der Atomverhandlungen zwischen Nordkorea und den USA begann im Oktober 1994 mit einem Knalleffekt. Einen Tag nach dem Auftakt starb der nordkoreanische Diktator Kim Il Sung an einem Herzinfarkt. Der schon lange kranke Gründer der Dynastie wollte offenbar durch einen Ausgleich mit Washington seine Hinterlassenschaft absichern. Sein fast göttlicher Machtanspruch stand historisch auf schwachen Beinen. Entgegen der offiziellen Biografie hatte nicht er im Zweiten Weltkrieg an der Spitze einer Partisanenarmee die Japaner aus seiner Heimat vertrieben. Das taten vielmehr sowjetische Truppen. Kim Il Sung lebte zu jener Zeit in der Sowjetunion. Später ernannte ihn Stalin zu seinem Statthalter im Norden des mit den USA aufgeteilten Landes.
Nach dem Tod von Kim Il Sung setzte dessen Nachfolger Kim Jong Il zunächst die Politik seines Vaters fort. Am 17. Oktober 1994 wurde das Rahmenabkommen mit den USA in Genf unterzeichnet. Nordkorea setzte seine Verpflichtungen um. Die USA und Japan lieferten Erdöl.
Unter George W. Bush drehte sich der Wind. Der US-Präsident erlag den Einflüsterern, die auf einen aktiven „Regimewechsel“ in Pjöngjang, Bagdad und Teheran drängten. Der Kim-Clan schien nach anhaltenden Missernten und Hungersnöten vor dem Aus zu stehen. 2002 bezeichnete Bush Nordkorea, Irak und Iran als die „Achse des Bösen“ und stellte die Öllieferungen an Pjöngjang ein. Daraufhin nahm Nordkorea sein Nuklearprogramm wieder auf und kündigte den Atomwaffensperrvertrag. Alle weiteren Gespräche, bei denen China als Vermittler auftrat, verliefen im Sande.
Kim Jong Un ist zweifellos ein unberechenbarer Störenfried. Mit Drohungen allein wird ihm aber nicht beizukommen sein. Die Gefahr einer Affekthandlung nimmt zu. Eine einige Staatengemeinschaft muss Nordkorea an den Verhandlungstisch bringen.