Viele hatten ihn für immer abgeschrieben. Aber Strauss-Kahn leibt und lebt, zwar alles andere als ruhmreich, vielmehr reichlich unappetitlich. Und alles spielt sich fern von Frankreich ab. Dort ist der frühere Inhaber so vieler hoher Ämter in aller Diskretion unterwegs – allerdings auf einigen ganz neuen Baustellen.
DSK, so die Kurzformel seines Namens, die für eine gewisse Berühmtheit steht. Er ist Ex-Chef des Weltwährungsfonds, Ex- Wirtschaftsminister unter Regierungschef Jospin und Präsident Chirac Ende der 90er Jahre, Ex-Wirtschaftsprofessor und Ex-Bürgermeister der Pariser Vorstadt Sarcelles in den 1980ern und schliesslich auch noch, und vor allem, der einst so gut wie sichere Kandidat der damals noch ansehnlichen Sozialistischen Partei Frankreichs für die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2012.
Absturz über Nacht
Dass er aber auch in der Rolle des Präsidentschaftskandidaten als Ex endete, liegt an den Ereignissen des 14. Mai 2011, als der Noch-Chef des Weltwährungsfonds von der New Yorker Polizei am Kennedy- Airport kompromisslos aus einer abflugbereiten Maschine mit Ziel Paris-Charles de Gaulle geholt wurde.
Der Grund: Eine Angestellte des New Yorker Sofitel Hotels, das DSK wenige Stunden vorher verlassen hatte, bezichtigte ihn eines Vergewaltigungsversuchs. Eigentlich wollte Strauss-Kahn nach Berlin fliegen. Er hatte dort am nächsten Tag einen Termin mit der deutschen Kanzlerin. Dass der nun geplatzt war, sollte nicht mehr Strauss-Kahns Hauptsorge sein.
Denn er, einer der mächtigsten Männer der Welt, wurde – man erinnert sich – in New York wenige Stunden nach seiner Festnahme in Handschellen und vor laufenden Kameras aus einem Polizeikommissariat in Harlem geführt und für vier Tage in das berüchtigte New Yorker Gefängnis Rikers Island verfrachtet. Bilder, die um die Welt gingen und Strauss-Kahns Karriere als IWF Chef, aber auch als Politiker in Frankreich für immer beenden sollten.
Dank seiner damaligen Ehefrau, Anne Sinclair, Enkeltochter und höchst vermögende Erbin eines der grössten Kunsthändlers des 20. Jahrhunderts – Paul Rosenberg – konnten für sein Freikommen unter strengsten Auflagen aus dem Inselgefängnis mit rüden Sitten eine Million Dollar an Kaution und 5 Millionen als Garantie gestellt, ein sündhaft teueres Haus in New York gemietet und die Kosten für einige Staranwälte aufgebracht werden.
Das Resultat: Knapp drei Monate nach dem mutmasslichen Vergewaltigungsversuch verzichtete die New Yorker Justiz darauf, ein Strafverfahren gegen den Ex-IWF-Chef zu eröffnen.
Und Anfang September 2011 war Strauss-Kahn an der Seite seiner Frau dann wieder zurück in ihrem herrschaftlichen Stadtpalais an der Pariser Place des Vosges.
Das Zivilverfahren gegen Strauss-Kahn in New York endete im Dezember 2012 mit einem finanziellen Vergleich, bei dem das Opfer des mutmasslichen Vergewaltigungsversuchs 1,5 Millionen Dollar erhalten haben soll.
Carlton Affäre
Auch diese Summe dürfte Ehefrau Anne Sinclair noch berappt haben für den Mann, mit dem sie seit 1991 verheiratet war, den sie im Sommer 2012 dann aber doch bitten sollte, ihre gemeinsame Wohnstätte zu verlassen und die Scheidung zu akzeptieren.
Denn kaum war DSK nach den vier turbulenten New Yorker Monaten wieder auf französischem Boden zurück, war im November 2011 die nächste Affäre über ihn hereingebrochen und schon wieder ging es um Sex und schon wieder gab ein Hotel dieser Affäre ihren Namen: Man nannte es die «Carlton-Affäre», nach dem besten Hotel im nordfranzösischen Lille. Eine Affäre, bei der es um Sexpartys und schwere Zuhälterei ging und Dominique Strauss-Kahn als derjenige dastand, zu dessen Gunsten und Vergnügen und nach dessen Terminkalender diese «parties fines» organisiert worden waren – hier und dort, unter anderem im Carlton in Lille, in Paris und selbst in Washington. Ein merkwürdiger Ring aus alten nordfranzösischen Sozialistenfreunden, einem belgischen Bordellbetreiber, sowie einigen Honoratioren und Geschäftsleuten aus Lille und Umgebung hatte dafür gesorgt, dass DSK, der bekennende Libertin, zufriedengestellt wurde.
Am Ende ist in dieser Affäre so gut wie niemand verurteilt und Strauss-Kahn nach einem Prozess, der erst im Februar 2015 über die Bühne ging, in allen Punkten freigesprochen worden.
Casablanca, mon amour
Ein Zeitpunkt, zu dem Dominique Strauss Kahn bereits seit gut zwei Jahren in aller Stille, fernab vom Pariser Trubel und den französischen Medien, ein neues Leben begonnen, eine neue Lebensgefährtin und neue Einkommensquellen gefunden hatte.
Wie der ehemalige Hoffnungsträger der französischen Sozialisten sich sein neues Leben gestaltet hat, erfuhr man die Jahre über meistens nur aus der Klatschpresse.
Da gab es 2013 ein Foto, auf dem DSK plötzlich – und warum eigentlich – am Arm einer blonden Frau über den roten Teppich bei den Filmfestspielen in Cannes stolzierte. Der Regenbogen erzählte, es handle sich bei der Dame um Myriam L’Aouffir, eine Franko-Marokkanerin, die in Casablanca eine Werbeagentur betreibe.
Ein paar Jahre später berichteten dieselben französischen Blätter, dass Dominique Strauss-Kahn diese Frau geehelicht hat und beim Hochzeitsfest in Marrakesch 400 Gäste anwesend waren, unter ihnen eine Menge VIPs und sogar auch noch ein paar französische Sozialisten.
Was das Stehaufmännchen DSK aber sonst noch so getrieben hat im letzten Jahrzehnt, um nach seinem New Yorker Totalabsturz 2011 wieder auf die Beine zu kommen, dies erfuhr die breite Öffentlichkeit in seiner ganzen Tragweite erst 10 Jahre später, in diesem Herbst 2021.
Und da entdeckte diese Öffentlichkeit plötzlich einen DSK, der äusserst lukrative Beratertätigkeiten für zwielichtige afrikanische Potentaten an Land gezogen und anschliessend grosse Anstrengungen unternommen hat, die dabei erzielten Gewinne in Steuerparadiesen anzusiedeln, um jahrelang nichts an den Fiskus abgeben zu müssen.
Pandora Papers
Es ist die Rede von der Veröffentlichung der «Pandora Papers» Anfang Oktober dieses Jahres, welche Informationen über Hunderte reiche Geschäftsleute, Prominente, ehemalige Spitzensportler und Vermögende aus aller Welt enthielten und zeigten, wie sie ihr Vermögen in Steuerparadiesen geparkt hatten oder immer noch haben. Und unter ihnen fand sich eben auch Monsieur Ex, unter anderem ehemaliger IWF Chef, Dominique Strauss-Kahn.
Aus den «Pandora Papers» lernt man zunächst, dass DSK, der Frankreich 2012, noch bevor die Zivilklage gegen ihn in New York abgeschlossen war, den Rücken gekehrt hatte, seit 2013 eine Aufenthaltsgenehmigung für Marokko besitzt und dort seitdem im Prinzip auch steuerpflichtig ist, in Casablanca im Mai 2013 eine Beratungsfirma unter dem unverfänglichen Namen «Parnasse International» gegründet hatte, deren einziger Aktionär und deren einziger Angestellter er selbst war.
Diese Firma wurde in einer damals gerade eben geschaffenen Freihandelszone am Rande der marokkanischen Wirtschaftsmetropole Casablanca registriert. «Casablanca Finance City» (CFC) heisst der Offshore Platz, wo ein Unternehmen, das diesen Ort zu seinem Firmensitz erklärt, in den ersten fünf Jahren seines Bestehens keinerlei Steuern zu entrichten hat. Die OECD setzte daraufhin Marokko auf die graue Liste der Steuerparadiese.
Das Pikante dabei: DSK soll an der Ausarbeitung der Statuten und des juristischen Rahmens für diese marokkanische Freihandelszone mitgearbeitet haben und dafür in den Jahren 2012 und 2013 mit 2,4 Millionen Euro entlohnt worden sein.
Dies war der lukrative Anfang und Grundstock für die neuen Geschäfte des ehemaligen IWF-Chefs, die sich bis heute ganz überwiegend auf Beratertätigkeiten für Regierungen auf dem afrikanischen Kontinent erstrecken.
Den langjährigen Diktator der Volksrepublik Kongo, Denis Sassou Nguesso, zählt Strauss-Kahn seither ebenso zu seinen Kunden wie dessen Amtskollegen in Togo, Faure Essozimna Gnassingbé. In Tunesien hat DSK zwischendurch für das Zustandekommen eines internationalen Wirtschaftsforums gearbeitet und versucht in jüngster Zeit, auch den Präsidenten von Mauretanien zu seinem Kunden zu machen. Zuvor hatte er auch noch für Serbien Beratertätigkeiten ausgeübt, ebenso für einige russische Potentaten.
Zwischen 2013 und 2018 hat seine Firma «Parnasse International» einen Gewinn von über 20 Millionen Euro erwirtschaftet, 5,5 Millionen allein im Jahr 2018, und all dies, ohne auf diesen Gewinn in Frankreich, Marokko oder wo auch immer auch nur einen Dirham, Euro oder Dollar Steuern zu zahlen.
Nach fünf Jahren hätte «Parnasse International» mit Sitz in der «Casablanca Finance City» lächerliche 8,5% Unternehmenssteuern zahlen müssen, doch selbst das war dem ehemaligen Hoffnungsträger der französischen Sozialisten zu viel.
Also gründete er einfach eine neue Firma mit leicht geändertem Namen «Parnasse Global Limited» und fand für ihren Sitz einfach ein anderes Steuerparadies.
Vereinigte Arabische Emirate
«Parnasse Global Limited» ist seit 2018 in Ras al-Khaimah angesiedelt, einem nur wenig bekannten Territorium in den Emiraten, mit 180’000 Einwohnern, gerade mal 50 auf 30 Kilometer gross, nordöstlich von Dubai gelegen. Ein Ort mit hypermodernen Hochhäusern, vollgestopft mit Briefkastenfirmen, wo niemand nach der Herkunft eines Vermögens fragt, Unternehmen überhaupt keine Steuern zahlen und ihre Bilanz nicht offenlegen müssen und selbstverständlich hundertprozentige Diskretion geniessen.
Es fehlen nicht der internationale Flughafen, die Luxushotels oder der Yachthafen, und selbst eine amerikanische Universität hat sich dorthin verirrt.
Insider sprechen davon, dass Ras al-Khaimah derzeit das perfekteste Steuerparadies der Welt sei.
Strauss-Kahn hatte im Januar 2018 ein Anwaltsbüro in Genf damit beauftragt, sich um seine Firmengründung im arabischen Steuereldorado zu kümmern und war Ende März höchstpersönlich für die letzten Formalitäten angereist. Seit dem 3. April ist seine Firma, die vor Ort auch ein Bankkonto hat, offiziell in Ras al-Khaimah registriert.
Was sie dort seit fast 4 Jahren so treibt, weiss niemand, denn, wie gesagt: Diskretion geht über alles. Deswegen weiss man zum Beispiel nicht, ob Strauss-Kahn weiter für den russischen Erdölgiganten Rosneft arbeitet, der ihm 2017 1,7 Millionen Euro überwiesen hat oder für das chinesische Konsortium HNA, dem seine Ratschläge 400’000 Euro wert waren.
Fünf Jahre, bevor sich DSK ein zweites Steuerparadies ausgewählt hat, hatte er 2013 eine reichlich kryptische Äusserung zum Besten gegeben und zwar vor einem Untersuchungsausschuss des französischen Senats zum Thema Steuerflucht, vor den er als Experte und ehemaliger IWF-Chef geladen worden war.
«Es gibt Offshore Orte, die nicht unbedingt Steuerparadiese sind», liess Strauss-Kahn die verblüfften Abgeordneten wissen.
Eine Äusserung, die aus heutiger Sicht, angesichts von Strauss-Kahns geschäftlichen Aktivitäten des letzten Jahrzehnts einen dezidiert schalen Nachgeschmack hinterlässt.
Kollateralschäden?
Die Frage muss erlaubt sein: Wenn derjenige, der vor einem Jahrzehnt im französischen Präsidentschaftswahlkampf die Hoffnungen der Linken hätte verkörpern sollen, seitdem einen derartigen, alles andere als moralischen, sondern vor allem skrupellos geschäftstüchtigen Weg eingeschlagen hat, so himmelweit entfernt von den Sorgen der so genannten kleinen Leute ist, wen soll es da wundern, dass heute fast niemand mehr dem Trümmerhaufen der französischen Sozialisten seine Stimme geben möchte ?
Es geht nicht um Strauss-Kahns libertäres Sexualleben. Dieses ist seine ureigenste Angelegenheit. Geschenkt.
Doch wenn man nun sieht, wie ein dereinst möglicher sozialistischer Präsidentschaftskandidat sich das letzte Jahrzehnt lang gebärdet hat, nämlich wie einer von ganz oben, nicht anders als so viele Grossindustrielle, Neureiche, Geschäftsleute, Geldscheffler und Vermögende aller Art, dann ist klar, dass in Frankreich kein Amazon-Sklave, kein ausgebeuteter Pizzalieferant oder Paketzusteller, keine schlecht bezahlte Alten- oder Krankenpflegerin, keiner aus diesem Proletariat der Dienstleistungsgesellschaft heute noch die Partei wählen kann, für die ein Strauss-Kahn einst Präsident werden wollte.