Die Mamluken sind die Soldaten, die Ägypten mit einigen kurzen Unterbrüchen seit 1250 regieren. Damals haben die Mamluken, die eigentlich Militärsklaven sind, den kreuzfahrenden französischen König Saint Louis bei Damietta besiegt und die 800'000 Goldstücke seines Lösegelds gewinnbringend angelegt. So festigten sie ihre Herrschaft über das Niltag.
Mamluken und Neo-Mamluken
Das Mamluken-Regime funktionierte so, dass die Waffensklaven (stets aus dem Kaukasus importiert) »Familien« bildeten, die einem Obermamluken unterstellt waren. Diese Obermamluken intrigierten gegeneinander und bekämpften sich solange, bis einer von ihnen die Oberherrschaft erstritten hatte. Er wurde »Scheich al-Balad«, »der Alte des Landes«, genannt und mit dem Titel Sultan (was »le pouvoir« bedeutet) geehrt. Wenn er starb, konnte entweder ein von ihm bestimmter Nachfolger die Macht übernehmen, oder die »Familien« mussten solange gegeneinander kämpfen (den Schaden davon hatte das ägyptische Volk), bis ein neuer »Scheich al-Balad« die Macht monopolisierte - zur Erleichterung aller Ägypter, weil dann wenigstens die inneren Kriege beendet waren.
Die Neo-Mamluken herrschen nach diesem Modell. Se sind nur »modernisiert« und »verwestlicht«. Sie kaufen ihre Waffen in den USA ein, und zwar mit Geld, das ihnen der amerikanische Kongress zur Verfügung stellt (1,3 Milliarden Dollar im Jahr). Als Gegenleistung sorgen die Neo-Mamluken dafür, dass der Frieden mit Israel und eine gewisse Zusammenarbeit mit Israel fortdauert. Die Zusammenarbeit wird "Sicherheitszusammenarbeit" genannt, und sie besteht primär in der Niederhaltung der Muslimbrüder, sowohl in Ägypten wie im Gazasteifen (wo man sie Hamas nennt).
Die Neo-Mamluken machten auch Geschäfte. Ihr Reichtum basierte auf Grundbesitz und ihre Überschüsse wurden in immer neuen Grundbesitz investiert, weshalb sie allmählich die Grossgrundbesitzer Ägyptens wurden. Auch die Neo-Mamluken kaufen gern Land, oder lassen sich das Land einfach vom Staat zuteilen. Sie sind insofern modern, als sie dann eine Gesellschaft gründen, die ein Hotel auf das Land baut, ein Luxushotel für Touristen natürlich; oder ausnahmsweise auch eine Fabrik. Wo die Mamluken Verwalter beschäftigten, die ihre Bauern ausbeuteten, verwenden die Neo-Mamluken Bankiers, Juristen, Geldfachleute aller Art, um ihren Reichtum zu mehren.
Die Quelle dieses Reichtums ist das ägyptische Volk. Doch die Gelder, die so gemacht werden, fliessen nur spärlich nach Ägypten zurück. Die Neo-Mamluken sind auch insofern modern, als sie lieber in New York und an der Bahnhofstrasse einkaufen, als in ihrem eigenen Land.
Die Mamluken legten einst auf die besten Waffen und Pferde grossen Wert. Auch die Neo-Mamluken wollen nur das Beste und Schönste, was weltweit zu haben ist. Technologie aller Art, aber auch Lebensformen, die jenen der amerikanischen Millionäre und Filmstars entsprechen. Nach Schätzungen des "Guardian" ist Mubarak und sein nächster Familienclan gegenwärtig 70 Milliarden Dollar wert. Andere Schätzungen sprechen von bloss 40 Milliarden. Rund um die Neo-Mamluken-Regierung herum haben sich Geschäftsleute angesiedelt, die alle auch ein paar Milliarden besitzen. Es ist einfach für sie Milliardäre zu werden, weil der neo-mamlukische Staat ihnen Privilegien und Oligopole hochhält, natürlich unter der Vorbedingung, dass sie den Neo-Mamluken stets ihren Anteil zukommen lassen.
Magere Läuse, die sich vollsaugen müssen
Es gab bisher einen Club dieser Milliardäre und ihrer Helfer und Helfershelfer. Er hiess NDP oder Nationale Demokratische Partei, und besass die absolute Mehrheit im Parlament. Er wurde nicht aufgelöst, er hat aber jetzt eine neue Führung erhalten. Dabei ist an die Weisheit Solons zu erinnern, der wusste, »wenn das Volk neue Führer erhält, hat das auch seine Nachteile. Sie sind neue Läuse, noch magere, die sich voll saugen müssen. Die alten, die ganz vollgesaugt sind, fallen ab.«
Man muss auch daran erinnern: Wenn die ägyptische Regierung vom Wachstum des Nationaleinkommens spricht (sie nennt gerne hohe Zahlen von 5 oder 6 % pro Jahr, wobei freilich ein Wachstum von knapp unter 3% der Bevölkerung in Rechnung gestellt werden müsste) - so ist damit vor allem das Wachstum der Milliardäre gemeint. Die Bevölkerung bekommt davon wenig zu spüren, im Gegenteil: ihre grosse Mehrheit verarmt weiter.
Die Macht der Waffen
Die Machtbasis der Neo-Mamluken ist nach wie vor die gleiche wie die Macht der Mamluken: jene der Waffen. Nach wie vor brauchen sie Soldaten, die diese Waffen führen. Sie sind aber auch in diesem Bereich modernisiert. Sie haben ihre Soldaten zu einem »Nationalen Heer« zusammengefasst, dessen Personal sie in Ägypten selbst teils ausheben (für die gewöhnlichen Soldaten), teils einschulen und permanent besolden (Berufsoffiziere, Unteroffiziere, technische Fachkräfte).
Das Neo-Mamlukische Regime begann mit dem Staatsstreich Abdel Nassers von 1952, der die Armee an die Macht brachte, und es dauert bis heute an. Es hat bisher drei neo-mamlukische "Scheich al-Balad" (modernisiert "Präsidenten") gegeben, Nasser, Sadat, Mubarak und ein vierter steht schon vor den Kulissen, Omar Solaiman. Die Waffensklaven der Neo-Mamluken werden nicht mehr aus dem Kaukasus importiert, sondern in Ägypten selbst ausgehoben. Sie gelten als ein Nationales Heer und verstehen sich als ein solches. Dies bedeutet für ihre Kommandanten, dass sie sich auch national geben und womöglich sogar national empfinden müssen. Daher konnten (und wollten?) sie ihren Soldaten nicht befehlen, auf die demonstrierenden Volksmassen zu schiessen.
Bewahrung des politischen Monopols
Doch die neo-mamlukischen Machthaber (alle von Generalsrang, wenn sie nicht Marschälle sind) wissen, dass sie ihre Privilegien, ihre Machtpositionen und die Quellen ihres Reichtums nicht erhalten können, wenn sie dem Volk zuviel Mitspracherechte einräumen. Das Volk würde dann, über ein echtes Parlament, Gesetze machen, welche sogar von den Militärs eingehalten, oder mindestens berücksichtigt werden müssten. Es gäbe Gerichte, die sich an diese Gesetze zu halten suchten. Es gäbe sogar eine nationale Presse und elektronische Medien, die versuchen würden Abweichungen von diesen Rechtsnormen nachzuspüren und sie anzuprangern. Es gäbe Parteien, deren Leitung nicht sie, sondern von diesen Parteien selbst bestimmte Führungsfiguren übernähmen.
Die Armee würde langsam heruntergestuft. Statt Instrument der Machtausübung würde sie zu einer auf die äussere Verteidigung des Staates spezialisierten Institution. Für die Soldaten und unteren Offiziere würde dies keinen grossen Unterschied machen, wohl aber für die Armeespritzen, die heute direkt den Staat beherrschen und teils direkt, teils indirekt auch sein Wirtschaftssystem. Dank dem Notstandsgesetz unter dem sie seit 1981 regierten, haben auch die Gerichte viel Macht verloren. Die Machthaber können immer Militärgerichte einschalten, wenn es um Dinge geht, die ihnen wichtig sind.
Folterverliesse wie eh und je
Die Mamluken kamen nicht aus ohne ihre Verliesse und Folterkammern. Diese benötigten sie, um die von ihnen ausgebeutete Masse der Ägypter im Zügel zu halten. Schon sie hatten ihre Polizei, die mit Spionen und Agenten arbeitete, und die Polizei hatten ihre Foltermethoden. Bei den Neo-Mamluken hat sich dieser Aspekt der Machtausübung nicht geändert, aber er wurde systematisiert und modernisiert. Man spioniert nicht nur auf den Strassen und in den Häusern, sondern auch elektronisch, man hört die Telefone ab, übrigens auch jene der Offiziere, damit der Oberste Machthaber möglichst sicher ist, dass sie keinen Coup gegen ihn vorbereiten. Elektrizität wird auch verwendet, um wirkungsvoller zu foltern. Doch die altbewährten sadistischen Methoden der sexuellen und besonders analen Folterungen blühen ebenfalls. Modernisiert wurden auch die Methoden der Aufstandsbekämpfung auf offener Strasse wie die aus den USA importierten Tränengaskanister dokumentieren, die gegenwärtig reichlich eingesetzt werden.
Weil das entscheidende Machtinstrument der Neo-Mamluken, die ägyptische Armee, aus Söhnen des ägyptischen Volkes besteht, muss ihre Führung eine gewisse Sorgfalt walten lassen. Sie kann nicht wissen, was geschehen würde, wenn sie den Befehl erteilte, auf Massen von Ägyptern zu schiessen. Die Gefahr bestünde für sie, dass sich ihre Soldaten oder Teile davon gegen die Führung wenden könnten. Daher beschloss die militärische Führung, nicht auf die Ägypter zu schiessen, als diese sich seit dem 25. Januar in gewaltigen Massen zu Demonstrationen zusammenfanden. Die Führung erklärte sogar mit zunehmender Deutlichkeit, sie werde nicht schiessen lassen. Sie versuchte statt dessen die Polizei mit der ihr zustehenden Aufgabe der Kontrolle der Volksmassen zu betrauen. Doch dies misslang in einer ersten Phase mit den normalen Mitteln der Volksberuhigung: Knüppel, Tränengas, Schutzschilder und Verhaftung der Führungsfiguren. Die Polizei war den Massen nicht gewachsen. Die Führungsfiguren, soweit es solche gab, hielten sich bedeckt.
Eine zweite Phase der Polizeiaktion wurde versucht, indem die Polizei gewalttätige Gegendemonstrationen "für Mubarak" organisierte, mit dem Ziel, die Demonstranten niederzuringen. Doch auch dies misslang. Die von der Polizei und von einigen der Regime-Milliardäre eingesetzten Schlägertruppen verhielten sich derart gewalttätig, dass es zu Strassenschlachten kam. Der militärische Führung war unklar, ob nicht ihre Soldaten, die mitten in den Strassenschlachten standen, auf Seite der Demonstranten wechselte und gegen die Polizeischläger vorgehen - Schläger übrigens, die auch ihnen verhasst sind. So wurde angeordnet, die Schläger zurückzunehmen und die Armeepräsenz auf den Strassen zu verstärken.
Verhandlungen unter Führung der Neo-Mamluken
In dieser Patt-Situation zwischen dem Regime, symbolisiert einerseits durch die Leitfigur Husni Mubarak und anderseits durch die Demonstranten, die einen Rücktritt Mubaraks verlangten, war es der neu ernannte Vize-Präsident Omar Solaiman, ein Geheimdienstchef von Generalsrang, der als der zweite Mann des Regimes die Leitung übernahm.
Er zeigte sich bereit, mit den Unruhestiftern zu verhandeln. Schon die mamlukischen Machthaber hatten jeweilen ihren "Vize", er wurde "Kehia" genannt, was "Stellvertreter" bedeutet, und er war oft die agile Figur, die der "Alte vom Lande" vorschicken konnte, wenn es um Kompromisse ging, die fällig geworden waren. Was dann natürlich auch manchmal die Ablösung des "Alten vom Lande" durch seinen Stellvertreter herbeiführen konnte - etwa wenn die notwendigen Kompromisse überfällig geworden waren, weil der "Alte" zu starr an seinen althergebrachten Machtmethoden hatte festhalten wollen.
All dies bedeutet für die heutige Lage in Ägypten: die Neo-Mamluken sind immernoch an der Macht. Wie der libanesische Beobachter Rami Khuri schrieb: "Die Ersetzung eines Generals durch einen anderen ist nicht Freiheit". Der Kehia strebt nun die Beruhigung des Volkes an, indem er jene Konzessionen einzugehen anbietet, die nicht den Kern der Macht angreifen. Ein gefälligeres Scheinparlament als das bisherige, zum Beispiel mit Minderheiten aus den Oppositionsgruppen, solange der Staatsmacht, das heisst dem Militär und seinen Werkzeugen, die Macht bleibt, die Parlamentswahlen so zu steuern (resp. zu fälschen) dass die Minderheiten keine Mehrheiten werden. Versprechen einer möglichen Aufhebung des Notstandes und einer Rückkehr zum Rechtsstaat, "falls die Sicherheit dies erlauben sollte", möglicherweise sogar eine Zusage, dass der "Alte vom Lande" nicht mehr direkt in die Regierungsfragen eingreifen werde mit der stillschweigenden Ergänzung, Solaiman selbst werde dies tun. Möglicherweise Anerkennung von Parteien, wobei Einschränkungen über die näheren Vorbedingungen immer noch später niedergelegt werden können usw.
Seine Gesprächspartner wissen, worum es geht. Sie fordern ein Ende des Regimes, das heisst die Schaffung neuer Machtverhältnisse, basierend auf echten Parteien, einem wirklichen durch ungefälschte Wahlen einberufenen Parlament, einer neuen Verfassung, welche die Grundrechte der Bevölkerung festschreiben müsste, Kontrolle der Polizei, unabhängige Gerichte, eine echte Information usw. All dies ginge auf Kosten der Macht der Armee, genauer gesagt der Macht ihrer neo-mamlukischen Führung.
Die prekäre Machtbasis demonstrierender Massen
Die Gesprächspartner Solaimans haben keinerlei Machtmittel, um ihre Wünsche durchzusetzen ausser der diffusen Macht der Demonstranten. Die neo-mamlukische Führung rechnet damit, dass die Demonstranten sich irgendwann zerstreuen werden. Sobald dies geschieht, werden sie die nach wie vor ihnen gefügige Polizei einsetzen, um mit ihren altbewährten Foltermethoden den Köpfen der Demonstrationen nachzuspüren und sie aus dem Weg zu schaffen. Die Demonstranten wissen, dass ihre einzige Sicherheit in der grossen Zahl liegt.
Sehr viele von ihnen zusammen können nicht unterdrückt werden, nicht weil dies zu einem Blutbad führen würde, sondern weil ein Blutbad möglicherweise die Soldaten von ihrer Disziplin abbringen und sie veranlassen könnte, sich gegen ihre Kommandanten zu wenden. Dann käme es zu einer wirklichen Revolution. Doch solange die Soldaten sich kommandieren lassen, bleibt die Macht bei den neo-mamlukischen Führern, und ihr gegenwärtiger Wortführer, der Kehia Omar Solaiman, kann darauf hoffen, früher oder später in die Position des "Scheich al-Balad" aufzurücken. Er muss zu diesem Zweck, die Verhandlungen mit der Opposition solange führen, natürlich ohne echte Zugeständnisse zu machen - höchstens dekorative - bis die Demonstranten der Demonstrationen müde werden und ihre verborgenen Organisatoren nicht mehr in der Lage sind, grosse Massen auf die Strassen zu rufen.