Das Spektakel beginnt auch anderswo schon eine Stunde zuvor: Am Bühneneingang sitzen seriöse Herren ordentlich aufgereiht auf einer Seitenbank und studieren Programmhefte und Besetzungslisten. Bis einem Taxi ein hochgewachsener jüngerer Herr entsteigt. Dieser wird flugs umringt, mit Komplimenten bedacht, und um Autogramme gebeten. Christian Van Horn wird zwar nicht die Hauptrolle, sondern mit Colline, dem Philosophen, eine Nebenrolle singen. Doch er war früher jahrelang Ensemblemitglied in München und wird deshalb zur ‚Bohème’ herzlich wieder ‚zu Hause’ begrüsst.
Die ‚Bohème’ selbst ist solides Handwerk älteren Datums. Bühnenbild und Kostüme bereiten dem Zuschauer ein vertrautes ‚Déja Vu’: Die ärmliche Studentenmansarde am Montmartre, die belebten Strassenszenen der Belle Époque, die opulent herausgeputzten Kokotten. In dieser Aufführung wurden die Klischees bedient, humorvolle Einlagen bestimmten den Ton. Die bekannten Arien von Puccini reihten sich wie Schlagerperlen aneinander. Das Publikum schunkelte diskret, doch genüsslich mit. Die Musiker im Orchestergraben spielten mit Verve, wenngleich nicht mit absoluter Präzision.
Die Inszenierung von Otto Schenk setzte vor allem auf das Zusammenspiel der Akteure und dies funktionierte bestens. Mit ihrer überbordenden Spielfreude motivierten sie sich gegenseitig und rissen die Zuschauer mit. Das Publikum applaudierte fast nach jeder Arie. Dabei waren die Stimmen grösstenteils nicht hervorragend, doch sie harmonierten. Ganz speziell die des Protagonistenpaares Rodolfo (des Maltesers Joseph Calleja) und der Mimi (der Kaukasierin Hibla Gerzmava), die gerade mit ihrem Sterbeduett so manchen buchstäblich zu Tränen rührten. Am Ende trampelten auch würdige ältere Herren begeistert mit den Füssen auf den Boden. Ein genussvoller Opernabend war zu Ende gegangen. Einer mit Ausstrahlung offenbar; denn beim Warten auf die Garderobe sah man so manches Paar sich inniglich küssen.
Giacomo Puccini’s ‚Bohème’ ist an der Bayrischen Staatsoper noch bis Ende 2011 auf dem Spielplan.