Sind Nudeln der Marke Queen schmackhafter als die Produkte anderer Hersteller? Ist Mineralwasser mit der Aufschrift Safi hygienischer als die Wässerchen anderer Firmen? Mit Sicherheit nicht, sagen viele Ägypter. Und doch sind Queen und Safi Markennamen einer ganz besonderen Art. Die Pasta und das klare Nass werden vom ägyptischen Militär produziert.(1)
Eine breite Palette an Produkten
Und dieses Militär dominiert einen beträchtlichen Teil der ägyptischen Wirtschaft. Manche Autoren sprechen von 25 Prozent, andere von bis zu 40 Prozent.
Schaut man auf die Palette der Produkte, welche unter dem Kommando von Generälen produziert werden, kann man nur staunen: Flachbildschirme, Küchenbesteck, Chemikalien für den Haushalt und die Landwirtschaft, Jeeps, Kühlschränke, Eisenbahnwaggons, Klimageräte und Herde. Dass angesichts dieser für den zivilen Bedarf bestimmten Güter auch noch Waffen die Fliessbänder der Generäle und Obristen verlassen, mag erstaunen. Immerhin stellt die Armee zusammen mit den USA seit Jahren den M1A1 Panzer her. So viele sind es bereits, dass Ägypten heute mehr solcher Ungetüme besitzt als alle Länder Schwarzafrikas und Südamerikas zusammen.
Exklusive Villen
Die Einkünfte des Militärs sind so riesig, dass der regierende Militärrat kürzlich der finanziell inzwischen klammen ägyptischen Regierung eine Milliarde Dollar ausgeliehen hat. Kein Wunder – die Armee ist über das ganze Land verteilt, wo die Auswahl an Gütern oft gering ist. In den Läden lassen die Militärs ihre eigenen Produkte anbieten, den Rekruten bleibt oft nichts anderes übrig, als die Waren ihrer Vorgesetzten zu kaufen.
Das Militär hat für sich exklusive Clubs gebaut, viele Offiziere besitzen große Ländereien, Die meisten Provinzgouverneure sind pensionierte Generäle, ein General leitete einst die Verwaltung des Opernhauses in Kairo, andere waren verantwortlich für die von Hosni Mubarak in den 1990iger Jahren angekündigte nationale Alphabetisierungskampagne. Dass die Mitglieder des regierenden Militärrates in exklusiven Villen residieren, gilt unter Ägyptern als sicher.
Die große Ausfallstrasse von Kairo in Richtung Ain Suchna am Roten Meer wurde vom Militär gebaut, die Mauteinnahmen fliessen in die Taschen der Offiziere, die Gewinne aus den Tankstellen an der Strecke, welche auch dem Militär gehören, ebenfalls.
Für den Kampf nicht ausgebildet
Das Militärbudget unterliegt strengster Geheimhaltung – schliesslich können detaillierte Angaben über Produktionsziffern von Pasta und Mineralwasser die nationale Sicherheit gefährden. spotten manche Ägypter. Produzieren lassen die Generäle in eigenen Fabriken. Oft, wenn auch nicht immer, stellen sie Wehrpflichtige zu den Arbeiten an, welchen sie allenfalls einen kargen Sold zahlen, keinesfalls aber die ortsüblichen, allerdings ebenfalls niedrigen Löhne. Andere Rekruten müssen auf Feldern arbeiten, welche Offizieren gehören.
Die Historikerin Zeinab Abul-Magd (siehe Anmerkung unten) beschreibt das tragische Ergebnis solcher Behandlung so: Der Rekrut „erleidet unter den Händen seiner Offiziere Erniedrigung und Unterdrückung . Er verliert jedes Gefühl nationaler Würde, welches die Armee angeblich in ihn einpflanzen will. Sollte jemals ein Krieg ausbrechen, würde die Leistung dieses Soldaten erschreckend schlimm sein. Denn seine Führer haben ihn für den Kampf nicht ausgebildet.“
Übliche Gefälligkeiten
Dass auch ganz normale Arbeiter von den Offizieren menschenunwürdig behandelt werden, wird an der Person von General Sayed Mishal deutlich. Seine Safi-Mineralwasserproduktion liess er stolz nach seiner Tochter Safi benennen. Als Mitglied der Mubarak-Partei gewann er dreimal einen Parlamentssitz in Heluan südlich von Kairo – indem er vor den Wahlen die Arbeiter großzügig mit Geschenken bedachte und nach den Wahlen wieder verschwand. Auch war er zeitweise Minister für Militär-Produktion. Immerhin: nach der Revolution verschwand er von der Bildfläche, weil er der Korruption angeklagt wurde.
Korruption auch anderswo. Der einstige Gouverneur von Luxor, General Samir Farag, verkaufte öffentliches Land zu Billigpreisen an einen Geschäftsmann. Sein Kollege in Assuan, General Mustafa al-Sayed, war in Korruptionsfälle im Tourismussektor verwickelt. Dass der Gouverneur auch noch zehn pensionierte Offiziere mit dem Management von Steinbrüchen und Häfen betraute – für das sie nicht qualifiziert waren – gehört eher zu den üblichen Gefälligkeiten, welche sich Waffenbrüder eben gegenseitig gewähren.
"Offiziere leiten die Wirtschaft"
Begonnen hatte die Rolle der Armee im politischen Leben des Landes mit dem Coup der „Freien Offiziere“ unter General Mohammed Naguib und Oberst Gamal Abdel Nasser im Jahre 1952. Im Namen von Nassers Staatssozialismus sollten auch Offiziere – im Auftrag des Volkes , wie sie sagten – die Wirtschaft Ägyptens lenken. Natürlich waren sie dafür nicht qualifiziert. Es blieb nicht aus, dass das Projekt „Offiziere leiten die Wirtschaft“ auch an der aufkommenden Korruption scheiterte.
Eine neue Dimension bekam das Kapitel „Armee und Wirtschaft“ unter Präsident Anwar el-Sadat. Dieser suchte neben dem Militär eine neue Machtbasis, er zog die unter Nasser geächtete Muslimbruderschaft an seine Seite. Zudem begann er, viele Staatsbetriebe zu privatisieren. Die Offiziere sahen ihre wirtschaftlichen Privilegien schwinden. Auch angesichts des Friedensvertrages mit Israel, welcher der Armee einige Bedeutung nahm, suchte Sadat, das Militär zu entschädigen. Man gründete die „National Services Project Organisation“, welche die Gründung von Unternehmen ermöglichte, die von Offizieren geleitet wurden.
Mehr Haftstrafen als früher
So hat sich bis zum heutigen Tag der wirtschaftliche Einfluss des Militärs stets erweitert. Kaum jemand in Ägypten erwartet, dass sich die Militärs diese ökonomische und politische Vormachtstellung nehmen lassen werden. Schliesslich regieren die Generäle seit 1952 zumindest im Hintergrund mit. Hosni Mubarak war einer von ihnen. Als das Volk gegen ihn aufbegehrte, liessen die Generäle ihren Kameraden fallen. Seitdem regieren sie das Land und haben dabei schon mehr Demonstranten auf einmal inhaftiert, teilweise gefoltert und oft zu Haftstrafen verurteilt als Hosni Mubarak das in einer vergleichbaren Zeitspanne getan hat.
Allerdings haben die Generäle das Verdienst, die ersten freien Wahlen seit mehr als sechs Jahrzehnten ermöglicht zu haben. Strategen, die sie sind, haben sie sich sofort mit der Mehrheitsfraktion liiert - mit der Partei der Muslimbruderschaft, der „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“. Die verfügt in der Volksvertretung (zusammen mit den Salafisten) über eine satte Majorität. Die Offiziere erhoffen sich Hilfe bei der Erhaltung ihrer Privilegien im Ägypten der Zukunft. Im Gegenzug vergass die Muslimbruderschaft, die jahrelang mit Zustimmung der Generäle verfolgt wurde, die durch das Regime erlittene Dauer-Schmach. Ihr Ziel: beständiger Einfluss auf die Geschicke Ägyptens – etwa auf die Ausarbeitung der neuen Verfassung.
Schmeichelhaftes Telegramm
Diese überraschende Symbiose dokumentierte die „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ gleich nach der Eröffnungssitzung des frei gewählten Parlamentes im Januar. Auf Antrag des Präsidenten der Kammer, des Muslimbruders Saad el-Katatny, schickten die Volksvertreter ein schmeichelhaftes Telegramm an den Vorsitzenden des Militärrates, Feldmarschall Mohammed Tantawi, einem alten Vertrauten und Anhänger Mubaraks: „Die Abgeordneten erkennen Euer historisches Verdienst in der großen ägyptischen Revolution an. Sie haben sich seit dem ersten Revolutionsfunken auf die Seite des Volkes und seiner friedvollen Revolution gestellt. Und als tapfere Kämpfer haben Sie die Last geschultert, diese Wahl zu treffen.“
Diese wunderbare politische Waffenbruderschaft zwischen Generälen und Muslimbrüdern – man könnte auch von einem Bündnis zwischen Opportunisten sprechen - wird das Schicksal Ägyptens wohl für einige Zeit bestimmen.
(1) Dieser Beitrag stützt sich auch auf einen Aufsatz von Zeinab Abul-Magd auf der Webseite www.Jadaliyya.com vom 23.12.2011. Die Autorin lehrt am Oberlin College, Ohio/USA Geschichte. Über Ägyptens Militärindustrie siehe auch Shana Marshall: Egypts Other Revolution: Modernizing the Military-Industrial Complex“. In: Jadaliyya, 10.2.2012