Im Schatten des Krieges in Jemen sind die Weltmächte und Iran dabei, den Atomkonflikt beizulegen. Doch während im schweizerischen Lausanne die Diplomatie zu siegen beginnt, bombardieren saudische Kampfflugzeuge Nacht für Nacht das Nachbarland Jemen, um dem angeblichen iranischen Einfluss zu begegnen.
Neue Achse des Bösen
Politische Achsen gab es in Geschichte und Gegenwart genug. Die letzte und zugleich berühmt-berüchtigteste von ihnen erfand bekanntlich George W. Bush, als er im Januar 2002 vor der UN-Vollversammlung „die Achse der Bösen“ in die Welt setzte. Seit vergangenem Wochenende haben wir nun eine neue, höchst merkwürdige Variante davon:
„Die Achse Iran–Lausanne–Jemen ist für die gesamte Menschheit gefährlich und muss gestoppt werden.“ Als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am vergangenen Sonntag in Jerusalem mit zornbebender Stimme diesen Satz aussprach, bombardierten zeitgleich saudische Kampfjets die jemenitische Hauptstadt Sanaa. Doch die Gefahr für die Menschheit ist Netanjahu zufolge nicht nur auf der arabischen Halbinsel greifbar nah. Sie ist bis zum beschaulichen Lausanne in der Schweiz vorgedrungen - und niemand im Westen schreit auf, schlimmer noch: An der Entstehung dieser angeblich ernsthaften Gefährdung der Gattung Mensch sind alle Aussenminister der westlichen Staaten, allen voran US-Aussenminister John Kerry, massgeblich beteiligt und auch die Friedensaktivisten und Zivilgesellschaften ignorieren die „Gefahr“.
Just in den Tagen und Stunden, in denen die gesamte Diplomatie dieser Welt versuchte, einen alten und gefährlichen Konflikt mit Iran zu entschärfen, schafften die Saudis am anderen Ende der neuen Achse und an der Spitze einer Militärkoalition Fakten. Seit vergangenem Donnerstag steigen ihre Kampfjets Nacht für Nacht in die Luft und bombardieren das Nachbarland Jemen. Sie tun ihren Dienst für das Wohl der gesamten Menschheit, suggeriert seitdem ununterbrochen die riesige Propagandamaschinerie der Saudis. „Unsere Militäraktion dient ausschliesslich der Sicherheit und dem Frieden in der Region und der ganzen Welt“, sagte der neue saudische König Salman, als er am Montag in seiner Fernsehansprache eine Zwischenbilanz der Militäraktion präsentierte.
Jemen und Atom gehören zusammen
Am selben Tag forderte Netanjahu, auch Jemen und die Rolle Irans müssten in Lausanne zu Sprache kommen. Damit spricht der israelische Ministerpräsident faktisch für die von den Saudis geschmiedete Militärkoalition, in der auch Länder wie der Sudan, Bahrein und Pakistan mitwirken. Doch anders als Netanjahu und die neue arabische Militärkoalition behaupten, befindet sich die Islamische Republik Iran auf beiden Schauplätzen – diplomatisch in Lausanne und militärisch in Jemen - auf dem Rückzug.
Nach Lausanne wird die Option auf eine Atombombe für Iran in noch weitere Ferne rücken. Auch ein heimlicher Bombenbau wird nicht möglich sein. Iran war, ist, und wird nie ein neues Nordkorea. Das Land lässt sich nicht total abschotten, und die Iraner sind zu redselig, um alles geheim zu halten. Deshalb weiss die Welt, Israel inklusive, schon jetzt so viel und so genau von den Einzelheiten und Feinheiten des iranischen Atomprogramms, dass sogar die iranischen Atomphysiker sich ihres Lebens in ihren streng bewachten Wohnvierteln nicht sicher sein können
Und sollte das alles irgendwann nicht mehr helfen, dann ist Russland da, das bis jetzt Hunderte von Milliarden am iranischen Atomprogramm verdient hat und mehr als jeder anderer Staat weiss, was sich in den iranischen Nuklearlaboren abspielt. Und trotz all dem hat auch Russland kein Interesse daran, dass an seiner südlichen Grenze eine Atommacht entsteht. Ausserdem wird die Überwachung nach Lausanne streng genug sein, um den Bau einer Bombe fast unmöglich zu machen.
Leere Worte und Propaganda zu Jemen
„Wir haben uns gerade nur einige Schritte vom Abgrund entfernt. Und selbst das verdanken wir versierten Diplomaten wie dem Aussenminister Sarif“, sagt der ehemalige iranische Vizeaussenminister David Ghorbanoghlu kurz vor dem Ende der Atomverhandlung in Lausanne in einem Interview. Und fügt verärgert hinzu: „Wären doch auch im Falle Jemens Profidiplomaten und nicht Dilettanten am Werk.“
Der versierte und polyglotte Diplomat, der jahrelang als iranischer Botschafter in verschiedenen afrikanischen Staaten diente, liefert in diesem Interview ein unverblümtes und komplettes Bild davon, wie sich die Iraner in den vergangenen Jahren im Jemen-Konflikt verhalten haben. „Kurz gesagt: schädlich und laienhaft“, fasst der der kluge Taktiker zusammen, der Nelson Mandela verehrt. Er beschreibt, wie unter dem ehemaligen Präsidenten Ahmadinedschad das Aussenministerium schrittweise und planvoll faktisch entmachtet wurde.
Alle sensiblen Dossiers wie das syrische, das irakische oder das libanesische seien ausgelagert worden. Auch zu Jemen hätten plötzlich andere das letzte Wort, nicht das Aussenministerium. Doch mit einem grossen Unterschied: Im Irak, in Syrien und im Libanon sei man tatsächlich diplomatisch, militärisch, religiös und wirtschaftlich sehr aktiv. „Doch in Jemen produzieren wir nur leere Worte. Und das Schlimmste ist, dass wir selbst im Feld der Propaganda verloren haben“, so Ghorbanoghlu.
Wie kommen iranische Waffen nach Jemen?
Man muss ihm völlig recht geben. Iran ist in der Berichterstattung über Jemen so präsent, dass selbst in den renommierten Zeitungen dieser Welt dieser Tag leichtfertig und ununterbrochen von einem Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien die Rede ist. Man vergisst dabei allerdings, die Landkarte anzuschauen. Über den Landweg könnten iranische Waffen nur durch Saudi-Arabien oder Oman nach Jemen gelangen, was ziemlich schwierig sein dürfte.
Eine Luftverbindung zwischen Iran und Jemen existiert erst seit Anfang März, also seit dem Sieg der Huthi-Rebellen und der Entmachtung des jemenitischen Präsidenten. Und über den Seeweg müssten die iranischen Waffen unter den Augen der ägyptischen, saudischen und natürlich der israelischen Patrouillen die strategische Meerenge Bab Al Mandab passieren, um schliesslich in den jemenitischen Hafen Aden zu gelangen - ein Hafen, der noch nicht von den Huthi-Rebellen eingenommen worden ist. Wie und womit Iran die Huthi-Rebellen tatsächlich materiell unterstützten sollten, weiss niemand. Es gibt nicht einmal Fakten und Informationen der Geheimdienste, der saudische und der israelische eingeschlossen. Trotzdem hört und liest man ununterbrochen vom „Stellvertreterkrieg“ - als ob Jemen der Irak oder Syrien wäre. Und auch die Huthi-Rebellen als Schiiten zu titulieren, ist irreführend.
Falsche Schiiten
„Wären die Huthi-Rebellen in Iran, ihr Platz wäre mit Sicherheit im Gefängnis“, sagt der iranische Journalist, Schriftsteller und Soziologe Akbar Gangi. Denn in der religiösen Ausrichtung sind sie nicht mit den Schiiten im Irak oder dem Libanon vergleichbar. Die Huthis oder genauer die Zaiditen glauben nicht an zwölf, sondern an fünf Imame. Und das ist nach Auffassung der Zwölfer-Schiiten eine Irrlehre. Denn gerade der zwölfte Imam, der in grosser Verborgenheit immer noch lebt, legitimiert den schiitischen Herrschaftsanspruch. Ein Grossayatollah ist sein Stellvertreter auf Erden. All das ist wiederum den Huthis eine Art Frevel.
Zwar gibt es tatsächlich glaubhafte Berichte und Zeugenaussagen, dass im iranischen Qom, dem Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit, einige Hundert Jemeniten studieren. Doch für einen seriösen Journalismus reicht das nicht aus, um von einem Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien auf jemenitischem Territorium zu sprechen. Seit mehr als eine Woche bombardieren Saudi-arabische Kampfjets Stellungen schiitischer Rebellen in Jemen.
Bombardieren bis zum völlig gescheiterten Staat
Wäre in Lausanne tatsächlich auch die Rolle Irans in Jemen zur Sprache gekommen, wie Netanjahu es gefordert hatte, stünden manche jener „Experten“, die die Huthi-Rebellen als verlängerten Arm der Mullahs sehen, nun nackt da. Die verworrene Geschichte der Huthis, ihre Kämpfe und ihre Kompromisse mit Saudi-Arabien, ihre Machtansprüche in Jemen: All das ist viel älter als die Geschichte der Islamischen Republik Iran selbst. Momentan kämpfen sie mit dem Waffenarsenal des ehemaligen jemenitischen Präsidenten Ali Abdollah Saleh, der plötzlich vom Erzfeind zum engen Verbündeten der Huthis mutiert ist. Währenddessen bombardieren die saudischen Kampfjets das ärmste Land der arabischen Welt hin zu einem völlig gescheiterten Staat. Wie sie dann mit Al Qaida an ihrer Grenze fertig werden, die aus diesem Sumpf mit tödlicher Sicherheit wachsen wird, bleibt das Geheimnis der saudischen Scheichs.