Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Anna Püntener schloss 2017 die zweisprachige Matura am Realgymnasium Rämibühl ab. Sie befindet sich nun im Zwischenjahr und beginnt im September Deutsch und Englisch an der Universität Basel zu studieren.
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Meine Freundin und ich werden momentan nicht als vollwertige Schweizer Bürgerinnen behandelt. Artikel 14 der Verfassung besagt zwar, dass „das Recht auf Ehe und Familie gewährleistet“ sei: Für uns gilt das aber nicht. Heiraten dürfen wir nicht. Zugang zu Fortpflanzungsmedizin erhalten wir auch nicht. Und Kinder adoptieren dürfen wir schon gar nicht. Alles, was uns die Schweizer Gesetzgebung zugesteht, ist die sogenannte eingetragene Partnerschaft. Gerecht ist das nicht.
Allen, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, bleiben die erleichterte Einbürgerung für Partner_innen, die Gütergemeinschaft sowie der Zugang zu Fortpflanzungsmedizin und Adoption verwehrt. Doch es ist nicht so, dass man im Gegenzug nichts exklusiv dazu bekommt – im Gegenteil: Durch den Zivilstand „eingetragene Partnerschaft“ ist nämlich für alle automatisch ersichtlich, dass man sich in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung befindet. Würden die gleichen Gesetze auch für Paare gelten, in denen die Partner unterschiedliche Hautfarben haben, würde das Entrüstung und Empörung auslösen.
Es scheint, als habe man dies auch in weiten Teilen des Parlaments begriffen. In den vergangenen Tagen las man viel über die „Ehe für alle“, die in praktisch allen westeuropäischen Ländern bereits institutionalisiert ist und die jetzt endlich auch in der Schweiz möglich werden soll. Freude herrscht trotzdem nicht. Diese „Ehe für alle“, die aus der parlamentarischen Initiative der GLP stammt und tut, als stehe sie im Dienst der Gerechtigkeit, bringt gleichgeschlechtlichen Paaren nämlich etwas anderes: Eine massive Benachteiligung. Im Begründungstext der Initiative steht schwarz auf weiss, dass „die Bestimmung den Gesetzgeber nicht verpflichtet, auch homosexuellen Paaren die Adoption zu ermöglichen“.
Die Ehe, die nun für alle sein soll, wäre in Tat und Wahrheit eine Zweiklassenehe. So dürfte ich zwar meine Freundin heiraten, doch im Gegensatz zu einem heterosexuellen Ehepaar dürften wir weiterhin keine Fortpflanzungsmedizin in Anspruch nehmen und keine Kinder adoptieren.
Bleiben wir kurz bei den Farben: Stellen Sie sich vor, dass weisse und schwarze Paare heiraten dürfen. Aber nur den weissen erlaubt man, Kinder zu adoptieren oder Fortpflanzungsmedizin zu nutzen, um schwanger zu werden. Niemand würde heutzutage eine solche Regelung für vertretbar halten: Sie wäre rassistisch. Und deshalb ist die Initiative mit dem Titel „Ehe für alle“ homophob. Dabei ist es einerlei, ob das den Initiant_innen bewusst ist oder nicht: Auch wenn sie mit guten Absichten handeln, wären die Auswirkungen einer solchen Regelung auf Verfassungsebene katastrophal. Es scheint, als wolle die glp beweisen, dass das l in ihrem Namen für „liberal“ steht, sich deswegen für eine offene Gesellschaft einsetzt und sie es trotzdem auch den Konservativen recht machen will, indem sie gleichgeschlechtlichen Paaren weniger Rechte zugesteht als den heterosexuellen.
Geld sparen liesse sich aber natürlich damit: Es ist nämlich nicht vorgesehen, dass in den Ehen gleichgeschlechtlicher Paare beim Tod einer Partnerin eine Witwenrente ausgerichtet werden soll. Mit welchem Recht wird hier der Witwe aus einer gleichgeschlechtlichen Ehe etwas verweigert, was für eine heterosexuelle Witwe selbstverständlich ist? Dass nur gerade heterosexuelle Witwen Anrecht auf eine Witwenrente haben sollen, ergibt keinen Sinn.
Mit dieser Art einer Zweiklassenehe würden also vor allem Frauen – genauer gesagt Frauen liebende Frauen – besonders diskriminiert. Diese sind es, denen der Gang zur Samenbank verwehrt bleibt und diese sind es, die um ihre Witwenrente betrogen werden. Aber auch die Männer wären betroffen: Es versteht sich von selbst, dass auch schwule Ehepaare nicht adoptieren dürften und keine Witwerrente bekämen.
Die lancierte Initiative „Ehe für alle“ ist eine trügerische Mogelpackung. Der Name klingt vielversprechend nach Öffnung und Gerechtigkeit. In Tat und Wahrheit zementiert sie die Zweiklassengesellschaft. Und noch schlimmer: Sie verankert diese in der Verfassung. Es ist geradezu paradox, dass eine Initiative für Gleichberechtigung faktisch die Ungleichheit in der Verfassung verankert – und dadurch eine echte „Ehe für alle“ für Jahrzehnte verhindern würde.
Es ist höchste Zeit für eine Ehe für alle. Doch diese Ehe muss eine Ehe sein, die für hetero- und homosexuelle Paare dieselbe ist. Wir geben uns gerne der Idee hin, dass die Schweiz in Sachen Rechte für gleichgeschlechtliche Paare nicht so schlecht unterwegs ist, aber beim genauen Hinschauen sieht es anders aus. Dabei bräuchte es nicht viel, um eine Ehe für alle zu schaffen: Man muss einfach alle Paare unabhängig von ihrer Geschlechterkonstellation gleich behandeln und endlich allen Menschen in der Schweiz diejenigen Rechte zugestehen, die ihnen in der Verfassung garantiert werden.
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend-schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer ([email protected]).
Das Realgymnasium Rämibühl (RG, bis 1976 Realgymnasium Zürichberg) ist ein Langzeitgymnasium. Es ist neben dem Literargymnasium die einzige öffentliche Schule des Kantons Zürich, die einen zweisprachigen Bildungsgang in Verbindung mit dem International Baccalaureate anbietet, wobei die Fächer Geographie, Biologie und Mathematik auf Englisch unterrichtet werden. Zu den berühmten Schülern gehören Max Frisch und Elias Canetti.
Weitere Informationen finden sich auf der Homepage www.rgzh.ch