Bei Bürgermeisterwahlen in Florenz, Perugia und Bari ist der sozialdemokratische «Partito Democratico» (PD) als klarer Sieger hervorgegangen. Bereits bei den Europawahlen hatte die Linke überraschend gut abgeschnitten. Ist das eine Trendwende?
Das Interesse der deutschen Medien konzentrierte sich auf die toskanische Hauptstadt Florenz. Dort versuchte der Deutsch-Italiener Eike Schmidt – mit Unterstützung von Giorgia Melonis «Fratelli d’Italia» – Bürgermeister zu werden. Der jetzt 56-jährige Eike Schmidt hatte grosse Verdienste. Ihm, dem Kunsthistoriker, war es gelungen, die etwas heruntergekommenen Uffizien – eines der weltweit wichtigsten Museen – in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Der aus Freiburg im Breisgau stammende Schmidt, der mit einer Italienerin verheiratet ist, perfekt Italienisch spricht und den einige als «arrogant» und «abgehoben» bezeichnen, hatte sich gute Chancen ausgerechnet, Stadtpräsident von Florenz zu werden. Doch es kam anders.
Die Sozialdemokratin Sara Funaro kam in der jetzigen Stichwahl auf 60,6 Prozent der Stimmen. Die 1976 geborene promovierte Psychologin, die lange in Salvador di Bahia in Brasilien versuchte, das Los von Strassenkindern zu verbessern, repräsentiert die gemässigte Sozialdemokratie.
Auch Bari und Perugia
Auch in Bari, einer nicht pointiert linken Stadt an der Adria, triumphierte der linke Kandidat in der Stichwahl. Der Sozialdemokrat Vito Leccese kam auf 70,3 Prozent der Stimmen. Sein Herausforderer Fabio Saverio Romito von Melonis Fratelli d’Italia totalisierte demnach 29,7 Prozent. Dieses Ergebnis war in diesem Ausmass nicht erwartet worden.
Nicht genug: Auch in Perugia, der Hauptstadt der Region Umbrien, gewann die Sozialdemokratin Vittoria Ferdinandi mit 52,1 Prozent vor der Fratelli d’Italia-Kandidatin Margherita Scoccia (47,9 Prozent).
Natürlich sind Bürgermeisterwahlen etwas anderes als nationale Wahlen. Dennoch sollten die teils klaren Ergebnisse Giorgia Meloni zu denken geben. Vor allem weil bei den jetzigen Wahlen alle grossen Städte an die Sozialdemokraten gingen.
Kein Rechtsrutsch in Italien
Begonnen hatte alles mit einer Wahl auf Sardinien. Dort, zum ersten Mal seit langem, raufte sich die linke Mitte zusammen und konnte einen ersten Erfolg erzielen, wenn auch hauchdünn. Doch Anaylysten sprachen von einem «symbolischen Dammbruch». Der von den Sozialdemokraten unterstützten Alessandra Todde von der Fünf-Sterne-Bewegung war es gelungen, Regionalpräsidentin zu werden.
Und dann die Europawahlen. Ganz Europa spricht von einem Rechtsrutsch in Italien. Doch den gab es nicht: im Gegenteil. Zwar haben Giorgia Melonis Fratelli d’Italia ihren Stimmenanteil von 6,46 Prozent bei den Wahlen vor fünf Jahren auf jetzt 28,76 Prozent erhöht. Also ein Plus von 22,3 Prozent.
Aber: Die mit Meloni verbündete Rechtsaussenpartei «Lega» von Matteo Salvini, die noch rechtsradikaler auftritt als Meloni, verlor im Vergleich zu den Wahlen vor fünf Jahren 25,36 Prozent. Den Fratelli war es gelungen, den grössten Teil des Lega-Wählerpotentials aufzusaugen.
Insgesamt hat also die rechtspopulistische, teils rechtsextreme italienische «Familie» (Fratelli plus Lega) rund 3 Prozent verloren. Die Sozialdemokraten hingegen erleben einen kleinen Aufwind. Im Vergleich zu den Nationalen Wahlen im September 2022 hat der PD 5 Prozent an Stimmen dazugewonnen.
Kaum etwas erreicht
Natürlich sitzt Giorgia Meloni noch immer fest im Sattel. Laut den verschiedenen jüngsten Umfragen kommen ihre Fratelli noch immer auf 26,5 bis 29 Prozent.
Meloni ist es in ihrer bald dreijährigen Regierungszeit gelungen, nicht anzuecken. Sie schaffte das, indem sie zu allem schwieg. International, und das wird ihr hoch angerechnet, hat sie sich klar pro-europäisch gegen Putin positioniert. Im Inland jedoch hat sie kaum etwas erreicht. Von den von ihr versprochenen und von der EU angemahnten (und bezahlten) Reformen ist bisher kaum etwas zu sehen. Ihr Regierungsstil besteht darin, allen potentiellen Konflikten aus dem Weg zu gehen, wegzuschauen und sich nicht zu äussern. So floatet sie, fehlerfrei, über der nationalen Politik.
Doch alle wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Irgendwann muss dann Frau Meloni liefern. Und dieses «irgendwann» könnte bald einmal eintreten.
Viel Macht dem Regierungschef
Jetzt stehen grosse Herausforderungen an. Jetzt wird sich zeigen müssen, was sie wirklich kann. Schöne Worte zu verlieren, ist das eine. Konkrete Ergebnisse liefern, das andere. Viele Beobachter glauben, dass jetzt schwere Zeiten auf die Regierungschefin zukommen. Dann kann sie sich nicht mehr zu Joe Biden nach Washington oder zu Ursula von der Leyen nach Brüssel flüchten. Dann reichen glamouröse Auftritte am G7-Gipfel in Apulien nicht mehr.
Viel Zündstoff hat das Thema «Wahl des Regierungschefs». Bisher wird in Italien der Ministerpräsident oder die Ministerpräsidentin vom Parlament gewählt. Meloni will nun, dass die Wahl künftig durch das Volk stattfindet. Der italienische Senat, die kleine Kammer, hat bereits grünes Licht zu dieser Reform gegeben. Meloni sagt, dadurch werde Italien «regierungsfähiger», weil der Regierungschef mit mehr Macht ausgestattet werde.
Doch nicht nur die Linke und die Gewerkschaften, auch viele moderate Politiker und Politikerinnen heulen auf. Sie fürchten, dass damit ein Schritt in Richtung «illiberaler Demokratie» à la Viktor Orbán getan werde. Der Regierungschef sei dann so mächtig, dass er sich über alles hinwegsetzen könne, und der Staatspräsident (im Moment ist es Sergio Mattarella, einer der wenigen Weisen im italienischen Politkosmos) werde zur Garnitur degradiert. Meloni ist mit Orbán eng befreundet und traf ihn an diesem Montag in Rom.
Jetzt muss noch die Grosse Kammer, das Abgeordnetenhaus, grünes Licht geben. Wenn dann in der Schlussabstimmung die Reform nicht eine Zweidrittelmehrheit erhält, muss eine Volksabstimmung angesetzt werden. Im Moment erscheint es unwahrscheinlich, dass das Vorhaben zu zwei Dritteln angenommen wird.
Eine Niederlage in einer Volksabstimmung überlebt sie kaum
Bereits finden in den Strassen wuchtige Demonstrationen gegen das Vorhaben statt. Angeführt werden sie von den Sozialdemokraten und ihrer neuen, erstarkten Vorsitzenden Elly Schlein. Ihr gelingt es, auch kleinere Parteien um sich zu scharen. Vor allem ist es ihr gelungen, ihre chronisch zerstrittene Partei zumindest vorläufig zu einigen. Die Gewerkschaften drohen bereits mit landesweiten Streiks.
Doch kommt es zu einer Volksabstimmung, so prophezeihen Beobachter in Rom, «wird es blutig werden». Und Giorgia Meloni wäre nicht die erste, die über eine Volksabstimmung stürzt. Der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident Matteo Renzi hatte im Dezember 2016 eine Volksabstimmung über eine Verfassungsreform mit 59 Prozent Nein-Stimmen verloren. Kurz darauf trat er zurück. Es ist kaum vorstellbar, dass Meloni eine Niederlage in einer Volksabstimmung überleben würde.
Aufsplitterung in 20 Hoheitsgebiete
Heiss umstritten ist auch das von Matteo Salvini aufgebrachte Thema der «Autonomie der Regionen». Laut Salvini sollen die 20 italienischen Regionen teilweise von der Obhut von Rom gelöst und in Eigenregie wirken können. Dazu sollen Steuergelder, die bisher an Rom gingen, von den Regionen verwaltet und eingesetzt werden. Auch dieses Vorhaben ist nicht nur bei der Linken umstritten. Beobachter sprechen von einer Aufsplitterung Italiens in 20 Hoheitsgebiete.
Und nicht zuletzt sorgt die geplante Justizreform für rote Köpfe. Sie sei dazu gedacht, die Justiz der Politik zu unterwerfen und gefährde die Unabhängigkeit der dritten Gewalt.
Zweieinviertel Jahre dauerte die Schonfrist für Meloni. Vielleicht geht sie bald einmal zu Ende.