Publikum und Echo sind ihm sicher, wo immer er auftritt, auch in Zürich. Olafur Eliasson, geboren 1967, ist seit 2019 Uno-Botschafter für Ausstellungen mit dem Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Manche Medien und das Kunsthaus selber haben die Ausstellung „Symbiotic seeing“ schon vorweg als exklusives Ereignis gefeiert. Und Mirjam Varadinis, Kuratorin der Ausstellung, meinte bei der Eröffnung, sie sei stolz, dass es dem Haus gelungen sei, den international gefeierten Star zu gewinnen.
In der Tat ist der aus Island stammende, in Berlin lebende Däne ein weltweit gefragter und bei einem sehr breiten Publikum erfolgreicher Mann. Er betreut mit seiner über 100-köpfigen Crew (Ingenieure, Konstrukteure, Designer, Architekten, Philosophen, Handwerker) zahlreiche Ausstellungs- und Installationsprojekte, oft mehrere gleichzeitig. Begegnen konnte man seinen Werken in letzter Zeit in bedeutenden Museen in London, Rotterdam, Mannheim, Humlebæk, Düsseldorf, Linz, Berlin.
Tatsächlich passt Eliasson wie kaum ein anderer Künstler in die Zeiten ausgedehnter Klimadebatten. Er diskutiert in seinen Werken die drängenden Gegenwartsfragen von Klima und Umwelt. Er unterhält mit Wissenschaftern rege Kontakte und tauscht sich mit ihnen aus. Manche von ihnen sind im Katalog zum Zürcher Auftritt Eliassons mit Texten zu Evolution und Symbiose vertreten. Eine Pinnwand im Berliner Eliasson-Studio ist dicht voller Zeitungsausschnitte und anderer Nachrichten und Informationen zu diesen Themen.
Grossprojekt mit drei Jahren Vorlauf
Springt das Kunsthaus Zürich auf einen fahrenden Zug auf? Zürich kann erst spät mit der Berühmtheit aufwarten – zum Beispiel mehr als zehn Jahre nach der intensiven und mehrjährigen Zusammenarbeit des kleinen Kunsthauses Zug mit dem Künstler, der dort streng orts- und naturbezogen, aber ohne den für ihn heute typischen technischen Grossaufwand arbeitete.
Zu spät kommt Zürich allerdings kaum. Erstens sind Eliassons Themensetzungen noch lange nicht obsolet, und zweitens entschied sich das Haus schon vor rund drei Jahren für Eliassons Grossprojekt. Da war von Greta Thunberg und „Fridays for Future“ noch nicht die Rede. Kurzfristig wäre die Ausstellung mit ihren enormen technischen Hintergrundarbeiten auch gar nicht zu bewerkstelligen gewesen. Kunst dieser aufwändigen Machart kann nicht tagesaktuell reagieren.
Tatsächlich bedient sich das Herzstück des Unternehmens, die Installation „Symbiotic seeing“, die der ganzen Ausstellung auch den Titel gibt, einer höchst aufwändigen Technologie und ist thematisch komplex. Was in diesem dunklen und leicht vernebelten Raum abgeht, ist Eliasson, wie man ihn kennt: An der Decke quillt und brodelt es – der Laser-Projektion sei Dank – mal heller, mal dunkler.
Man mag es als Geblubber, als Wasserstrudel oder als wirbelnde Wolken lesen. Man mag auch einfach staunen über die ständig wechselnden Bewegungen und über den mal leisen, mal sonoren Cello-Klang, der das Geschehen begleitet. Was man erst mit der Dauer des Aufenthalts in diesem Raum vielleicht spürt und später im Katalog nachlesen kann: Die Menschen, die sich in diesem Raum einfinden, beeinflussen mit ihrer Körperwärme den Gang der Dinge an der Decke und damit die ganze Atmosphäre von „Symbiotic seeing“. Vereinfacht gesagt: Die Menschen machen das Klima.
Tendenz zum Gesamtkunstwerk
Der Titel liefert den Schlüssel einer möglichen Interpretation: Mit „symbiotischem Sehen“ sind Wahrnehmung, aber auch Gemeinschaftlichkeit als Themenfelder angesprochen. Es sind dies die zentralen Anliegen, die Olafur Eliasson umtreiben und in die er die Besucherinnen und Besucher seiner Installation auch ganz unmittelbar einbezieht: Mit ihrer Anwesenheit „machen“ sie das Kunstwerk gemeinsam mit dem Künstler.
Ähnlich am Kunstwerk beteiligen sich auch all die Helferinnen und Wissenschafter (Biologen, Physiker, Evolutionstheoretiker, Philosophen), die ihm die Grundlagen liefern und die Realisierung der Vorhaben betreuen. Die Tendenz zum multimedialen und auf viele Schultern verteilten Gesamtkunstwerk ist unverkennbar. Ein kleines Beispiel gemeinschaftlichen Arbeitens: Die im Raum erklingende Cello-Musik stammt von einem Roboter, den man im Nebenraum die vier Saiten des Instruments streichen sieht. Komponiert hat die Minimal-Tonfolge die isländische Cellistin und Komponistin Hildur Guðnadóttir, die in ihrer Arbeit, ähnlich wie Eliasson, immer wieder die Kooperation mit Musikerinnen und bildenden Künstlern sucht.
Eliassons Gesamtkunstwerk „Symbiotic seeing“ umschliesst oder umarmt jene, die es betreten. Dazu braucht’s keinerlei Erklärungen. Das funktioniert rein emotional. Darin ist Eliasson Meister. Man braucht die von Berlin ins Kunsthaus Zürich transferierte Pinnwand mit all den Texten nicht zu lesen, um von „Symbiotic seeing“ gepackt zu werden.
Keine Grenze zwischen Mensch und Natur
Eliasson möchte allerdings mehr. Sonst würde er es bei den effektvollen sinnlichen Reizen bewenden lassen und nicht den ganzen theoretischen Überbau bemühen. Sein wissenschaftliches Interesse an biologischen Vorgängen, an Evolutionstheorie, an Lichtbrechungen und allerlei optischen Effekten ist intensiv. Er fragt nach und sucht nach Visionen. In Mikroorganismen, Plankton oder Algen sieht er Potenzial für neue Kunstwerke, wie er im Katalog-Interview mit Mirjam Varadinis sagt.
Dabei geht es ihm nicht nur um Formales, beispielsweise um die Umsetzung von Strukturen von Mikroorganismen in perfekt gestaltete skulpturale Werke, sondern um innere Zusammenhänge der Natur. Symbiosen haben für ihn Modellcharakter über das Zusammenleben der Menschen hinaus. Eines ergibt sich aus dem anderen, und eines beeinflusst das andere.
In Eliassons Denken gibt es keine Grenzen zwischen Technik und Natur, zwischen Mensch und Natur: „Meiner Ansicht nach bringt das Anthropozän auch die Notwendigkeit mit sich, die Dinge eher unter dem Netzwerkaspekt zu betrachten. Menschliche und nicht-menschliche Aktivitäten sind eins. Mir ist klar geworden, dass die Vergangenheit uns nicht dabei helfen wird, uns in unserem Jetzt zurechtzufinden. Wir müssen von der Zukunft her denken.“ So Eliassons Originalton im Katalog-Interview.
Wellness-Kunst?
Eliassons Kunst zielt in zwei Richtungen. Auf der einen Seite meidet sie alles Elitäre und will vielen, wenn möglich gar allen gefallen. Bildungsschranken soll es da nicht geben. Vorwissen ist nicht verlangt. Zu despektierlich, ich weiss, liesse sich von kuscheliger Wellness-Kunst sprechen, in der sich alle wohlfühlen. Auf der anderen Seite gründet diese Kunst auf naturwissenschaftlich belegbaren Fakten, die Olafur Eliasson als Ausgangspunkt seiner politischen Visionen nutzt.
Doch lassen sich die beiden Komponenten zusammenbringen? Kann die Kunst, mit der Eliasson sein Publikum allüberall fesselt und begeistert, als Metapher dienen für jene politischen Prozesse, die in seinem Weltbild zur Rettung des Planeten notwendig sind? Liessen sich, um eine Veränderung des Bewusstseins herbeizuführen, nicht besser andere Wege beschreiten als jene einer hochtechnisierten Kunst, welche die raffiniertesten Methoden der Digitalisierung nutzt? Dass solche Fragen Eliasson selber bewegen, ist anzunehmen. Weniger wahrscheinlich ist, dass es auch seinem Publikum so ergeht: Es mag auch so zufrieden sein.
Dem Publikum bleibt, die Ausstellung im grossen Bührle-Saal des Kunsthauses Zürich zu geniessen und sich immer wieder überraschen zu lassen von der Perfektion der einzelnen Objekte, mit denen Eliasson das Herzstück „Symbiotic seeing“ in spannender Choreographie umgibt. Ein Beispiel ist „Algae window“ (2020): In eine Wand eingelassen sind viele hundert Glaskugeln.
Ihre kreisförmige Anordnung entspricht in etwa der Struktur einzelliger Kieselalgen, wie sie Ernst Haeckel gezeichnet hat und die grosse Mengen von Kohlendioxyd aus der Atmosphäre binden können. Spontan erschliessen sich diese Hintergründe nicht; erst die Lektüre des Katalogs gibt Auskunft. Hinter den Glaskugeln befindet sich ein grosses Fenster, sodass wir durch die Kugeln hindurch die Aussenwelt, die Stadt Zürich sehen können. Allerdings ändert die Kunst Olafur Eliassons unser Weltbild radikal: In den kleinen runden Bildern steht die Welt auf dem Kopf.
Kunsthaus Zürich, bis 22. März. Katalog: 39 Franken