Der äussere Anlass liegt darin, dass die Robert F. Kennedy Stiftung für Menschenrechte, die 1968 von Freunden und Verwandten Robert F. Kennedys gegründet worden ist, in diesem Jahr eine Schweizer Sektion bekommen hat. Sie wurde von Christoph Karlo, hauptberuflich Radiologe am Universitätsspital Zürich, gegründet. Partner der Schweizer Stiftung ist das Kompetenzzentrum für Menschenrechte der Universität Zürich.
Die Lichtgestalt
Robert F. Kennedy wurde 1968 ermordet. Aus dem zeitlichen Abstand tritt immer klarer hervor, dass Robert F. Kennedy eine Lichtgestalt der amerikanischen Politik war. In einem Text, den die Stiftung samt Fotos dem Heft zur Verfügung gestellt hat, werden einige Stationen dargestellt und mit eindrücklichen Fotos illustriert.
Man kann die Magie dieses Mannes noch unmittelbarer erleben. Denn im Kunst(Zeug)Haus in Rapperswil läuft derzeit eine Ausstellung, die ebenfalls diesem Thema gewidmet ist. Neben den Bildern der drei Fotografen des Heftes wird ein Film über Robert F. Kennedy gezeigt. Da zeigt sich ein Politiker von grösster Authentizität, der seine Landsleute dazu aufruft, die besten Traditionen zu verwirklichen und nicht in Hass und Gewalt zurückzufallen. Man erinnere sich: Kennedy sprach diese Worte zu Zeiten der Ermordung Martin Luther Kings und dem Aufflammen verstärkten Rassenhasses sowohl auf weisser wie auf schwarzer Seite.
Und Kennedy war ein Politiker von höchster Intelligenz. Die Beilegung der Kuba Krise, Reformen in der Justiz und die konsequente Bekämpfung krimineller Seilschaften in Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften erforderte neben der persönlichen Integrität ein überragendes Mass an Beharrlichkeit und Klugheit. Im Film zeigen sich aber auch sein Witz, sein Charme und seine Wärme.
Die kulturelle Leistung
Mit dem Thema der Menschenrechte knüpft der Chefredakteur Oliver Prange an die besten Traditionen seiner Kulturzeitschrift an. Denn der Gründer Arnold Kübler hat im März 1941 mit dem Namen „Du“ auf den Zusammenhalt hinweisen wollen, der für die Schweizer unter der Bedrohung des Zweiten Weltkriegs von grösster Bedeutung war. Kultur wurzelt im Sozialen, aber das Soziale wird durch Kultur geformt und braucht ihre Impulse. Die Ausweitung der menschlichen Verpflichtung über den engeren Lebenskreis hinaus ist heute das Gebot der Stunde.
Das ist ein Punkt, auf den zu seiner Zeit Robert Kennedy wieder und wieder hingewiesen hat: Im Zeichen der Rassentrennung und der tiefen politischen Gräben Amerikas appellierte er an die Bereitschaft seiner Landsleute, den Hass zu überwinden und auch den Menschen dunkler Hautfarbe Respekt entgegen zu bringen. Das ist eine höhere - eine kulturelle - Leistung des Menschen. Für Abgrenzung, Ablehnung und Gewalt genügen Instinkte und Reflexe. Anerkennung und Zuwendung erfordern Geist.
Und es erfordert eine nahezu unbegreifliche geistige Kraft, Erniedrigung zu widerstehen und sich aus ihr zu befreien. Im aktuellen Heft von Du beschreibt Juliana Dogbadzi aus Ghana, wie sie als ganz junges Mädchen in eine Tempelanlage gelangte, in der sie von einem Priester über Jahre in jeder Weise versklavt wurde. Die Würde, die sich diese Frau bewahrt hat, und ihr Wille erscheinen schier unbegreiflich. Und doch sind sie der Stoff, aus dem die Menschenrechte gewebt sind.
Das nahe Leid
Die Bilder diese Heftes haben ihre ganz eigene Aussagekraft. So stammen die Porträts derjenigen, die sich für Menschenrechte einsetzen und von denen in dieser Ausgabe von Du berichtet wird, von Eddie Adams. 1968 wurde Adams mit einem Bild weltberühmt: Es zeigt, wie der Polizeichef Saigons, Nguyen Ngoc Loan, einen festgenommenen Vietkong auf offener Strasse erschiesst. Dieses Bild ist gar nicht typisch für Adams. Denn er sucht nicht das Schrille und Sensationelle, sondern bringt in seinen Porträts das zum Ausdruck, was die Menschen innerlich prägt und umtreibt.
Auch Paolo Pellegrin blickt mehr hinter als auf die Situationen in Krisen- und Kriegsgebieten. Das Problem der Kriegsfotografie besteht darin, dass sie gewollt oder ungewollt den Voyeurismus der Medien und ihrer Nutzer bedient. Bei Pellegrin ist das völlig anders. Das Leid, das auf seinen Bildern zum Ausdruck kommt, besteht nicht in fremden und für uns quasi exotischen Ereignissen, sondern es ist Teil eines Lebens, das uns angeht.
Räume der Macht
Es gibt eine dritte Gruppe von Fotografien, die einen eigenen Sog ausüben – ästhetisch wie intellektuell. Es handelt sich dabei um Aufnahmen jener Räumlichkeiten, in denen die Mächtigen dieser Welt ihre Entscheidungen fällen. Der Fotograf Luca Zanier bringt die ganze Magie dieser Orte so zum Ausdruck, dass man sich ihrem Bann kaum noch entziehen kann. Gesteigert wird dieser Bann noch dadurch, dass Zanier diese Räume grundsätzlich menschenleer zeigt.
Auf den Bildern von Luca Zanier wirken die realen Räume surreal – und das sind sie auch. Denn sie stellen auf ihre Weise Utopien dar: die Utopie einer gerechten Welt dank internationaler Entscheidungsgremien, die Utopie einer vernünftigeren Welt dank rationaler Diskurse oder die Utopie eines Fortschritts durch Wissen und Eliten. Jeder einzelne dieser Räume erzählt dank seiner Gestaltung von grandiosen Entwürfen – ästhetisch und gesellschaftlich.
Die Bilder von Luca Zanier vervollständigen die Porträts von Eddie Adams und die Bilder des Leides in Kriegsgebieten von Paolo Pellegrin. Denn das alles sind Aspekte einer und derselben Welt. Wie sie zusammenhängen, darüber mag man lange nachdenken.
Die aktuelle Ausgabe von Du wird durch die Ausstellung „Speak Truth to Power“ in Rapperswil im Kunst(Zeug)Haus, die bis zum 8. November gezeigt wird, begleitet. Zu dieser Ausstellung ist ein dreibändiger vorzüglich gestalteter Katalog erschienen, der exklusiv in der Ausstellung für 58 Schweizer Franken angeboten wird. Schon deswegen lohnt sich der Weg nach Rapperswil.
Du 859 – September 2015, www.du-magazin.com
Ausstellung „Speak Truth to Power“, IG Halle im Kunst(Zeug)Haus, Schönbodenstrasse 1, CH-8640 Rapperswil, bis 8. November 2015, www.ighalle.ch
Katalog: Eddie Adams – Luca Zanier – Paolo Pellegrin
Texte: Kerry Kennedy, Dr. Christoph Karlo, Bill Kouwenhoven und Paolo Pellegrin, deutsch und englisch.
IG Halle Rapperswil und Robert F. Kennedy Foundation (Hrsg.)
Drei Bildbände in Schuber. CHF 58.–