Während die Schlüsselrolle Haydns als Komponist von Symphonien, Streichquartetten, Klaviersonaten und Oratorien längst erkannt und weltweit auch anerkannt ist, sind seine Bühnenwerke nach wie vor nur wenigen Spezialisten vertraut, selbst wenn in den vergangenen Jahrzehnten Dirigenten wie Antal Dorati oder Nikolaus Harnoncourt sich für die Hebung dieser Bühnenwerke in die Wahrnehmung des musikinteressierten Publikums stark gemacht haben.
Schwache Libretti
Diese Verkennung der Bühnenwerke Haydns – immerhin etwa ein Dutzend von heiteren und ernsten Opern, die er als Musiker in Diensten des Fürsten Nikolaus II. Esterházy, des „Prachtliebenden“ (1714–1790) für das Schlosstheater Esterházy in Westungarn schrieb –, hängt offensichtlich mit den dramaturgisch fast durchgehend schwachen Libretti zusammen, die Haydn für seine Opern wählte. Ihm fehlte ein Da Ponte an der Seite, wie ihn Mozart kurz danach zur Verfügung hatte.
Haydn war musikalisch ein phantastischer Schilderer seelischer Spannungen und Konflikte, während er für Handlungsabläufe, für dramatische Zuspitzungen und für wirkungsvolle, die Erwartungen überrumpelnde Finale auf der Bühne wohl weniger Gespür hatte.
Die Verführerin im Lager der Kreuzritter
Dennoch gehört Haydns Oper „Armida“ zu den gelungensten unter den über 30 Varianten, in welchen die Zauberin Armida die Ritter des ersten Kreuzzuges von ihrer Bestimmung, Jerusalem zu erobern, abhält und diese in Liebesaffären verwickelt. Immerhin sind es Komponisten wie Lully, Händel, Gluck, Rossini und Dvorak, die den Verführungen Armidas erlagen und ihren Liebreiz einerseits, ihre Zauberkunst andererseits in Theatermusik zu verwandeln suchten.
Der Stoff geht auf das Epos „Das befreite Jerusalem“ zurück, welches der italienische Dichter TorquatoTasso 1574 nach jahrelanger Arbeit vollendete, um es danach an den Dichterhöfen der kirchlichen und weltlichen Herrscher Italiens vorzutragen. Armida ist die Nichte des sarazenischen Herrschers von Damaskus. Ihr Auftrag ist es, die Kreuzritter unter Gottfried von Bouillon (hier Rinaldo genannt) von der Erstürmung und Eroberung der Stadt Jerusalem abzuhalten, die damals unter muslimischer Herrschaft war.
In die Gestalt der Armida spielen andere Zauberinnen der Antike mit hinein. Circe etwa, welche die Genossen des zu seiner Gattin heimstrebenden Odysseus in Schweine verwandelte. In der Zeit der Gegenreformation wurden Frauen, die tapfere Helden pflichtvergessen und vergnügungssüchtig machen, wieder attraktiv. Hier ist es Rinaldo, der Armidas verzauberter Insel am Ende gerade noch entkommt, um zu seinen Ritterpflichten zurückzufinden.
Im Gegensatz zu anderen Varianten, die mit einer Versöhnung der Liebenden und einer Verchristlichung des Stoffes – die Muslimen lassen sich taufen – enden, steht in dem von Haydn gewählten Schluss der tragische Liebeskonflikt zwischen Armida und Rinaldo im Zentrum. Rinaldo reisst sich von der Geliebten los, um mit seinen Soldaten weiter in den Kampf zu ziehen. Armida hält ihren Rinaldo für ein „mostro di crudeltà – ein Ungeheuer an Grausamkeit.“ Der Chor beklagt das Los der Liebenden: „O ungerechtes, missgünstiges Schicksal, bittere Trennung, ewiges Beispiel für liebende Herzen.“ Eine für die Aufklärungszeit – Haydn führte die Oper im Februar 1784 auf – glaubwürdige Lösung!
Der musikalische Zauber Haydns
Die Arie der Armida, mit der wir uns hier beschäftigen, findet sich im 1. Akt der Oper. Rinaldo weilt bereits im Lager der Sarazenen. Armida hat ihn vollkommen mit Liebesschwüren umgarnt – und sich dabei selbst abgrundtief in den fränkischen Ritter verliebt. Der König der Sarazenen will den von der Liebe benommenen Rinaldo nun zum Anführer der eigenen Truppen machen und ihn mit seinen Soldaten gegen die Christen kämpfen lassen. Bei erfolgreicher Mission und nach seiner Rückkehr ins Lager der Sarazenen soll er Armida zur Frau erhalten.
Der in Venedig geborene Historienmaler Francesco Hayez hat um das Jahr 1813 ein berühmt gewordenes Bild gemalt, auf dem wir Rinaldo auf Armidas Zauberinsel sehen. Wer sich so in seine Geliebte verschaut, taugt nur noch bedingt zum kämpfenden Ritter! Alles an ihm ist Hingabe und Bewunderung.
In einem von Haydn in dieser Oper mehrfach verwendeten dramatisch durchpulsierten „recitativo accompagnato“ – das heisst: nicht allein von der Continuo-Gruppe, sondern vom ganzen Orchester begleitet – offenbart Armida ihre innere Zerrissenheit. Rinaldo hat sich aufgemacht, um für die Sarazenen den Kampf anzuführen. „Er ist fort!“ klagt sie. Pflicht ist ein „barbaro dover“ – eine barbarische Notwendigkeit. Sie glaubt vor Schmerz zu sterben. Ist nicht sie allein der Grund für die Todesgefahr, in welcher der Geliebte jetzt schwebt?
Nun setzt Armidas Arie „Serbate a me quel cor – Bewahrt mir dieses Herz!“ ein. Sie, die früher nicht vor Tod und Teufel zurückschreckte und die Macht ihrer Zauberkräfte wirksam der Gewalt der Waffen entgegenzusetzen wusste, wendet sich als Verliebte flehend an die Götter: „Wenn ihr Mitleid kennt, ihr Götter, dann gebt ihr mir meinen Geliebten wieder.“ Einst verachtete sie alle, die sich ihr entgegenstellten. Jetzt ist sie selbst eine Gefangene, welche die „Ketten Amors“ an ihren Füssen trägt. Gegen diese Art von Gefangenschaft fehlen auch einer Zauberin die Hilfsmittel.
Die flehende und die tobende Armida
Haydn hat für diese Arie die flehenden und die tobenden Register eingesetzt. Armida kann ebenso gut die bittende Klage wie die schäumende Wut aus ihr herausholen. Wir glauben ihr ihre Angst um den Geliebten nicht weniger als die Verachtung und den Zorn, mit welchen sie allem begegnet, was sich ihr entgegenstellt. Haydn hat dieser Frauenstimme die grösste Innigkeit, daneben aber auch die grollendste Wut in halsbrecherischen Koloraturen anvertraut. Wie alle Liebenden ist auch Armida höchst verletzbar. Aber aufgepasst: Wer ihr das Liebste raubt, hat etwas zu gewärtigen!
Im Juni 2000 gab es im Musikvereinssaal in Wien eine konzertante Aufführung von Haydns „Armida“ unter Nikolaus Harnoncourt mit einem exzellenten Solistenensemble. Eine zwischen Liebe und Zorn so zerrissene Armida, wie sie dort Cecilia Bartoli sang, wird man auf der Welt nicht leicht wiederfinden. Die Aufführung wurde in einem Live-Mitschnitt aufgezeichnet. Daraus stammt die hier ausgewählte Arie.