Die allseits geforderte Toleranz verhindert einen echten politischen Diskurs und lässt die Gesellschaft kopflos gegen eine Wand laufen: höchste Zeit für Gegensteuer.
Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Terence Schmid wurde 2005 geboren und geht in die Klasse 5i am Realgymnasium Rämibühl. Er interessiert sich für das Altertum und für Physik. Er hasst Schwarz-Weiss-Photos und geschlechtsneutrales Schreiben.
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Diversity, Selbstverwirklichung, Individualität: Das sind die Schlachtrufe unserer modernen, fortschrittlichen Gesellschaft. Alle wollen Eigenständigkeit, alle haben das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Es gilt nämlich, sein eigenes Wesen und die bereits erwähnte «Selbstverwirklichung» auszuleben.
Und wenn wir ehrlich sind, ist unsere eigene Meinung sowieso besser als die der anderen. Aber natürlich wird gleichzeitig auch Toleranz grossgeschrieben; man ist ja kein engstirniger Bünzli.
Auch wenn diese Mentalität etwas selbstherrlich anmutet, könnte ich mich mit dem Gedanken abfinden, diese Einstellung sei allgemeiner Konsens. Leider hat jedoch diese Selbstverwirklichung und sein „eigenes Ich ausleben“ seine Grenzen – der Spass hört bei der politischen Einstellung auf. Die vielbesungene und hochgelobte Meinungsvielfalt in den Zeitungen oder im Unterricht an den Schulen, die jedes Kind dazu ermuntern sollte, seine eigene politische und ethische Einstellung für sich abzuwägen, die gleicht wohl eher einem rot-grünen Meinungseinheitsbrei. Haben Sie schon politischen „Diskussionen“ an einer städtischen Schule beigewohnt? Die gleichen wohl eher einem linken Gottesdienst als einer differenzierten Auseinandersetzung.
Selbstgefällig bestätigen sich gegenseitig Schüler und Lehrer in der fröhlichen Runde, dass sie nun die „Weltbeglückungsphilosophie“ gefunden haben. Jedem ist klar, welches die guten, vernünftigen Parteien sind, und welches eben die bösen, irrationalen, die an allem schuld sind. Andere Denkansätze werden niedergeschrien: Jegliche vernünftige Diskussion wird bereits im Keim erstickt.
Somit erscheint allen jegliche Reflexion über die eigene Weltanschauung völlig überflüssig; solange man sich schön gemütlich im Kollektiv aufhalten kann, trägt man schliesslich für „seine“ Ansichten keine Verantwortung. Wer will denn schon für eine dem Mainstream abweichende Meinung eintreten, wenn man ganz simpel die vorgekauten Parolen seiner Kollegen und Lehrer übernehmen kann?
Nicht nur an Schulen lässt sich dieses Phänomen der gesellschaftlich anerkannten „richtigen Meinung“ beobachten – schauen wir uns die Berichterstattung zu Trumps Wahlkampf 2016 und seiner Präsidentschaft an: Durchs Band kommentierten die Zeitungen abfällig und von oben herab seine Politik. Die Medien verwandelten sich fast schon zu Parteimitgliedern der Demokraten, es ging gar nicht mehr darum, sich mit seiner Agenda auseinanderzusetzen und zu analysieren, sondern nur darum, sich über seine Person und sein äusseres Erscheinungsbild lustig zu machen. (Randbemerkung: Und das kam just von denen, die sonst immer für Transgender eintreten, die optisch auch etwas auffallen …)
Man kann schon von einem Totalversagen der gesamten Medienlandschaft sprechen – die Journalisten begnügten sich lediglich mit spöttischen Bemerkungen über Donald Trump und Lobesliedern auf Hillary Clinton, während sie sich in ihrer heiteren Blase befanden, in der jeder der Meinung war, der plumpe Trump hätte sowieso keine Chance zu gewinnen. Durch diese massive Unterschätzung und den sich dadurch einsetzenden arroganten Unterton der Zeitungen machten diese Trump zu genau dem, was ihm dann den Sieg sicherte – zum verkannten Patrioten, der ganz allein gegen das übermächtige Establishment kämpft, reinkarniert durch die Clintons und die Presse.
Die Borniertheit der Journalisten und ihr Konsens, Trump als Witzfigur darzustellen, hat wohl ironischerweise gerade dazu beigetragen, dass Trump die Wahlen dann eben doch für sich entscheiden konnte. Nichtsdestotrotz war es nie – und es wird auch nie so sein – gesellschaftlich akzeptiert, Trump öffentlich zu unterstützen, denn seine Anhänger sind entweder Rechtsextreme, erlitten ein Kindheitstrauma oder haben sonstige psychische Störungen. Genau diese herablassende Art und Weise des „Establishments“ gegenüber Wählern konservativer Parteien macht es überhaupt möglich, dass Populisten wie Trump an die Macht kommen können.
Ein anderes Beispiel für die Problematik der Einheitsmeinung ist die Velo-Bewegung, die neuerdings diesen Sommer immer am letzten Freitag des Monats in der Stadt Zürich stattfindet. Mit einer unerhörten Selbstverständlichkeit blockieren die Demonstranten die Strassen (dass der daraus entstehende Stau eigentlich noch einen grösseren CO2-Ausstoss zur Folge hat, wird ausgeklammert …), die grün-linke Stadtregierung scheint dies – wenig überraschend – nur geringfügig zu stören.
Der Anspruch der geräderten Demonstranten, einfach so den Verkehr blockieren zu dürfen, gründet in derselben Schwierigkeit, nämlich in der einseitigen, tendenziösen „Berichterstattung“ der Presse. Über die Medien wird den Menschen tatsächlich glaubhaft eingeredet, dass die Polkappen aufhören zu schmelzen, wenn wir etwas weniger Auto fahren, wenn wir Tofu statt Fleisch essen, wenn wir mehr für den Strom und das Heizen zahlen. Alle anderen, welche die mit den umweltschützerischen Massnahmen einhergehenden Regulierungen der Wirtschaft etwas weniger frenetisch vorantreiben, werden sogleich als Klimaleugner diffamiert, als Egoisten, als „Halbdübeli“, die der Wissenschaft aus purem Starrsinn widersprechen.
Dieses dichotomische Bild, erzeugt durch die grünen Parteien und die Presse, verunmöglicht offensichtlich jegliche Diskussion über Umweltmassnahmen, was dazu führt, dass entweder ganz extreme oder gar keine Reformen durchgeführt werden. Dazu kommt noch, dass sich durch die Verleumdung der Konservativen selbstverständlich alle grünen Helden – von denen es ja immer mehr in der Stadt Zürich gibt – sich in dem, was sie so auf der Strasse fabrizieren, bestätigt sehen: Es hat sich wieder ein allgemeiner Konsens ausgebildet, in welchem man entweder voll hinter Greta und Co. steht und sich auf diese Weise zum Supermenschen erhöht, oder man zweifelt die lokalen, mikroskopischen Massnahmen zum globalen, makroskopischen Umweltschutz an, und man ist sogleich der Teufel, der eigenhändig die Gletscher mit Benzin übergiesst und anzündet.
Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht mehr gross, dass diese Leute wirklich denken, ihre Meinung wäre moralisch und ethisch vertretbarer und sie darum mehr Rechte hätten. Sie denken aber nicht daran, dass sie auch die ehrlichen Büezer daran hindern, in das wohlverdiente Wochenende zu fahren und nicht nur den so verhassten Massanzug tragenden Bonibänker, der vermutlich noch schnell am Freitagabend einen Hedgefond in fossile Brennstoffe angelegt hat.
Nach diesen Beispielen bleibt die Frage: Wieso reagieren dieselben Leute, die für Diversity, Frauenquoten etc. einstehen, so allergisch auf andere Ansichten? Wieso wird man für seine sexuellen Präferenzen nicht angefeindet, für seine politischen Ansichten und den eigenen Body Mass Index aber schon? Wenn man diese Fragen beantwortet, bringt man sogleich das gesamte Fundament der Toleranz-Mentalität zum Einsturz. Andere homosexuell sein lassen kostet einen selbst nichts, Andersstämmige in Ruhe lassen ebenfalls nichts – im Gegenteil sogar: indem man sich für diese zum Beispiel an Demonstrationen einsetzt, kann man sein eigenes Karma aufpolieren, das Gewissen wird beruhigt.
Diesen moralischen Boost erhält man augenscheinlich nicht, wenn man Leute aus anderen politischen Spektren akzeptiert. Der zweite und vermutlich wichtigere Unterschied liegt in der Unterscheidung zwischen „nature and nurture“. Die sexuelle Orientierung und die Herkunft werden als etwas wahrgenommen, worauf man keinen Einfluss hat, während hingegen niemand von einem „FDPler“ von Geburt an spricht – die Gesellschaft betrachtet die politische Gesinnung als Ergebnis der eigenen Taten und Erlebnisse, sprich: man ist selbst dafür verantwortlich. Aus demselben Grund will sich niemand gross für Übergewichtige einsetzen – die sind ja selbst schuld.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch – in diesem Text ging es nicht darum, Trump zu verteidigen oder die Klimabewegung zu kritisieren. Vielmehr geht es darum, die Wichtigkeit der Meinungsvielfalt aufzuzeigen – sobald sich in einer Gesellschaft jeglicher Art und Grösse eine unsägliche Einheitsmeinung auskristallisiert, auf deren Höhepunkt sich alle gegenseitig Recht geben und mit mildem Lächeln seichte Pseudo-Diskussionen geführt werden, muss Gegensteuer gegeben werden. Wenn alle in die gleiche Richtung laufen, dann wohl Kopf voran in eine Wand.
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer ([email protected]).
Weitere Informationen zum Zürcher Realgymnasium Rämibühl unter www.rgzh.ch