Präsident Joe Bidens weitgehende Unterstützung Israels im Krieg gegen die Hamas weckt Kritik an der Basis der demokratischen Partei, vor allem unter Jungen und Angehörigen von Minderheiten, die sich 2020 im Wahlkampf für ihn eingesetzt und ihn gewählt haben. Skeptiker befürchten, das könnte Biden nächstes Jahr aufgrund fehlender Stimmen in Swing States die Wiederwahl kosten.
US-Präsident Joe Biden macht nach dem Massaker der Hamas an 1400 Israelis und der Geiselnahme von rund 220 Menschen am 7. Oktober 2023 kein Hehl aus seiner Unterstützung Israels in dessen Kampf gegen die Terrororganisation in Gaza. Und der Kongress in Washington DC, der nach drei Wochen Tumult endlich einen neuen Vorsitzenden gekürt hat, dürfte demnächst weitere Militärhilfe für Israel in der Höhe von 14 Milliarden Dollar beschliessen.
Hohe Opferzahlen
Amerikas Präsidenten verbindet seit jeher eine enge emotionale Beziehung zu Israel, so eng, dass ihn ein Senatskollege einst «den einzigen katholischen Juden» und ein israelischer Offizieller den «ersten jüdischen Präsidenten» genannt hat. Biden selbst sagt, es brauche einer nicht Jude zu sein, um Zionist zu sein. Er hat als Politiker Israel wiederholt besucht und sich als Freund von Premier Benjamin Netanjahu bezeichnet, der in seiner Nähe in Philadelphia aufgewachsen ist – ein Verhältnis, das sich jedoch nach Netanjahus Rückkehr an die Macht Ende vergangenen Jahres verschlechtert hatte.
Amerikas Hilfsversprechen an die Adresse der israelischen Regierung ist fast vorbehaltlos, auch wenn es mit einem bisher zwar kaum gehörten Plädoyer für mehr humanitäre Hilfe zugunsten der 2,2 Millionen Menschen im Gaza-Streifen verknüpft ist. Nach Tausenden israelischer Luftangriffe und der Blockade von Strom, Wasser, Brennstoff und Kommunikation sind in Gaza laut Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums über 8000 Palästinenserinnen und Palästinenser (Stand 28.10.) getötet worden – eine Zahl, die Joe Biden, obwohl Menschenrechtsorganisationen sie bestätigen, zwischenzeitlich als nicht vertrauenswürdig bezeichnet hat. Auch im Westjordanland hat der Krieg bereits über 110 Todesopfer gefordert. Währenddessen sind aufgrund der Kämpfe laut dem «Committee to Protect Journalists» (CPJ) bisher 29 Medienschaffende ums Leben gekommen.
Bidens Risiko
Joe Bidens und Amerikas Parteinahme für Israel birgt nicht nur das aussenpolitische Risiko, in einen regionalen Flächenbrand mit Iran und dessen Klienten im Libanon, in Syrien und im Irak hineingezogen zu werden. Die Reaktion des demokratischen Präsidenten dürfte auch innenpolitisch nicht folgenlos bleiben – ungeachtet wirrer und idiotischer Äusserungen seines mutmasslichen republikanischen Herausforderers.
Ex-Präsident Donald Trump hatte erst Premierminister Netanjahu, Israels Geheimdienste und die IDF kritisiert, die Hamas aber als «very smart» bezeichnet. Er verstieg sich sogar zur Behauptung, es wäre wohl niemandem eingefallen, in Israel einzudringen, hätte es 2020 in den USA keinen Wahlbetrug gegeben.
In einer späteren Rede nahm er Israels Krieg gegen die Hamas zum Anlass, nationale Terrorängste zu schüren und zu verkünden, er würde als Präsident erneut ein Einreiseverbot gegenüber Einwanderinnen und Einwanderern aus gewissen Weltgegenden erlassen, nicht zuletzt aus Ländern, die den Islam praktizieren: «Wir lassen niemanden aus Gaza herein.» Auch würde er Ausländer des Landes verweisen, falls sie «Sympathien für Jihadisten» bekunden würden.
Verantwortung gegenüber den Unschuldigen
Der Krieg beunruhigt auf unterschiedliche Weise auch die jüdischen Amerikanerinnen und Amerikaner, laut dem «Pew Research Center» acht Millionen an der Zahl, sowie Bürgerinnen und Bürger arabischer Herkunft, die dem «Arab American Institute» zufolge 3,5 Millionen zählen. Die jüdische Gemeinschaft, schockiert über das Geschehen in Israel und besorgt über das Schicksal von Verwandten und Freunden, fürchtet sich vor einer Zunahme des Antisemitismus. «Israel hat zu hundert Prozent ein Recht, sich selbst zu verteidigen», sagt ein Rabbi in Philadelphia: «Wir haben aber auch eine Verantwortung gegenüber den Unschuldigen in Gaza.»
Amerikanerinnen und Amerikaner arabischer Herkunft beklagen die Doppelmoral der US-Aussenpolitik und den Umstand, dass der historische Kontext des gegenwärtigen Krieges ausser Acht gelassen werde. «Unser Gedächtnis reicht weiter zurück als lediglich die letzten 24 Stunden», sagt ein palästinensischer Amerikaner in Chicago: «Es gibt eine 75-jährige Besatzung Palästinas.» Laut Volkszählung im Jahr 2020 leben in den USA rund 170’000 Menschen palästinensischer Herkunft, mehrheitlich konzentriert in Städten wie Dearborn (Michigan), Anaheim (Kaliforniern) oder Paterson (New Jersey).
Und hier beginnen Joe Bidens Probleme im Hinblick auf die Präsidentenwahl 2024. Zwar befürworten moderate Kreise der demokratischen Partei seine Unterstützung für Israel, unter jüngeren Wählerinnen und Wählern sowie unter Schwarzen und Latinos aber macht sich zunehmend Frust und Unzufriedenheit breit. Wiederholt ist es jüngst zur Publikation offener Briefe, zu Protesten und Rücktritten liberaler Demokratinnen und Demokraten gekommen, die eine neue Nahost-Politik des Weissen Hauses und eine Feuerpause in Gaza fordern.
Rücktritt von Josh Paul
Aufsehen erregte etwa der Rücktritt von Josh Paul, der im US-Aussenministerium das «Bureau of Political-Military Affairs» geleitet hat, welches für Waffenlieferungen und Sicherheitssupport für ausländische Regierungen zuständig ist. In dieser Zeit habe er, schreibt Paul in einer Kolumne der «Washington Post», komplexe und moralisch heikle Debatten zum Thema Waffenausfuhr geführt: «Was ich aber bis zu diesem Monat noch nicht gesehen hatte, waren komplexe und moralisch herausfordernde Waffenlieferungen ohne jegliche Debatte.»
Die Geschichte zeige, dass Amerikas Waffenlieferungen Israel einem Frieden nicht näher gebracht hätten: «Eher haben sie im Westjordanland den Ausbau einer Siedlungsinfrastruktur erleichtert, die nun einen palästinensischen Staat zunehmend unwahrscheinlich macht, während die Luftangriffe im Gazastreifen ein massives Trauma und zahlreiche Opfer verursachen und nichts zu Israels Sicherheit beitragen.»
Nach Ausbruch des Krieges am 7. Oktober seien aus Israel umgehend Begehren nach unterschiedlichen Waffen eingetroffen, unter ihnen auch welche, die im gegenwärtigen Konflikt nichts zu suchen hätten. Doch thematisiert worden, sagt Josh Paul, seien diese Begehren, anders als im Fall der Ukraine, in keiner Weise: «Das ist nicht mehr das Aussenministerium, das ich kannte. Und deswegen habe ich es verlassen müssen.»
Kritik der jungen Generation
Noch ist schwierig abzuschätzen, wie stark der Dissens innerhalb der demokratischen Partei, die für ihren mutmasslichen Präsidentschaftskandidaten noch eher schwach motiviert ist, Joe Biden nächstes Jahr schadet. Kritisch werden könnte es für ihn in einem Swing State wie Michigan, wo eine grosse arabisch-amerikanische Gemeinschaft lebt, deren Stimmen unter Umständen den Ausschlag für den einen oder anderen Kandidaten geben.
Auf CNN sagte jedenfalls ein junger demokratischer Parteistratege voraus, Biden werde Michigan und damit allenfalls die Wahl 2024 verlieren, wenn er seinen Kurs in Sachen Nahost nicht ändere und für eine Feuerpause in Gaza einstehe. Nicht zu vergessen der Umstand, dass der Präsident 2020 einzelne Schlüsselstaaten wie Arizona, Georgia oder Wisconsin lediglich mit einem Vorsprung von wenigen Tausend Stimmen gewonnen hat.
Umfragen zufolge ist Amerikas Unterstützung für Israel vor allem bei unter 35-Jährigen unpopulär: «Wenn die demokratische Partei und Präsident Biden Israel weiterhin Waffen und militärische Unterstützung zukommen lassen, besteht die Gefahr, unsere Generation zu verlieren, und das ist eine äusserst riskante Entscheidung vor einem kritischen Wahljahr», warnt Michelle Weindling, politische Direktorin des «Sunrise Movement», einer Koalition junger, progressiver Klimaaktivistinnen und -Aktivisten, die Joe Biden 2020 aktiv unterstützt hat. «Ist es dies wert, eine Wahl gegen Trump zu verlieren, mit allem, was das beinhaltet?», fragt derweil Matt Duss, der Senator Bernie Sanders aussenpolitisch beraten hat: «Gleichzeitig glaube ich, dass es an Biden liegt, zu verstehen, wo seine Wählerinnen und Wähler stehen.»
Unruhe an der Basis
Doch Anhänger Joe Bidens innerhalb der Partei wie der New Yorker Abgeordnete Ritchie Torres zeigen sich irritiert ob Aufrufen aus den eigenen Reihen zu einer Feuerpause in Gaza, die nicht mit Forderungen nach der Freilassung aller Geiseln durch die Hamas einhergehen: «Wir müssen vorsichtig sein und nicht den Fehler machen, eine lautstarke Minderheit mit einer Mehrheit zu verwechseln. Israels Kritikerinnen und Kritiker haben in den sozialen Medien viel mehr Macht als in der realen Welt.»
Wie immer sich Präsident Biden künftig gegenüber Israel verhält, die Unruhe an der Basis seiner Partei dürfte ihm nicht gleichgültig sein angesichts der übrigen öffentlichen Kritik wie etwa jener, die sein fortgeschrittenes Alter oder sein Verhalten gegenüber Sohn Hunter betrifft, der wegen unerlaubten Waffenbesitzes unter Anklage steht. Ebenfalls nicht egal sollte ihm sein, dass jene 18 demokratischen Abgeordneten, die im Kongress einer Resolution für eine Deeskalation und eine Feuerpause «in Israel und im besetzten Palästina» zugestimmt haben, ausschliesslich Schwarze oder Latinos sind. Die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ist bereits so ausgeprägt, dass es weitere Spaltungen innerhalb der eigenen Lager kaum mehr erträgt. Und eine zweite Amtszeit von Donald Trump schon gar nicht.
PS: David Remnick, Chefredaktor des «New Yorker», beginnt seine lange Reportage «In the Cities of Killing» über Israels Krieg gegen die Hamas wie folgt: «Der einzige Weg, diese Geschichte zu erzählen, ist es, sie wahrheitsgemäss zu erzählen und zu wissen, dass das nicht gelingen wird.»