Wie Schwelbrände fressen sich die Missbrauchsskandale durch die Reihen der katholischen Kirche, flackern hier und da auf und beleuchten grell manche der besonders prominenten Würdenträger. Die Kirche verspricht «Aufarbeitung», aber es ist nicht einmal die Tatsache, dass diese kaum vorankommt, die zutiefst verstört. Der Skandal wurzelt viel tiefer.
In diesen Tagen ist der ehemalige Papst Benedikt der Lüge überführt worden. Kurz zuvor hat der Münchner Reinhard Kardinal Marx aus Anlass der Vorstellung eines vernichtenden juristischen Gutachtens bezüglich des Verhaltens der Kirche erneut seine Beschämung zum Ausdruck gebracht, aber nicht zu erwähnen vergessen, dass die leitenden Geistlichen in all diesen Jahren der Aufarbeitung einen Lernprozess durchgemacht hätten. Sie seien gewissermassen sensibilisiert worden.
Was so einsichtig klingt, öffnet in Wahrheit den Blick in Abgründe – soweit er nicht durch allzu viele Weihrauchkerzen immer noch völlig vernebelt ist. Denn zum geistlichen Stand gehört der Anspruch höheren geistlichen Lebens. Nicht nur die christliche Tradition ist reich an Beispielen spiritueller Lebensführung. Dazu gehören Selbstzucht und Askese. Niemand kann zwei Herren dienen, heisst es. Wer im Geist leben will, wird auf die Freuden des Fleisches verzichten. Und bis heute gibt es solche geistlichen Menschen auch ausserhalb der christlichen Kirchen, die ihre Spiritualität ausstrahlen und dafür verehrt werden.
Das ist ein Ideal, gewiss. In grösseren Organisationen wie den Kirchen wird es nicht durchgängig erreicht werden können, aber deswegen sollte es nicht gleich ganz über den Haufen geworfen werden. Womit wir beim Missbrauch wären. Zu einer spirituell geleiteten Gemeinschaft kann niemand gehören, der auch nur in den begründeten Verdacht gerät, sexuellen Missbrauch zu betreiben. Voller Ekel müsste diese Gemeinschaft ihn mit Schimpf und Schande davonjagen. Weltliche Richter mögen für ihn mildernde Umstände geltend machen, die geistliche Bruderschaft nicht.
Im weltlichen Leben ist es normal, dass jeder hin und wieder in die Situation kommt, gegen eines der zahlreichen Verbote des täglichen Lebens zu verstossen. Oft wird das nicht bemerkt, und das ist auch gut so. Der Münchner Strafrechtsprofessor Horst Schüler-Springorum sprach in diesem Zusammenhang vom «wohltätigen Dunkelfeld». Gäbe es dieses nicht, würden die Strafverfolgungsbehörden mit Bagatelldelikten zugeschüttet.
Sexueller Missbrauch ist aber etwas völlig anderes. Das gilt um so mehr, wenn Geistliche sich an Kindern und Jugendlichen vergreifen. Denn für sie gelten höhere Massstäbe. Im Falle des Missbrauchs sind sie charakterlich für ihr Amt nicht geeignet.
Dass Würdenträger bereit sind, das Vorkommen solcher charakterlichen Fehler in ihren Reihen ebenso hinzunehmen wie milde Formen des Alkoholismus, zeigt, dass sie selbst nicht über alle Zweifel erhaben sind – um es sehr vorsichtig auszudrücken. Und das ist es doch, was den Klerikern anhaftet: ihr allzu grosses Verständnis für etwas, für das ein normal empfindender Mensch nur Abscheu empfinden kann. Kein Wunder, dass es zur Implosion dieser Kirche gekommen ist.