Italien erwartet nächste Woche heisse Tage «wie noch nie». In Rom soll der absolute Hitzerekord gebrochen werden. Selbst in Norditalien (zum Beispiel in Forlì) soll es 40 Grad heiss werden. Der italienische Meteorologe Stefano Rossi spricht auf der Website von meteo.it von «höllisch heissen Temperaturen», die «uns mindestens zehn Tage begleiten werden».
Verantwortlich ist ein afrikanisches Hochdruckgebiet. Eigentlich ist es makaber, wenn die jetzt erwartete Hitzewelle nach einem düsteren Fährmann bezeichnet wird – nach einem, der die Toten über den Totenfluss ins Reich des Hades, in die heisse Hölle, überführt. Doch genau nach dem mythologischen Steuermann «Charon» (italienisch: Caronte) wird seit dem Jahr 2012 in Italien eine besonders lastende Hitzeperiode benannt.
Und jetzt also wird die Apenninen-Halbinsel wieder von einem Charon in Beschlag genommen. In den nächsten Tagen könnten laut Stefano Rossi in mehreren italienischen Städten Höchsttemperaturen zwischen 40 und 42 Grad Celsius erreicht werden. Zu den am stärksten betroffenen Orten gehören Florenz, Rom und Terni. Auch im Landesinneren der Romagna werden extreme Temperaturen erwartet. In Süditalien, Sizilien und Sardinien würden mit Sicherheit alle bisherigen Rekorde gebrochen, erklären die Meteorologen.
Verstärkt wird die empfundene Hitze noch durch schwüle, feuchte Luft, die in den nächsten Tagen Italien erreichen wird.
Rom: 41 Grad
Der Charon des Jahres 2024 wird heisser sein als der erste Charon, der 2012 stattfand. All das sei eine Bestätigung dafür, dass sich das Klima veränderte. Vor 10 bis 12 Jahren sprach man von extremer Hitze, wenn die Höchsttemperaturen 36 bis 38 Grad erreichten, «jetzt erreichen wir zunehmend über 40 Grad im Schatten», erklärt der Meteorologe Mattia Gussoni, ein Kollege von Stefano Rossi.
Der Charon 2024 wird in Foggia und Taranto 42 Grad, in Benevento, Syrakus, Florenz und Terni 41 Grad und in Agrigento, Caserta und Ferrara 40 Grad erreichen. «In Rom werden wir zwischen dem 18. und 19. Juli 40 Grad (gefühlte 41 Grad) messen», erklärt Rossi. Vor einem Jahr wurde in der Hauptstadt der Hitzerekord gebrochen. Jetzt wird er es erneut. In Mailand wird eine gefühlte Temperatur von 39 Grad prognostiziert.
Doch nicht nur im Flachland wird die Bevölkerung «brüten». Auf 1500 Metern Höhe werden im Norden 24 Grad und auf Sardinien 27 Grad vorausgesagt. Da und dort haben sich die sommerlichen Durchschnittswerte innerhalb von zehn Jahren um 4 Grad erhöht.
Mitten im Touristen-Peak
Vor allem zwischen dem 17. und dem 19. Juli werden schwer erträgliche Temperaturen erwartet. Es ist die Zeit, in denen Millionen Italienerinnen und Italiener (und Hunderttausende Touristen) auf den Autobahnen Richtung Süden fahren. Die grossen Ferien in Italien beginnen am nächsten Montag und dauern bis und mit Ferragosta am 15. August.
Nicht vorstellbar, wenn es dann auf den Autobahnen zu Unfällen mit kilometerlangen Staus kommt. So wie kürzlich auf der A1 zwischen Parma und Modena. Da standen die Autos bei brütender Hitze in einer 15 Kilometer langen Kolonne und bewegten sich dreieinhalb Stunden lang keinen Meter. Ein Ausweichen war unmöglich. Zwei Camions waren umgestürzt und blockierten die Strasse. In den Autos befanden sich schwangere Frauen und viele Kleinkinder.
Auch Züge bleiben immer wieder stecken. Am 21. Juni blieb ein Frecciarossa (der italienische TGV) nach Verlassen von Rom bei Settebagni in der Landschaft stehen – bei brennender Sonne und ausgefallener Klimaanlage. Drei Stunden lang mussten die Passagiere ausharren. In einem Hochgeschwindigkeitszug ist es unmöglich, die Fenster zu öffnen, und so stieg die gefühlte Temperatur auf 50 Grad, wie einige der Reisenden erzählten.
Am Rande des Zusammenbruchs
Oder: Ein Frecciarossa, der von Venedig Richtung Mailand auf dem Weg war, blieb plötzlich wegen eines technischen Defekts in der Nähe von Brescia bei grosser Hitze stehen. Im Zug fiel der Strom aus. Vier Stunden blieben die Passagiere blockiert. Viele der Betroffenen riefen per Handy die Polizei und Krankenwagen. Lange Zeit geschah nichts. Ein Passagier erzählte dem Corriere della sera: «Vier Stunden lang geschlossen in der Hitze und ohne Luft, da es keinen Strom gibt. Verrückt. Es tut weh, ältere Menschen und Kinder am Rande des Zusammenbruchs zu sehen …»
Und vorgestern, am 11. Juli: Ein Frecciarossa mit 350 Menschen an Bord blieb wegen einer technischen Panne plötzlich nahe der toskanischen Stadt Grosseto am Tyrrhenischen Meer stehen. Wieder fiel der Strom und damit die Klimaanlage aus. Der Bürgermeister von Grosseto bot den Katastrophenschutz auf. Fast vier Stunden harrten die Passagiere aus.
Die Behörden und die Medien rufen die Bevölkerung auf, vor einer Reise auf die Toilette zu gehen und Wasser mitzuführen. Auf unnötige Ausflüge soll in diesen heissen Tagen verzichtet werden. Vor allem älteren Menschen und Kindern wird dringend empfohlen, zuhause zu bleiben und Wasser zu trinken. Die Spitäler bereiten sich seit Tagen auf Hitzegeschädigte vor.
Schneeschaufeln im Sommer
Viele Touristen, die jetzt in Italien einfallen, vor allem jene aus dem Norden, sind sich nicht bewusst, welche Gefahren diese «heissesten aller Zeiten», so der Meteorologe Mattia Gussoni, bringen können. Noch brüten Tausende vor dem Römer Trevi-Brunnen oder lassen sich auf der Piazza Navona den Schädel verbrennen. Doch es werden langsam immer weniger. Viele flüchten tagsüber in ihre Hotels oder an den Strand von Ostia – oder besser in die Berge der Abruzzen.
Einer, ein etwa sechzigjähriger, gutangezogener Mann mit Krawatte, hat trotz der Hitze den Humor nicht verloren. Er wartet am Largo di Torre Argentina im Zentrum von Rom auf den Bus Nummer 40. Der Schweiss tropft ihm von der Stirn. Er sagt: «Zum Glück schneit es nicht. Bei dieser Hitze wäre Schneeschaufeln unerträglich.»