Zugegeben, es ist schwierig, sich eine Meinung zu bilden. Zu wenig wissen wir, zu viel wird lobbyiert. Vor allem die Zukunftschancen der Atomkraft werden in den Medien kontrovers dargestellt. Solar- und Windenergie werden da lächerlich gemacht, dort in den Himmel gelobt. Gegen Ausbau der Wasserkraft opponieren die Landschaftsschützer. Die Gesellschaft weiss weder ein noch aus.
Klare Ausgangslage
Die von Menschen gemachte Klimaerwärmung ist ein Fakt. Die gravierenden Folgen betreffen unseren gesamten Lebensstil. Darüber sollten wir uns eigentlich alle klar sein. Das Problem ist ohne Verzögerung anzupacken – schon viel zu lange reden wir darum herum. Doch es braucht einen klaren Kopf: Welche Massnahmen sind am dringendsten?
Unsere Jugend geht weltweit auf die Strassen – sie streikt, weil es um ihre Zukunft geht. Die Umweltbewegung „Extinction Rebellion“ (etwa: „Aufstand gegen die Vernichtung“) errichtet Blockaden in den Hauptstädten Europas. Die Töne werden schriller und in Kommentaren zu dieser Situation zeigt sich, dass viele Menschen noch immer nicht kapiert haben, dass es tatsächlich um nicht weniger geht, als einzelne Elemente des Kapitalismus auszuwechseln. Denn, das kapitalistische System unserer Tage basiert zu einem grossen, stetig steigenden Teil auf fossilen Energieträgern. Dass der „freie Markt“ (Pfeiler der Ökonomie) das Problem regle, glaubt kein Mensch mehr. Andererseits wäre es fatal, die Vorzüge unseres kapitalistischen Systems brachial umpflügen zu wollen. Viel zu gross sind dessen sichtbare Erfolge.
Fast die Hälfte des zusätzlichen, menschenverursachten Kohlendioxids in der Atmosphäre wurde in den letzten 20 Jahren ausgestossen. Tatsächlich alarmierten um 1990 Wissenschaftler aus der ganzen Welt, verwiesen auf diese Zusammenhänge und erklärten sie auch. Sofort versprachen damals die Regierungen dieser Welt zu handeln. Passiert ist seither wenig. Heute, mit zwanzigjähriger Verspätung realisieren wir alle – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft – dass wir unsere Energiever-sorgung dringend und grundlegend umstellen müssen. Das heisst nichts anderes, als dass wir auch unseren Lebensstil ändern müssen. Unsere Gletscher rufen.
Ob Sonnen- oder Windenergie, ob Fotovoltaik oder Windräder, alles ist in einem schnellen Prozess des Wandels begriffen. Die Effizienz der Solarzellen verbessert sich jährlich, die Produktion der entsprechenden Energieträger ist eine eigentliche Boom-Branche. Windenergie macht Riesenfortschritte. Die höchste Windturbine erstreckt sich inzwischen auf unglaubliche 264 Meter (je höher, desto mehr Wind). Alle relevanten Herstellungskosten sinken dauerhaft. Die Renaissance unserer Stauseen und damit einhergehend die Erhöhung deren Staudämme ist ein anderer Weg, um zeitgemäss Strom zu produzieren.
Die Umweltverbände haben dafür und für Windräder wenig Verständnis. Eigentlich schade, denn diese Organisationen leisten Wertvolles – sie sollten umdenken zum Wohl der Schweizer Bevölkerung. Die Bekämpfung der Klimaerwärmung durch Alternativenergien ist für einmal klar prioritär gegenüber optischer Beeinträchtigung der Natur. Und was heisst schon Schutz der Natur? Die Klimaerwärmung gefährdet die Natur in weit stärkerem Ausmass als um fünf Meter erhöhte Staumauern. Nicht zu reden von den seit Jahrzehnten unsere Landschaft verzierenden Starkstrommasten …
Dass Benzin und Kerosin auch heute noch mit unglaublichen Milliardenbeträgen subventioniert werden und dass dadurch die Mobilität verbilligt wird – ein klares Beispiel des Versagens der Regierungen. Wie weit der eingeölte Lobbyismus der Erdölindustrie oder gar Korruption dabei eine Rolle spielen, ist nicht Thema dieses Beitrags. Was jedoch Kopfschütteln verursachen darf, ist die Rolle der Grossbanken und Grossinvestoren. Während fortschrittliche Geldhäuser und Berater längst die relevanten Konzerne (z. B. nicht nachhaltig produzierende Firmen der Erdöl- und Tabakbranche) aus ihren Portefeuilles verbannt haben und daran erinnern, dass nachhaltige Energie und Kreislaufwirtschaft je länger je mehr einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil generiert, stellen sich die oben erwähnten Investoren taub – ihnen ist die tägliche Rendite wichtiger als die persönliche Klima-Verantwortung.
Neue Atomkraftwerke, wirklich?
Die Theorie, wonach uns nur neue Atomkraftwerke aus der Klima-Misere helfen ist umstritten. Für Laien nicht beurteilbar ist z. B. der Vorschlag, wir sollten auf eine neue Generation von Kernreaktoren setzen. Diese würden nicht nur CO2-armen Strom lieferten, sondern sogar ihren Atommüll selbst verbrennen. Gemäss dieser Denkrichtung könnte sogar der über die Jahrzehnte angestaute Atommüll zur nutzbaren Energiequelle werden, deren Potenzial gewaltig wäre (DIE ZEIT).
Schön wär’s ja. Doch in der gleichen Zeitung ist auch zu lesen: „Die Rückkehr zur Atomkraft ist ein No-Go.“ Der Chef des Energiekonzerns EnBW setzt klar auf Windräder und Solarparks. Ob sich neue AKWs bei einer durchschnittlichen Laufzeit von 30 Jahren überhaupt rechnen, wird von anderer Seite angezweifelt – die heutige Technologie hätte ohnehin keine Chance, nicht zu reden von der ungelösten Entsorgungsfrage (seit bald 50 Jahren sucht der Bund nach geeigneten Endlagern – bisher erfolglos).
Weltweit gehen immer weniger Atomkraftwerke in Bau. Wenn Studien des Weltklimarats (IPCC) zeigen, dass die nächsten zehn Jahre entscheidend sind, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen, dann fällt ins Gewicht, dass der Bau eines Atomkraftwerks 5 bis 17 Jahre länger dauert als das Errichten einer Solar- oder Windkraftanlage der gleichen Leistungskraft.
Solarzellen, Energiespeicher, Windräder – die Boombranchen
Gemäss einer neuen Studie der Bank of America Merrill Lynch sind die Fortschritte bei der Energiespeicherung im Bereich nachhaltiger Energien gewaltig, nicht zuletzt deshalb werden die Kosten der Speichertechnologien bis 2025 um 50 Prozent sinken. Dies hat zusammen mit dramatischen Kostenreduktionen der letzten zehn Jahre für Wind- und Solarenergie dazu geführt, dass diese sogar gleich teuer oder sogar günstiger zu stehen kommen als fossile Energien (NZZ am Sonntag).
Erfreuliche Nachrichten kommen gemäss NZZ auch aus Dänemark, von der Insel Samsö mit ihren 3600 Einwohnern. Dort decken 11 Offshore Windräder den gesamten Stromverbrauch. Die Bevölkerung, bäuerlich geprägte, konservative eingestellte Menschen, wurde dazu motiviert, sich an den hohen Investitionskosten zu beteiligen und so zu Miteigentümern zu mutieren. Damit – auch mit der Installation von Solarzellen und Wärmepumpen – begann sie sich überhaupt für innovative neue Lösungen zu interessieren. „Wenn jemandem eine Windturbine vor die Nase gesetzt wird, hat er daran wenig Freude. Gehört ihm aber ein Anteil davon, sieht es schon ganz anders aus“, meint der Energiewende-Experte, seines Zeichens ursprünglich Dorfschullehrer. Hört, hört, liebe Schweizer Bauern!
Dieser kurze, unvollständige Ausblick in die Zukunft der Energiewende lässt Hoffnung aufkommen. Statt über die Verteuerung von Flugtickets und Benzinpreisen zu jammern – versuchen wir unseren Lebensstil wenigsten langsam, aber nachhaltig zu ändern. Indem wir selbst in die neuen Möglichkeiten der Energiewende investieren, könnte die Sache sogar Spass bereiten.