Selbstbezichtigung ist das Wort, das auch die Reaktionsweise gestandener Journalisten auf die akute Zeitungskrise am besten trifft. Das Ende der Frankfurter Rundschau und der Financial Times Deutschland sei die Quittung für ihre Unfähigkeit, sich auf neue Leserbedürfnisse einzustellen.
So schreibt Wolfgang Münchau, Wirtschaftsexperte, Mitbegründer der FTD und Kolumnist bei Spiegel Online, dass es die Journalisten der Printmedien einfach nicht geschafft hätten, die veränderten Erwartungen ihrer Konsumenten zu erfüllen. Eine herkömmliche Zeitung sei linear vom Anfang bis zum Ende aufgebaut und nach Ressorts gegliedert, während die Rezeption im Netz diese Hierarchie nicht kenne, also weitaus dynamischer sei. Zudem könne der Leser vom Text zum Video, vom Bild zur Grafik und von dort zum O-Ton switchen.
Ablenkungsmanöver
Ganz ähnlich argumentiert der Medienmanager Frank Meik in seinem Buch, „Wir klicken uns um Freiheit und Verstand“ (1). Darin warnt er zwar vor den Folgen der neuen Medien, wobei er insbesondere Google und die Social Networks im Blick hat. Aber die Zeitungen hätten sich selbst aus dem Markt katapultiert, indem sie ihre Angebote nicht auf die neuen elektronischen Netze abgestimmt hätten.
Das Ganze klingt derartig plausibel, dass kaum jemand widerspricht. Aber ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Die wirtschaftliche Krise der Zeitungen hat zwei Ursachen: den Verlust der Anzeigenkunden und den Verlust der früheren Exklusivität bzw. des Vorteils der Geschwindigkeit bei der Verbreitung von Nachrichten. Nur der Verlust der Anzeigenkunden kann auf das Internet geschoben werden; Fernsehen und Radio gab es schon früher.
Dazu kommen die Gratisblätter, die übrigens auch in gedruckter Form verbreitet werden. Je genauer man also das Argument „online“ oder „Internet“ anschaut, desto mehr zerbröselt es. Und nicht zu vergessen: Das Argument „Internet“ ist fabelhaft dazu geeignet, von eklatanten Managementfehlern nicht nur im Falle der Frankfurter Rundschau abzulenken.
"Fakten, Fakten, Fakten"
Es ist daher nur ein vages Gefühl, ein durch nichts begründetes Vorurteil, dass die Krise der Zeitungen irgendwie mit dem Internet zusammenhänge und es daher angeraten sei, sich den Online-Medien möglichst gleichförmig zu machen. Aber da nicht nur jedem Anfang ein Zauber innewohnt, sondern auch in jedem Irrtum ein Körnchen Wahrheit steckt, lohnt es sich, danach zu graben.
Die Marketing- und Trendforscher Norbert Bolz und David Bosshart haben schon 1995 (2) beschrieben, dass unsere Gesellschaft in die Richtung der Boulevardisierung und Vulgarisierung marschiert. Am besten verkauft sich das, was noch der Letzte in der Klasse versteht und vor allem: gut findet.
Das Internet als Massenmedium hat diesen Trend verstärkt. Alles muss kurz, bunt, einfach sein und darf dem Konsumenten nichts abverlangen. Genau das ist es, was sich die Manager von Zeitungen wünschen. Oder wie Helmut Markwort, der Gründer von Focus, noch vor der Massenwirksamkeit des Internet als Parole ausgab: „Fakten, Fakten, Fakten“. Wobei Fakten eben nur noch mit „das da“ markiert und am besten mit einer bunten Graphik dargestellt werden. Noch Fragen?
Verändertes Umfeld
Es ist eine gar nicht so einfach zu durchschauende und entwirrbare Gemengelage dadurch entstanden, dass dieser Trend zur Vulgarisierung mit einem anderen technisch bedingten Trend parallel läuft: die Erosion des Geschäftsmodells der herkömmlichen Zeitungen. Dass News elektronisch schneller übermittelt werden als über die Druckerpresse und Anzeigen ins Netz auswandern, ist ein Prozess, der mit der Qualität der Zeitungen kaum etwas zu tun hat. Die Zeitungen verlieren nicht deshalb Leser und Anzeigen, weil sie schlechter geworden wären. Vielmehr hat sich ihr geschäftliches Umfeld verändert.
Der Trugschluss, dem so viele erliegen, liegt darin, dass die Zeitungen endlich so werden müssten wie jene Konkurrenten, die ihnen Anzeigenkunden und Leser abjagen. Und das haben die Zeitungen ja auch wacker versucht, indem sie ihren gedruckten Ausgaben extrem kostspielige, dafür aber für die Konsumenten kostenlose Internetausgaben an die Seite stellten. Nirgends auf der ganzen Welt war dieses Bemühen von Erfolg gekrönt. Vielmehr hat es manches Ende beschleunigt, wie jüngst an der FTD zu sehen.
Die Lesekultur
Im gängigen Managerjargon heisst es, dass sich eine „Marke“ auf die „eigenen Stärken“ besinnen solle. Die Marke „gedruckte Zeitung“ hat diese Stärke, aber die entdeckt man nicht, wenn man die mit ihr verbundene Kultur für überholt hält: die Kultur des Lesens. Der Leser, der sich Zeit nimmt, der Stoff zum Denken sucht, der sich ein Urteil bilden möchte, anstatt bloss unterhalten zu werden oder bloss als Konsument in den Blick zu kommen: Das ist die Stärke der Zeitungen.
Ist diese Stärke nur denjenigen zu erklären, die zu dieser Kultur, also zu den Lesern gehören? Kann man diese Kultur also nicht denjenigen erklären, die für das wirtschaftliche Wohlergehen der Zeitungen verantwortlich sind, den Managern? Es sieht so aus, dass auch ein Teil der Journalistenschar von dieser Furcht befallen ist. Dabei gibt Prozesse, die die Voraussage eines Wolfgang Münchau und anderer durchaus ernst zu nehmender Zeitgenossen vom baldigen Ende des bedruckten Papiers als voreilig erscheinen lassen.
Amazons Investition in das Lesen
Trendforscher wie Norbert Bolz und David Bosshart beobachten nicht nur die Tendenz zum billigen, zum raschen, wahllosen Konsum und zur Vulgarisierung. Vielmehr gibt es einen Grundsatz der Trendforschung, der sich immer wieder als sehr fruchtbar erweist: Jeder Trend erzeugt einen Gegentrend. Fast Food erzeugt den Trend zu Slow Food. Der Trend zum Billigen erzeugt den Gegentrend zum Exklusiven. Entsprechend müsste sich beobachten lassen, dass dem Trend zum raschen Nachrichtenkonsum der Gegentrend zum vertieften Lesen zuwiderläuft.
Wäre es anders, hätte das inzwischen zum weltweiten Giganten herangewachsene Vertriebsunternehmen Amazon nicht viel Geld in die Entwicklung des E-Readers Kindle gesteckt. Kindle bietet kein Multimedia. Kindle bietet nur Buchstaben, die mit einer Ink-Jet-Technologie das Lesen mindestens so angenehm machen wie auf richtigem bedruckten Papier. Wenn das Lesen aus der Mode käme, hätte das Unternehmen Amazon diese Investition nicht getätigt.
Vom Massenprodukt zum Besonderen
Damit zeigt sich ein zunächst unscheinbarer, aber unverkennbarer Vorteil der gedruckten Zeitungen: Sie laden zum längeren Lesen ein. Sie können also etwas transportieren, das online nicht mehr vermittelbar ist. Zu verlangen, dass die gedruckten Medien wie Online-Medien funktionieren, ist wie die Verwandlung von gutem Wein in einen Alkopop.
Deswegen ist es geradezu absurd, dass Printzeitungen auf online getrimmt werden. Printzeitungen sind langsam und teuer und sie können sich nur dank ihrer Qualität durchsetzen. Wenn also an Fachredaktionen und Auslandskorrespondenten gespart wird, sinkt Print auf das Niveau der Online-Medien und kann nicht überzeugen. Denn die kostspieligen gedruckten Zeitungen müssen einen Mehrwert bieten, der auch das Selbstgefühl der Leser erhöht. Gedruckte Zeitungen müssen vom Massenprodukt wieder zu etwas Besonderem werden. Darin liegt ihre Chance.
(1) Frank Meik, Wir klicken uns um Freiheit und Verstand. Warum die neuen Medien unsere Demokratie bedrohen, Murmann Verlag 2012
(2) Norbert Bolz, David Bosshart, Kult-Marketing, Die neuen Götter des Marktes, ECON 1995