Bertrand Piccards Vision, „unglaubliche“ Dinge mit erneuerbaren Energien schaffen zu können, steht für den Schweizer Pionier, der beweist, dass saubere Technologien den Traum einer Welt ohne Erdöl Wirklichkeit werden lassen. Piccard: „Wenn wir erfolgreich Tag und Nacht ein Flugzeug ohne Treibstoff fliegen lassen können, dann sind wir auch in der Lage, unsere Erde mit sauberen Energien zu versorgen“.
Und: „Jahrhundertherausforderung Energie“, lautete der Aufruf des 29. internationalen Europa Forums Luzern. Beide Symbole setzen positive Zeichen für die Energiewende in einer Zeit, da - sieben Jahre nach dem Reaktorunfall Fukushima und in Zeiten drastisch sinkender Heizöl- und Benzinpreise - das Thema Energiewende im Sorgenkatalog der Schweizer Bevölkerung nach hinten gerutscht ist. Verschlafen wir da eine grosse wirtschaftliche Chance?
„Solar Impulse“ - das erste Solarflugzeug der Welt
Hundert Personen umfasst das engere Team des Abenteuers „Solar Impulse“ und 150 Millionen Franken haben bekannte Schweizer Firmen in dieses Projekt bisher investiert. Die Erdumrundung im ersten bemannten Solarflugzeug der Welt ist das Ziel – eine saubere Welt ohne Erdöl ist möglich, die Botschaft. Nochmals Bertrand Piccard: „Mit den heutigen Technologien könnten wir die Abhängigkeit von fossilen Energien stark vermindern, wenn die Regierungen den Mut hätten, sie massiv zu fördern; von dieser faszinierenden Entwicklung profitieren alle dank neuer Arbeitsplätze, einer gestärkten Kaufkraft und einer sauberen Umwelt“.
„Unmöglich“ – peinliche und mutlose Ansichten
Bürgerliche Kreise im Verbund mit der Stromlobby verbreiten seit Monaten die Botschaft, die Energiewende sei ein Ding der Unmöglichkeit. Wer das so sieht, leistet keinen Beitrag zu einer sich abzeichnenden, neuen Energiezukunft. Es ist abzusehen, dass – ähnlich wie beim Untergang des Schweizerischen Bankgeheimnisses – solche von Partikularinteressen geleiteten Gruppen einmal mehr der Welten Lauf falsch beurteilen und damit auch den wirtschaftlichen Strukturwandel einer wichtigen Branche verschlafen. Unsere grossen Stromkonzerne waren keine Vorbilder.
Viele in unserem Land verteufeln Anfangssubventionen für alternative Energien. Sie verschweigen geflissentlich, dass Erdöl und Erdgas heute weltweit viermal mehr Subventionen erhalten als erneuerbare Energien. Gemäss IEA (Internationale Energieagentur) wird die Summe auf 490 Milliarden Dollar geschätzt, die Staaten 2014 ausgaben, um Kohle, Öl und Erdgas künstlich zu verbilligen. Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit) bestätigt, dass ihre Mitgliedstaaten davon mit 65 Milliarden zu Buch stehen; es sind also nicht nur Öl-, Schwellen- und Entwicklungsländer. Hinter diesen gewaltigen Beträgen stehen die Lobbys, die um ihre Pfründe bangen. Am penetrantesten zu sehen in den USA, wo die Republikaner die Klimaerwärmung immer noch leugnen (finanziert von den Milliardären wie den Gebrüdern Koch).
Saubere Energie, Swiss made
In der Schweiz ist die Wasserkraft Rückgrat der Stromversorgung, sie kommt für 60 Prozent des Bedarfs auf. Beim gegenwärtigen internationalen Strompreiszerfall ist abzusehen, dass wir gut daran tun werden, diese einheimischen Anlagen (mindestens vorübergehend) mit einer Prämie finanziell zu stützen, wie es der Nationalrat anfangs März 2016 beschlossen hat.
Neben der Wasserkraft sollen Wind- und Sonnenenergien mit Anreizsubventionen angeschoben werden. Doch nach wie vor wettern FDP und SVP gegen solche Subventionen. Nichts desto trotz: warum damit ein Infrastrukturprogramm lanciert und warum sich das lohnen wird, weiter unten.
Wettbewerb statt Monopole
Konzentrieren wir uns bei der Energie-Diskussion auf das Zukünftige! Wir alle haben erlebt, dass in den letzten Jahren trotz fallenden Strompreisen die Stromrechnungen gestiegen sind. Die EWs verrechnen laufend höhere Gebühren für Fixkosten: Basis-, Transport-, Potenz-, Swissgrid-, Netzbenutzungsgebühr usw. (Beispiel aus Ascona), um sich schadlos zu halten.
Da kommt die Nachricht aus dem Silicon Valley gerade zur rechten Zeit. Solarzellen und Batterien werden immer billiger und es zeichnet sich die Netzparität ab, d.h. dank cleveren IT-Support können sich ganze Quartiere zu autarken Strominseln verselbständigen, ohne überhaupt das bestehende Stromnetz zu beanspruchen.
Wichtige Voraussetzung ist natürlich die stark erhöhte Speicherkapazität der Batterien. Solche Akkus im Haus (plus Solarpanels auf dem Dach) sind bereits Tatsache. Elon Musk (Tesla) – der unermüdliche „Erfinder“ einer neuen Autowelt – hat letztes Jahr seinen Powerwall (Kosten 3000 Dollars) präsentiert, den man in der Garage oder im Keller an die Wand hängt. Musk baut zu diesem Zweck eigens eine neue Fabrik, die Gigafactory in Nevada. Ab 2017 soll von dort die neue Generation von Batterien kommen, die nicht nur Elektroautos billiger und effizienter macht, sondern gleichzeitig überschüssigen Solarstrom speichert. Mit intelligentem IT-Support kombiniert, kann die Eigenversorgung im Eigenheim drastisch gesteigert werden. Finanziell rechnen tut sich das im Moment noch nicht, doch aus der Computerentwicklung wissen wir, wie schnell Preise für solche neuen Geräte sinken werden.
„Kraftwerk Schweiz“
Einer, der mit grosser Energie und mithilfe modernster Computersimulationstechnologie erforscht hat, wie es die Schweiz über eine Zeitspanne von 50 Jahren schaffen kann, ohne Atomkraftwerke und mit viel weniger Erdöl auszukommen, ist Anton Gunzinger, ETH-Professor für Computer System Design. Er ist gleichzeitig Unternehmer und alles andere als ein Phantast. (Dass sich der Nationalrat anfangs März 2016 entschieden hat, die Laufzeitbeschränkung für unsere ältesten Atimanlagen auf maximal 60 Jahre zu kippen, zeigt, wie diese Politiker kurzfristiges ökonomisches Denken höher einstufen als langfristig verantwortliches Handeln). Längst hat Gunzinger nachgewiesen, dass Solarstrom günstiger ist als jener aus den Kernkraftwerken, würde dies endlich seriös berechnet.
Wir hätten nur etwas mehr als jedes vierte Dach mit Solarpanels auszurüsten (entsprechend 150 von 400 Quadratkilometern), und der erste Schritt wäre getan. Der zweite hiesse 2000 Windturbinen. Den Vorwand der Verschandelung kontert er mit dem Hinweis, dass wir im Land inzwischen 1200 Quadratkilometer Natur mit Strassen asphaltiert haben. Der umtriebige Professor fährt mit dem Velo zur Arbeit.
Heute überweisen wir zur Deckung unseres Energiehungers rund 11 Milliarden Franken jährlich an Saudiarabien, Russland, Libyen, Iran. 120 Millionen Franken bezahlen wir an ausländische Lieferanten für Kernbrennstoffe. Es wäre also wohl keine schlechte Idee, uns sukzessive aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Wichtig ist es allerdings, sich schon heute auf den Weg zu machen.
Unglaubliche Energieverschwendung
Dafür, dass wir endlich weniger Energie verschwenden, ist es offensichtlich noch zu früh. Tausende von nächtlich angestrahlten Häusern, privaten Gärten, Schockbeleuchtungen ohne jeden präventiven Wert, hell erleuchteten Strassen – dies ist die strahlende Schweiz, nachts. 15 Prozent des nationalen Stromverbrauchs gehen auf die Kosten Beleuchtung. Optimale Lichtregelung und LED-Technologie würden die Hälfte dieser Energie einsparen.
Ein anderes Beispiel ist der Standby-Verbrauch. Dieser entspricht – gemäss EKZ - dem Stromverbrauch von rund 200‘000 Haushalten. Was ist so schwierig daran, den PC oder das TV-Gerät ganz abzuschalten, Ladegeräte bei Nichtgebrauch von der Steckdose zu nehmen?
Schweizerisches Infrastrukturprogramm
„Die Energiestrategie 2050 kommt einem über Jahrzehnte laufenden Infrastrukturprogramm gleich. Sie stimuliert den Binnenmarkt und sichert Tausende von Arbeitsplätzen. Eine zukunftsorientierte, moderne Energieinfrastruktur kommt der ganzen Wirtschaft zugute“. Dies sagt Kurt Frei, Co-Präsident der Allianz Schweizer Wirtschaft für die Energiestrategie 2050 in der NZZ vom 23.9.2015. Er meint damit auch, dass von der Energiewende alle profitieren können.
Die Schweizerische Energiestiftung (SES) rechnet mit rund 85‘000 neuen Jobs bis 2035, eine Schätzung, der Economiesuisse keinen Glauben schenkt. Ihr Präsident: Heinz Karrer, ehemaliger CEO der Axpo. Auch der Nationalrat hat diese Woche wieder einmal bürgerliche Kurzsichtigkeit bewiesen: er will die die Stromversorger nicht dazu verpflichten, Effizienzmassnahmen durchzusetzen. Genau hier läge ein grosses wirtschaftliches Potenzial.
Ein gegnerisches Argument zur Energiestrategie 2050 lautet, dass sich die notwendigen Investitionen in alternative Energien für Hausbesitzer vielleicht gar nie amortisieren liessen. Erfreulicherweise gibt es Tausende im Land, die sich trotzdem dafür entscheiden. Es sind eben nicht Fehlinvestitionen, sondern Zukunftsinvestitionen für unsere Enkel. Viele sehen darin eine grosse Chance für unser Land. Einer von ihnen ist Bertrand Piccard.
www.solarimpulse.com
Ashlee Vance: „ELON MUSK – Tesla, PayPal, SpaceX – Die Biografie“, (2015)
Anton Gunzinger: „Kraftwerk Schweiz, Plädoyer für eine Energiewende mit Zukunft“, (2015)
Ähnlicher Artikel: Christoph Zollinger: „Nicht zu Ende gedacht“ 12.01.2016