Machen wir’s nicht spannend: Es sind freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit und freier Kapital- und Zahlungsverkehr. Überflüssig zu erwähnen, dass diese Grundfreiheiten nur innerhalb der EU gelten.
Nun ist die Schweiz bekanntlich nicht Mitglied der EU, liegt aber mittendrin. Deshalb hat sie sieben Abkommen, sogenannte bilaterale Verträge, mit der EU abgeschlossen, darunter auch einen über die Personenfreizügigkeit, den man HIER nachlesen kann. Wenn man will.
Heilige Werte?
In der aktuellen Debatte wird seitens der EU, solo oder im Chor, aber ständig mit da capo und staatstragender Miene vorgesungen, dass man nun über alles verhandeln und sprechen könne, wie es sich unter zivilisierten Staaten gehört. Aber wenn sich ein Staat wie die Schweiz am Heiligtum Personenfreizügigkeit vergreifen will, dann gehe das gar nicht. Man kann zwar abgeschlossene Verträge auch kündigen und neu verhandeln wollen, das sei konzediert.
Aber niemals kann über Grundwerte, Grundfreiheiten verhandelt werden, das ist unantastbar. Das wäre etwa so, wie wenn das UNO-Mitglied Schweiz sich plötzlich nicht mehr an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte halten wollte.
Niemals, ausgeschlossen
Eurokraten sind vielleicht noch zähneknirschend bereit zuzugeben, dass ebenso heilig versprochene Prinzipien wie die No-Bailout-Klausel, Bankeinlagegarantien, Defizitgrenzen, Verschuldungsquoten schon längst über Bord geworfen wurden. Oder dass Monstrositäten wie der Europäische Stabilitätsmechanismus, das «unbegrenzte» Aufkaufen von Staatsschuldpapieren durch die Europäische Zentralbank schon auch nicht ganz unproblematisch sind.
Aber irgendwo ist Schluss, nämlich genau bei den «Grundfreiheiten». Wenn da diese Alpentrottel mit ihrer Rosinenpickermentalität und latenter Xenophobie sich eine Käseglocke überstülpen wollen, dann hört der Spass endgültig auf. Da geht’s ums Prinzip, ums Fundament, da gibt es nur ja oder nein. Wenn diese Grundfreiheiten zur Verhandlungsmasse würden, dann hörte einfach alles auf. Niemals.
Brandschwarz gelogen
Ist es wirklich so, dass ausgerechnet diese vier Grundfreiheiten innerhalb der EU noch nie aufgehoben, ausser Kraft gesetzt, geritzt wurden? Wäre doch schon alleine aufgrund der Erfahrung merkwürdig, dass so ziemlich alle anderen Versprechen im Notfall pulverisiert wurden, und wann herrscht in der Eurozone letzthin nicht der Notfall.
Und natürlich wurde auch schon eine dieser Grundfreiheiten innerhalb der EU ausser Kraft gesetzt. Wer’s nicht glaubt, muss nur einen Zyprioten fragen. Also den Besitzer eines Zweitklass-Euros, der seit der Zypernkrise (man erinnert sich noch dunkel?) rigiden Kapitalverkehrskontrollen unterworfen wurde. Vom Versuch, die staatliche Garantie auf Einlagen bis zu 100'000 Euro deutlich runterzusetzen, von nackter Enteignung ganz zu schweigen.
Ist ein Prinzip ein Prinzip?
Ein Prinzip unterscheidet sich von anderen Setzungen dadurch, dass es keine Ausnahme kennt. Lässt man sie zu, dann hat man vielleicht eine ansonsten brenzlige Situation bereinigt, aber man hat kein Prinzip mehr. «Du sollst nicht töten» ist ein Prinzip. Ausser in Notwehr, bei Gefahr für Leib und Leben oder wenn es dir dein Staat im Krieg befiehlt oder wenn du dazu im Rahmen des Gewaltmonopols als Polizist dazu berechtigt bist: Das ist alles diskutabel, aber «du sollst nicht töten» ist dann kein Prinzip mehr.
Wenn nun diese «vier Grundfreiheiten» ein Prinzip sein sollen, an dem per Definition nicht gerüttelt werden kann und deshalb die einzig mögliche Reaktion auf diesen Versuch der Schweiz nur darin bestehen könne, sämtliche Verträge zu kündigen, neu zu verhandeln, aber nicht verhandelbar seien diese vier Eckpfeiler, dann lügen sich alle, die das behaupten, in die Tasche.
Wenn eines dieser Prinzipien schon innerhalb der EU ausser Kraft gesetzt wurde, dann sind sie offensichtlich nicht unantastbar, schon gar nicht in Verhandlungen mit einem Staat, der nicht mal Mitglied der EU ist. Zumindest, wenn Logik noch etwas gilt.
Ein wahres Wort von höchster Warte
Natürlich gilt Logik bei den Eurokraten nicht viel. Denn sie sind in erster Linie Populisten, die noch so froh sind, dass ihnen der tapfere Schweizer Stimmbürger eine Steilvorlage geliefert hat, davon abzulenken, dass der eigene Rock brennt. Jeder, der sich in welcher Form auch immer an den angeblich heiligen Grundwerten der EU vergreift, ist ein Rechtspopulist, steht zudem unter dem Generalverdacht, in seinem schwarzen Wesenskern ein Rassist zu sein, mindestens fremdenfeindlich.
Wie formuliert das der Präsident des Europäischen Parlaments, dem Aspirationen auf Höheres nachgesagt werden, so wunderbar klar im «Spiegel»: «Die Regierung in Bern hat die Initiative klar abgelehnt. Sie ist in dieser Frage unser Partner. Da sind wir nicht gut beraten, wenn wir sofort losschlagen.»
Losschlagen? Mit der Schweizer Regierung als Partner? Wie unendlich dumm von Martin Schulz, solche Wahrheiten gelassen und öffentlich auszusprechen ...