Der Bericht des US-Senats über die Folterpraxis des amerikanischen Geheimdienstes CIA hat einen kleinen Medien-Sturm ausgelöst. Doch es gibt auch warnende Stimmen, man solle den Bericht nicht überbewerten. Er sei einerseits klar als politisch instrumentalisiert zu bewerten. Andererseits müsse man die Folter im Kontext eines geschichtlichen Ereignisses betrachten, nämlich im Umfeld der Terroranschläge von 9/11. In den „chaotischen Monaten nach 9/11“ erscheine vieles in einem andern Licht, schreibt NZZ-Korrespondent Peter Winkler (NZZ, 11.Dez.2014)
Nun ist gegen die Forderung, historische Ereignisse im Kontext zu sehen, nichts einzuwenden. Nur ist die Folterpraxis amerikanischer Geheimdienste und Spezialtruppen nicht ein Produkt von 9/11, sondern seit langem bekannt und dokumentiert. Und um es vorweg zu nehmen: Gefoltert wurde wahrscheinlich zu allen Zeiten und in allen kriegerischen Konflikten, sei es unter Stalin in der Sowjetunion, unter dem Hitler-Regime, unter Pol Pot in Kambodscha oder im Chile des Augusto Pinochet.
"Unvorhersehbare Herzschwäche"
„United States Army School for the Americas“ hiess das Ausbildungszentrum in Panama, welches in dieser Hinsicht zu trauriger Berühmtheit gelangt ist. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurden dort rund sechzigtausend lateinamerikanische Offiziere in Aufstandsbekämpfung ausgebildet: Counterinsurgency, Psychological Warfare, Verhörtechniken, Foltermethoden schlimmster Sorte. Es gab entsprechende Handbücher, in denen detailliert aufgelistet wurde, was man machen konnte und sollte und durfte, um aus Gefangenen Informationen herauszupressen. Einige dieser CIA-Manuals mussten Mitte der neunziger Jahre entklassifiziert werden, wie es das amerikanische Gesetz verlangt. Die Listen der Offiziere, die in Panama ausgebildet wurden, lesen sich in Teilen wie das Who is who der schlimmsten Schergen lateinamerikanischer Diktaturen der 60er und 70er Jahre. Roberto D’Aubuisson, einer der Chefs der salvadorianischen Todesschwadrone, hatte die Escuela de las Américas in Panama absolviert, desgleichen Manuel Contreras, Geheimdienst-Chef des chilenischen Generals Pinochet, wie auch der argentinische Putsch-General Eduardo Viola.
Weniger bekannt als Guantánamo und Abu Ghraib ist das Gefängnis in Bagram, dem Hauptquartier der amerikanischen Truppen in Afghanistan. Als dort ab 2002 immer wieder Gefangene nach Verhören starben (Diagnose: unvorhersehbare Herzschwäche oder Ähnliches) leitete die US-Armee eine interne Untersuchung ein. Die Ergebnisse wurden geheim gehalten. Der rund 2000 Seiten starke Bericht wurde 2005 der New York Times zugespielt. Die Lektüre kann einen zum Verzweifeln bringen. Die Details der Misshandlungen erinnern an Abu Ghraib. Man fragt sich, wie Menschen zu solchen Scheusslichkeiten fähig sein konnten. Gegen eine Reihe von Offizieren und Gefängniswärtern wurden Strafuntersuchungen eingeleitet. Die meisten gaben an, sie seien sich nicht bewusst gewesen, etwas Unrechtes getan zu haben.
In die Arme der Taliban getrieben
„Die Genfer Konvention galt für Gefangene, nicht für Terroristen“, sagte Sergeant Leahy, einer der Beschuldigten von Bagram, im Verhör. Nach den Terroranschlägen von 9/11 war diese Auffassung von höchster Stelle als Doktrin abgesegnet worden, und zwar meist in geheimen Memoranden. Waterboarding wurde nicht als Folter eingestuft. Im Dezember 2002 billigte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in einem solchen nicht öffentlichen Vermerk 16 spezielle Verhörmethoden in Guantánamo, darunter dass Gefangene sich bei Verhören nackt auszuziehen müssen, dass Hunde zur Abschreckung eingesetzt werden dürfen und einiges mehr. (Süddeutsche Zeitung 17.Mai 2010)
Daher ist es kaum erstaunlich, dass sich in Teilen der Armee die Vorstellung durchsetzte, dass Gefangene, die als Terroristen verdächtigt werden, keine Menschenrechte und keine Menschenwürde beanspruchen können. Als die Los Angeles Times im April 2012 Fotos von amerikanischen Soldaten der 82. Luftlandedivision zeigte, die mit den abgeschnittenen Händen und Beinen von getöteten Taliban vor der Kamera posierten, ging eine Woge der Empörung durch die internationale Öffentlichkeit. Es blieb nicht bei diesen Einzelfällen. Es gab Bilder von US-Marines, die auf die Leichen ihrer Feinde urinierten, es gab die Verbrennung von Koran-Bänden und Berichte von einzelnen Soldaten, die in alkoholisiertem Zustand Gemetzel unter Dorfbewohnern anrichteten. Jede neue Medien-Enthüllung trieb möglicherweise Tausende von neuen Freiwilligen in die Arme der Taliban oder anderer Gruppen, denen der Westen und seine Kultur verhasst sind.
Nichts gewusst
Und die Leute an der Spitze der Militärhierarchie – vom Präsidenten über den Verteidigungsminister bis zu den kommandierenden Generälen - übten sich in der immer gleichen Litanei: Dies sei nicht die Moral der amerikanischen Armee, es handele sich um bedauerliche Einzelfälle. Die Schuldigen würden zur Verantwortung gezogen. Das Pentagon hat immer wieder Untersuchungen angeordnet, Psychologen und andere Experten suchten nach Erklärungen. Die Ergebnisse wurden meist geheim gehalten; verurteilt wurden nach meiner Kenntnis bisher nur wenige der Täter.
Bagram, Guantánamo und Abu Ghraib sind mit Sicherheit nicht bedauerliche „Auswüchse im Kontext von 9/11“, sie sind auch nicht unglückliche Entgleisungen menschlich überforderter Einzelpersonen. Sie sind nicht mehr und nicht weniger als die Fortsetzung einer Tradition der systematischen Anwendung der Folter in militärischen Konflikten.
Gezielte Falschinformationen
Möglicherweise hat es diese Grausamkeiten immer gegeben, denn der Krieg lässt Menschen verrohen. Menschen sind für den Krieg nicht geeignet, sie gehen zu schnell kaputt. Psychisch und körperlich. Neu ist, dass Soldaten mit Handys fotografieren können und Möglichkeiten finden, Bilder und Texte ausserhalb der Kontrolle ihrer Vorgesetzten übers Internet zu verbreiten. Andernfalls wäre vielleicht heute noch nicht bekannt, was in Abu Ghraib Folterpraxis war.
Aber die Folter, so menschenverachtend und so verurteilenswert sie sein mag, ist nur das eine. Weitaus grösseren Schaden kann die Falschinformation anrichten. Die gezielte Falschinformation der eigenen Bevölkerung dient der Dämonisierung des politischen Gegners. Und ein beträchtlicher Teil der Geheimdienstarbeit besteht in der Verbreitung von manipulierten „Erkenntnissen“ mit dem Ziel, bestimmte politische Wirkungen zu erreichen. Falsche oder manipulierte Informationen haben in vielen Fällen geholfen, einen Krieg zu rechtfertigen.
Geschickt platzierte Lügen-Stories
Eine Granate, die ein Agent Provocateur in einem bestimmten Moment auf einen Marktplatz fallen lässt, oder anonyme Scharfschützen, die von einem Hochhaus in die Menge der Demonstranten schiessen, dazu die schnell fertigen „Beweise“: Die andern waren es, die andern sind die Täter! So manipuliert man die Medien, und so kann man den entscheidenden, letzten und notwendigen Anstoss für das Umkippen der öffentlichen Meinung geben.
Krieg wird mit Bildern gemacht. Vor allem Angriffskrieg. Und im Krieg sind nicht Einzelpersonen die Opfer, wie in Foltergefängnissen, sondern ganze Völker mit Hunderttausenden von Toten, wie es zum Beispiel im Irak der Fall war. Geschickt platzierte Lügen-Stories haben in vielen Fällen dazu gedient, in einer breiten Öffentlichkeit Zustimmung und sogar Begeisterung für den Krieg zu erzeugen. Und selbstverständlich gilt dies nicht nur für die USA. Europa hat eine traurige Tradition der medialen Produktion von Hass, wenn es galt, das Volk auf den Krieg gegen „den Erbfeind“ vorzubereiten.
Die Presse, fürs Militär rekrutiert
Journalisten stehen besonders in der Verantwortung, wenn es um Krieg oder Frieden geht. Der amerikanische Recherchier-Journalist John R. MacArthur hat die „Brutkastenstory“, die den US-Kongress zur schnellen Ermächtigung im ersten Golfkrieg bewog, als eine Lügen-Geschichte entlarvt. Sein Buch „Second Front: Censorship and propaganda in the Gulf War“ (1992) ist ein Meilenstein in der Geschichte des investigativen Journalismus.
Dort wird Stanley Cloud zitiert, Washingtoner Redaktionschef von „Time“, der über den ersten Golfkrieg sagte, dass die „eingebetteten Journalisten“ wohl diejenigen waren, die die meiste Unwahrheit über diesen Krieg berichteten:
„Sie (das Pentagon) fanden eine Möglichkeit, unsere Berichterstattung bis aufs i-Tüpfelchen zu kontrollieren. Sie beschränkten unseren Zugang in einer Weise, dass eigene Reportagen nicht mehr möglich waren. Sie fütterten uns mit ständigen Pressekonferenzen, bei denen sie den Inhalt und die Meldungen bestimmten. Und wenn es uns trotz alldem irgendwie gelang, etwas zu berichten, was ihnen nicht gefiel, konnten sie es per Zensur streichen (…) Praktisch lief es darauf hinaus, dass die Presse fürs Militär rekrutiert worden war.“ (John MacArthur: Die Schlacht der Lügen, dtv 1993, S.174)
"Gekaufte Journalisten"
Manipulierte Informationen in die Medien zu schleusen, ist eines der Kerngeschäfte der Geheimdienste. Udo Ulfkotte, ehemaliger Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) outet sich in seinem jüngsten Buch „Gekaufte Journalisten“ als langjähriger Kontaktmann des amerikanischen CIA und des deutschen Bundesnachrichtendienstes BND:
„Die FAZ ermunterte mich ausdrücklich dazu, den Kontakt zu westlichen Geheimdiensten zu verstärken (…) Eines von vielen Beispielen, das mir gut in Erinnerung geblieben ist: Den Enthüllungsbericht „Europäische Unternehmen helfen Libyen beim Bau einer zweiten Giftgasfabrik“ vom 16. März 1993, der wie viele meiner Berichte weltweit Aufsehen erregte, hatten zwei Mitarbeiter des BND in meiner Anwesenheit in einem Besucherraum der FAZ in der Hellerhofstrasse in Frankfurt formuliert (…) Eine Aufgabe dieser beiden BND-Mitarbeiter war es, Berichte für renommierte deutsche Zeitungen zu schreiben.“ (Ulfkotte, S.44)