Der Pan-American Highway führt über 25 000 Kilometer von Anchorage bis Feuerland – mit einer einzigen Unterbrechung von 110 km. Die Einheimischen nennen dieses Gebiet entlang der Grenze den Tapón del Daríen, Daríen-Pfropfen. Auf kolumbianischer Seite endet die Strasse in Turbo, weil ein nahezu undurchdringlicher Regenwald, eine 80 km weite Sumpf- und Marschlandschaft und ein verwirrendes Netz von Flüssen, Bächen und Rinnsalen den Weg versperren. In Panama blockieren ebenfalls Regenwälder sowie eine bis zu 1800 Meter aufsteigende Bergkette die Weiterfahrt. Inmitten tiefsten Buschs und wenige Kilometer hinter der Ortschaft Yaviza endet die Panamericana bei einer Reihe von schiefen Holzhütten. Der international gebräuchliche, heute irreführende Name, Daríen-Durchbruch, stammt aus dem 19. Jahrhundert, als sich in dieser Wildnis zahlreiche Forscher, Geologen, Geometer und Investoren drängten, um einen Kanal für hochseetüchtige Schiffe von der Karibik zum Pazifik durchzustechen.
Katastrophales Scheitern
Einst, 1513 hörte der spanische Gouverneur des Daríen, Vasco Núñez de Balboa, der die erste dauerhafte spanische Siedlung, Santa María de la Antigua del Daríen, auf dem amerikanischen Festland gegründet hatte, mit einer Häuptlingstochter verheiratet war und homosexuelle Indianer von Hunden zerfleischen liess, von einem „mächtigen See hinter den Bergen, und dass alle Flüsse, die in diesen See fliessen, Gold mit sich führten.“ Zusammen mit 190 Soldaten, darunter auch Francisco Pizarro, Hunderten Indianern als Lastenträger und zahlreichen Bluthunden, machte er sich am 1. September 1513 auf den Weg. Immer wieder wurden sie von Einheimischen überfallen. Hinzu kamen die Hitze, orkanartige Regengüsse und Millionen von Stechmücken. Der Weg ging durch Sümpfe mit Alligatoren und Schlangen. Der Boden war übersät von Zecken, Skorpionen, Tausendfüsslern und Ameisen. 25 Tage später sah er schliesslich als erster Europäer den Pazifik, watete einige Meter ins Meer, schlug mächtig mit dem Schwert auf die Wellen ein und nahm das „Mar del Sur“ für seinen König in Besitz.
Ende des 17. Jahrhunderts gründete die schottische Handelsgesellschaft „Company of Scotland“ eine Kolonie in Daríen. Aber das Abenteuer endete als Desaster: Das ausgewählte Siedlungsgebiet war malariaverseucht, und Spanier griffen die schottischen Siedler an. Das katastrophale Scheitern des Projekts brachte Schottland an den Rand des Staatsbankrotts. Königin Anne von England sah endlich die Möglichkeit, die Unabhängigkeit Schottlands abzuschaffen. 1707 ratifizierten beide Parlamente den „Act of Union“, die gesetzliche Grundlage für die Vereinigung der beiden Königreiche, und England übernahm die schottischen Staatsschulden.
Alexander Humboldt vermutete, dass ein Fluss durch den Daríen-Isthmus führte, der für die Schifffahrt nur vertieft und erweitert werden müsste. 1850 legte ein irischer Arzt detaillierte (gefälschte) Karten vor, die Humboldts Annahme zu bestätigen schienen. Vier Jahre später suchte eine 27köpfige Expedition unter dem amerikanischen Marineleutnant Isaac Strain die mythische Ost-West-Passage des Iren. Monate später wurde Strain nackt, krank und auf 35 Kilo abgemagert gefunden. Einen Kanal durch den Daríen zu bauen, sei „absolut undurchführbar“, urteilte der Offizier. Fortan schauten die Ingenieure weiter nördlich nach Panama-Stadt und nach Nicaragua für mögliche Kanalprojekte.
Durchschnittsgeschwindigkeit: ein km pro Tag
Abenteurer und Firmen aber fühlen sich von dieser natürlichen Barriere offenbar magisch angezogen. Zu Fuss, in Kanus, mit Autos, Motorrädern oder sogar per Fahrrad (Wobei das die meiste Zeit getragen werden muss.) durchquerten sie das unwirtliche Gebiet. 1961 starteten drei rote Chevrolet Corvairs in Panama; gesponsert wurden sie von einem Chevrolet-Händler aus Chicago und der Chevrolet-Abteilung von General Motors. Nach 109 Tagen erreichten sie schliesslich die kolumbianische Grenze. Sie hatten also durchschnittlich rund einen Kilometer am Tag zurückgelegt. 1985 sponserte das Projekt Raleigh, aus dem 1989 Raleigh International wurde, eine Expedition, die ungefähr der Route Balboas folgte. Sie startete in der Bucht von Caledonia in der kolumbianischen Serranía del Daríen, folgte dann dem Río Membrillo, um schliesslich am Río Chucunaque in Yaviza ans Ziel zu gelangen.
In den neunziger Jahren legte sich der Run auf „die gefährlichste Route der Welt“, wie manche die Strecke nennen – weil sie noch gefährlicher geworden war. Linke kolumbianische Guerilleros (FARC), ihre Gegenspieler, ultrarechte paramilitärische Verbände und schliesslich Dank amerikanischer Politik[1] auch Drogenhändler aus Santiago de Cali oder Medellín operierten zunehmend beiderseits der Grenze in dem unzugänglichen Gelände, entführten Touristen und ermordeten Embera-Wounaan oder Kuna, Mitglieder der beiden im Daríen heimischen Indiovölker, die noch nicht ausgestorben sind. Nach einer vorübergehenden Beruhigung meldeten sich in den letzten beiden Jahren sogenannte neo-paramilitärische Verbände im Daríen-Durchbruch zurück.
Aufgegebene Pläne
Der sumpfigen Wildnis, der endemischen Malaria und den Gefahren durch Drogenhändler und rechtsgerichtete Milizen zum Trotz hält sich die Idee, auch die letzte Lücke in der Pan Americana zu schliessen. 1971 stoppten erhebliche Bedenken über die ökologischen Folgen ein entsprechendes Projekt. Zwanzig Jahre später wurde ein weiterer Versuch, die Strasse fertigzustellen, nach zwei Jahren der Planung und Vermessung aufgegeben, als die Vereinten Nationen immense Schäden für die Umwelt prognostizierten. Die UNESCO hat das Gebiet als Weltnaturerbe unter Naturschutz gestellt.
Die Embara-Wounaan und die Kuna äusserten Befürchtungen, die Strasse und die nach Fertigstellung zu erwartende Rodung der Wälder und Erschliessung des Landes könnte ihre Kulturen zerstören. Schon im ersten Jahrzehnt nach der Verlängerung der Panamericana bis ins viereinhalbtausend Einwohner zählende Yaviza in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren die Wälder entlang des neuen Teilstücks schneller gefallen, als der befestigte Feldweg, der sich heute Panamericana nennt, gebaut worden war. Zudem bildet der Daríen-Durchschnitt offenbar nicht nur eine Barriere für den Wirtschafts- und Reiseverkehr, sondern auch für Krankheiten. Seit 1954 ist nicht ein Fall der auch in Europa auftretenden Maul- und Klauenseuche in Nord- und Mittelamerika bekannt geworden, was Wissenschaftler mit der Undurchdringlichkeit des Sumpf- und Marschlandes im Tapón del Daríen begründen.
Dennoch kündigte Kolumbien einem Bericht der kolumbianischen Tageszeitung La Prensa zufolge 2010 ein Strassenbauprojekt „Transversal de las Americas“ an, das neben Verbesserungen des nordkolumbianischen Strassennetzes auch den Bau einer Strasse durch den Daríen bis Palos de Letras, ein kleiner Ort an der Grenze zu Panama, vorsieht. Damit würde die fehlende Lücke auf nur noch 50 Kilometer reduziert werden. Panama lehnte bislang eine Weiterführung der Panamericana bis zur kolumbianischen Grenze ab.
[1] Zwei Wochen nach der amerikanischen Invasion in Panama am 20. Dezember 1989 ergab sich General Manuel Noriega, dem Washington u.a. vorwarf, in den Drogenhandel verstrickt zu sein. Washington inthronisierte Guillermo Endara als Präsident, in dessen Amtszeit der Drogenhandel in Panama zuvor unbekannte Ausmasse erreichte.