Ist sie nun eine Prostituierte oder ist sie die heilige Magdalena? Da sitzt sie, traurig und verloren. Die Augen geschlossen, das Haar offen, die Hände ineinandergelegt. Neben ihr auf dem Boden Perlen und Schmuck. Den braucht sie jetzt nicht mehr.
Die „reuige Magdalena“ heisst das Bild. Es gehört zu den netten Provokationen des ruchlosen Malers, dass er eine Römer Prostituierte als Modell für das Gemälde der Heiligen wählte.
Anna Bianchini, die rothaarige Prostituierte, steht dem Maler mehrmals Modell. Auf dem Bild „Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ leiht sie der Mutter Gottes ihr Gesicht. Mehrere Kunsthistoriker sehen in dem Gemälde, das auch einen halbnackten Engel von hinten zeigt, homoerotische Elemente. Der italienische Kunsthistoriker Cesare de Seta ist grenzenlos fasziniert. Er bezeichnet das Werk „als eines der schönsten, das je in der westlichen Kunstgeschichte gemalt wurde“.
Um den Künstler, der 1571 geboren wurde und diese beiden Bilder malte, entstand schon bald ein Mythos, der noch heute lebendig ist. Dutzende Legenden ranken sich um ihn. Sie sprechen vom besessenen, bisexuellen, gewalttätigen Genie. Wegen Totschlags wird er aus Rom verbannt und geht nach Neapel und Malta. Mit 38 Jahren stirbt er in Porto Ercole am Fuss des Monte Argentario.
Schon zu Lebzeiten erlangt Michelangelo Merisi Weltruhm. Die Reichen und Adligen reissen sich um seine Bilder, Bischöfe und Kardinäle sind seine Auftraggeber. Sie alle wissen, dass seine Freundin, die Dirne Anna, ihm Modell steht. Das kümmert die Kirchenleute nicht. Rom wimmelt zu jener Zeit von Prostituierten.
„Mythos Caravaggio“
Merisi malt und malt. Über keinen italienischen Maler des 16. Jahrhunderts gibt es so viele Biografien. Geboren wurde er im Ort Caravaggio nahe von Bergamo. Und als Caravaggio geht er in die Kunstgeschichte ein.
Viele Legenden, die um ihn schwirren, werden heute angezweifelt, doch der „Mythos Caravaggio“ ist mehr denn je ein Magnet. Viele Römer Museen und Kirchen werden nur deshalb besucht, weil dort eines oder mehrere seiner Werke hängen – so die Galleria nazionale d’arte antica mit Caravaggios Brutalobild „Judith und Holofernes“.
Vom „Mythos Caravaggio“ profitiert auch die phantastische Römer „Galleria Doria Pamphilj“. Das Museum liegt unscheinbar am Corso, einen Steinwurf von der Piazza Venezia entfernt.
Der Palazzo ist im 17. Jahrhundert der grösste in Rom, grösser als viele europäische Königshäuser. Zunächst residieren hier Kardinäle. Dann kommen die Adelsfamilien Aldobrandini, Pamphilj, Doria und Landi. Durch Heirat verflechten sie sich, bauen den Palast aus und schmücken ihn mit Bildern. 1650 weist das Inventar bereits 319 Gemälde aus.
Rom ist zu jener Zeit das Weltzentrum des Kunstmarktes und die Adligen kaufen ein. Es ist auch die Zeit, in der sich die Künstler beklagen, ihre Kunst würde zu wenig geschätzt. Camillo Pamphilj ist anders. Er kauft und kauft Gemälde und Plastiken vom damals legendären Kunsthändler Niccolò Simonelli.
„Schön, seid ihr auch da“
Heute wandelt man andächtig durch den Thronsaal des Museums, durch den Ballsaal, den Jupitersaal, die Spiegelgalerie, durch einen blauen, grünen und gelben Salon. Es gibt eine Aldobrandini-Galerie, eine Pamphilj-Galerie und eine Dora-Galerie. Einzelne Säle erscheinen wie ein eigenes Museum.
Die Wände sind vollkommen mit Bildern bedeckt, manchmal drei, vier übereinander. Bis zur Decke reichen sie. Natürlich sind auch die Decken mit Fresken bemalt. So streift man durch die Gänge und Säle – und Hunderte Adlige und Heilige blicken auf einen herab, als ob sie uns grüssten und uns zuriefen: „Schön, seid ihr auch da, an diesem wunderbaren Römer Morgen.“
Doch nicht nur die Besucher grüssen sie. Sie, die Päpste und Fürsten aus den verschiedensten Jahrhunderten und verschiedensten Ecken Europas, die Kardinäle und Dirnen, die Apostel und Engel, die Mörder und Madonnen, die Edelmänner und schönen Frauen – alle hängen sie da, eng beieinander. Als ob sie miteinander sprächen, als ob man in den vollgestopften Gängen ein Stimmengewirr hörte. Eine eigenartige Stimmung ergreift einen, wenn man an ihnen vorbeizieht, an diesen Dürers und Raffaels, diesen Tizians, Rembrandts, Rubens, Lippis – und Hunderten mehr.
Zudem hatte Camillo Pamphilj eine Passion für die flämische Malerei. So findet man hier viele Bilder von Jan Brueghel dem Älteren, unter anderem das weltberühmte „Irdische Paradies“. Aber auch Quentin Massys, Jan de Momper, Jan Frans und Paul Bril sind vertreten.
Aus der Familie Pamphilj stammte Papst Innozenz X. Er übte grossen Einfluss auf die Familie aus. Im Heiligen Jahr 1650 wurde er vom Spanier Diego Velázquez porträtiert. Kunsthistoriker weisen auf die „missmutige Strenge“ seines Gesichtsausdrucks hin. Das Gemälde hängt prominent in einer kleinen Kammer am Eingang der Spiegelgalerie. Es gilt als das bedeutendste Meisterwerk der Porträtkunst des 17. Jahrhunderts.
Dass Velázquez den Papst porträtierte, hat offenbar auch eine politische Bedeutung. Es war die Zeit der sich anbahnenden Versöhnung zwischen dem Kirchenstaat und dem spanischen König Felipe IV., der auch König von Sizilien, Neapel und Sardinien ist. Ist das Dokument, das der Papst in der Hand hält, ein Brief von Felipe?
Velázquez malte auch Olimpia Maldachini, die einflussreiche Schwägerin des Papstes – und vielleicht auch seine Geliebte. Das Bild ist verschollen, doch am Eingang der Doria-Galerie ist sie in einer Marmorbüste verewigt, angefertigt vom Bologneser Bildhauer Alessandro Algardi. Ihr Gesichtsausdruck ist hart, unfreundlich, resolut. Zeitgenossen bezeichneten Olimpia als „Beinahe-Päpstin“ oder „Gegen-Päpstin“. In Rom zirkulierten damals „Pasquinaden“, Flugblätter mit Schmähungen gegen sie. Beschrieben wurde sie als „aufgetakeltes Weib“, zahlreiche Liebschaften wurden ihr angedichtet. Nach dem Tod ihres Schwagers Innozenz plünderte sie die päpstlichen Gemächer und wurde mit Schimpf und Schande aus Rom verjagt. Sie stirbt an der Pest.
Die Pamphiljs gehörten zu den ersten, die Bilder von Caravaggio erwarben. So kauften sie auch die zweite Version von „La buona ventura“ („Die Wahrsagerin“). Das Bild wurde später Ludwig XIV., dem Sonnenkönig, geschenkt und hängt heute im Louvre.
Zu hoch gehängt
Caravaggios Erfolg hat auch seine Schattenseiten. „Die reuige Magdalena“ hing bis vor wenigen Jahren in einem kleinen Raum in der verlängerten Spiegelgalerie. Auf Augenhöhe konnte man das Werk bewundern. Doch der Besucherandrang war so riesig, dass ein anderer Platz gefunden werden musste.
So befindet sich denn heute die Magdalena im grossen Aldobrandini-Saal, der 1954 eingestürzt war und neu gebaut werden musste.
Da hängt sie nun, die Heilige Magdalena neben Caravaggios „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ und „Johannes dem Täufer“. Doch was haben die hier ausgestellten Statuen aus der römischen Kaiserzeit mit Caravaggio zu tun? Zudem sind die Bilder schlecht beleuchtet. Und sie hängen derart hoch, dass man eine junge Giraffe sein müsste, um ihre herrliche Wirkung geniessen zu können.
Palazzo Doria Pamphilj mit der „Galleria Doria Pamphilj“
Geöffnet täglich von 09.00 bis 19.00 Uhr
Geschlossen am 25. Dezember, 1. Januar und Ostern
Eintritt: 12 Euro
Der „Palazzo Doria Pamphilj“ ist nicht zu verwechseln mit dem „Palazzo Pamphilj“ an der Piazza Navona.