„Journal 21“: Der UNO-Sicherheitsrat hat eine Flugverbotszone über Libyen verhängt. Das bedeutet, libysche Kampfflugzeuge müssten unschädlich gemacht werden. Ist das eine Art Kriegserklärung an Libyen?
Kurt Spillmann: Nein, das ist es noch nicht. Es ist ein selektives Verbot der Gewaltanwendung gegen die eigene Bevölkerung durch eigene Kampfflugzeuge im eigenen Luftraum. Deshalb übernimmt die internationale Gemeinschaft die Kontrolle über den libyschen Luftraum. In der Resolution wird ausdrücklich festgehalten, dass keine Aktionen am Boden stattfinden sollen. Es sollen keine Bodentruppen geschickt werden. Eine Besetzung soll nicht stattfinden.
Und wenn sich Ghadhafi nicht daran hält und seine Kampfflugzeuge weiterhin gegen die eigene Bevölkerung vorgehen?
Wenn sich ein Flugzeug in der Luft bewegt, wird es abgeschossen. Damit das Flugverbot für libysche Kampfflugzeuge kontrolliert werden kann, müssen die libysche Luftabwehr und die libyschen Raketensysteme ausgeschaltet werden. Das kann natürlich als kriegerischer Akt interpretiert werden. Durch die Kontrolle des Luftraums soll Gewalt gegen die eigene Bevölkerung verhindert werden.
Also nicht automatisch eine Zerstörung der Luftwaffe. Die Botschaft an die Libyer ist: Ihr dürft nicht mehr Kampfflugzeuge einsetzen, und wenn ihr es tut, werden sie abgeschossen.
Genau..
Glauben Sie, dass sich die Libyer daran halten?
Ghadhafi hat ja immer gesagt, er werde sich bis zum letzten Blutstropfen verteidigen. Aber ob all seine Offiziere und seine Truppen diese Philosophie teilen, ist eine grosse Frage. Wenn sich das Blatt wendet, wenn die internationale Gemeinschaft überwältigende Machtmittel einsetzt, dann wird es Realisten geben, die sich von Ghadhafi abwenden und ihre Loyalität andern übertragen.
Kann dieses Flugverbot Ghadhafi in die Knie zwingen?
Im Augenblick wird das Flugverbot den revolutionären Kräften in Libyen eine Chance geben zu überleben. Gestern sah es noch so aus, als würde Ghadhafi Benghasi einkreisen, erobern und ein riesiges Blutbad anrichten. Diese Perspektive hat sich mit dem UNO-Beschluss geändert. Die revolutionären Kräfte haben jetzt eine Chance zu überleben und sich sogar neu zu organisieren. Dies kann bis zur Vertreibung Ghadhafis gehen.
Also kann man neue Hoffnung für Libyen schöpfen?
Die jetzt beschlossene Flugverbotszone ist eine Lebensrettung der Revolution. Sonst wäre der Aufstand möglicherweise in einem Blutbad untergegangen oder hätte sich zu einem langwierigen Guerillakampf in der Gegend von Benghasi entwickelt. Ein Guerillakampf wie er damals gegen die Kolonialmacht Italien geführt wurde. Doch ohne Flugverbot wäre die politische Hauptbewegung der Revolutionäre abgewürgt worden.
Ist das der Anfang vom Ende Ghadhafis?
Das kann sein. Doch die Staaten, die jetzt die Flugverbotszone beschlossen haben, wollen Ghadhafis Ende nicht von aussen herbeiführen. Sie wollen den revolutionären Kräften in Libyen selbst die Möglichkeit geben, Ghadhafi zu vertreiben.
Wer beteiligt sich an der Verwirklichung des UNO-Beschlusses? Wer würde gegebenenfalls Ghadhafis Flugzeuge abschiessen?
Bereit dazu sind die Franzosen und die Briten. Die USA haben gesagt, sie wären etwa in einer Woche einsatzfähig, könnten aber für Einzelaktionen schon früher bereit sein. Wichtig ist aber und für die Amerikaner von entscheidender Bedeutung, dass die arabischen Staaten die ersten Aktionen durchführen. So soll alles als arabische Aktion daherkommen und nicht als westliche.
Wer käme denn auf arabischer Seite dazu in Frage?
Ägypten, Katar, Oman. Diese Länder verfügen auch über Piloten, die in den USA ausgebildet worden sind. Sie könnten auch in eine koordinierte Aktion einbezogen werden.
(Das Interview mit Prof. Spillmann führte Heiner Hug)
Inzwischen hat Libyen einen Waffenstillstand und einen Stopp der militärischen Aktionen angekündigt. Am Samstag bezeichnete Ghadhafi die Flugverbotszone als ungültig. Seine Flugzeuge bombardierten Benghasi.