Die Berner Nationalrätin Regula Rytz ist seit Mai 2012 Co-Präsidentin der Grünen (Grüne Partei der Schweiz, GPS). Sie teilt sich das Präsidium mit der Waadtländer Nationalrätin Adèle Thorens. Von 2005 bis 2012 war Rytz Gemeinderätin (Exekutive) der Stadt Bern. (Bild: Grüne, Bern)
Laut dem jüngstem am Mittwoch veröffentlichten SRG-Wahlbarometer werden die Grünen im Vergleich zu den Wahlen vor vier Jahren ein Prozent verlieren. Auch bei kantonalen Wahlen, so in Zürich im Frühjahr, sah es nicht gut aus. In einigen Kantonen drohen Sitzverluste.
Journal21: Frau Rytz, was ist mit den Grünen los?
Regula Rytz: Wir haben in den letzten Jahren auch Wahlen und Abstimmungen gewonnen. Aber seit der Freigabe des Frankenkurses hat sich die Grosswetterlage massiv verändert. Da wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Inwiefern?
Es stehen wieder die alten neoliberalen Rezepte im Raum. Die Freigabe des Frankenkurses wird für die Blockade von sozialen und ökologischen Verbesserungen missbraucht. Man sagt, die Wirtschaft leide schon genug unter dem starken Franken. Man könne sie jetzt nicht weiter belasten, zum Beispiel mit einer Förderabgabe für erneuerbare Energie. So werden mit haarsträubenden Argumenten grüne Anliegen torpediert – alles unter dem Vorwand, der Wirtschaft nicht zu schaden.
Ist es nur der starke Franken, der die Schwierigkeiten der Grünen erklärt?
Sicher auch der generelle Trend, in unsicheren Zeiten auf die grossen Regierungsparteien zu setzen. Und natürlich sind es die gigantischen Finanzmittel, die die rechten Parteien heute für ihre Wahlkampagnen einsetzen.
Mehr als früher?
Oh ja. Es war noch nie so viel Geld von der Wirtschaft bei Wahlen im Spiel wie jetzt. Die UBS, Novartis und grosse Versicherungsgesellschaften machen Millionen für die rechtsstehenden Parteien locker. Es gibt Untersuchungen, die sagen, dass bei diesen Wahlen 170 Millionen Franken im Spiel sind, der Löwenanteil geht an die bürgerlichen Parteien. Ich hörte, dass ein Banker in Zürich allein für seine Kampagne eine Million ausgibt.
Nach der Finanzkrise 2008 liess die Wirtschaft etwas die Finger von der Politik. Joe Ackermann, der frühere Chef der Deutschen Bank, erklärte in einem Interview anfangs Jahr offen, die Finanzbranche habe die Politik vernachlässigt. Das hat sich grundlegend geändert. Gigantische Geldmittel sind jetzt wieder im Spiel.
Wirkt sich das auch auf die Medien aus?
Man sieht nicht nur eine Flut von Plakaten, immer mehr werden in den Zeitungen ganzseitige Inserate geschalten. Auch im redaktionellen Teil dominiert der Blick von rechts. Die Basler-Zeitung oder die Weltwoche sind in SVP-Hand. Bürgerliche Parlamentarier sind aber auch Aktionäre von Regionalzeitungen. Das ist eine direkte Vermischung der Politik mit der vierten Gewalt. Ganz allgemein kommen die Medien immer mehr unter Druck. In diesem Zusammenhang ist auch der Kampf gegen die SRG zu sehen.
Das heisst, man kann mit Geld alles kaufen?
Man kann mit Geld nicht alles kaufen. Aber man kann damit eine enorme öffentliche Präsenz herstellen, und mit professionellen Kampagnen Emotionen abholen. Die Masseneinwanderungsinitiative hat gezeigt, dass es funktioniert. .
Die Freisinnigen jubeln schon, weil Meinungsumfragen ihnen Gewinne voraussagen...
... man muss der Bevölkerung mit aller Deutlichkeit erklären: Wer jetzt den Freisinn wählt, wählt einen zweiten SVP-Bundesrat. Und das Schlimmste, was dem Land passieren kann, ist eine rechtsbürgerliche Mehrheit im Bundesrat mit je zwei Vertretern aus FDP und SVP. Ein zweiter SVP-Bundesrat würde die Schweiz-Abschotter und Menschenrechts-Abbauer stärken. Dann wird alles, was wir in den letzten Jahren mühsam erreicht haben, rückgängig gemacht. Die FDP spielt da ein Doppelspiel, sie ist die Steigbügelhalterin der SVP.
Wir brauchen eine Koalition der Verantwortung, welche die Reformfähigkeit der Schweiz aufrechterhalten kann.
Glauben Sie, dass es den Bürgerlichen gelingen wird, den Atomausstieg zu stoppen?
Die Rechte spekuliert ganz klar damit, dass sie nach den Wahlen am 18. Oktober das Oberwasser hat. Dann kann der Atomausstieg nur noch mit der grünen Volksinitiative gerettet werden, die 2016 zur Abstimmung kommt. Nur wenige Stimmen, haben im Nationalrat den Auschlag gegeben für kleine Erfolge in der Energiestrategie. Doch die definitiven Entscheidungen fallen erst nach dem 18. Oktober. Deshalb sind diese Wahlen eine Richtungswahl.
Die BDP und die Linke könnten geschwächt aus den Wahlen hervorgehen. Es gibt Bestrebungen, Eveline-Widmer-Schlumpf aus dem Bundesrat zu kippen – zugunsten eines zweiten SVP-Bundesrates. Werden Sie sie unterstützen?
Wir hoffen, dass Eveline Widmer-Schlumpf wieder antreten wird. Ich sage ganz klar, wir werden sie wählen. Sie hat Rückgrat und kämpft für anständige Kompromisse.
Zusammen mit der SP und der BDP haben Sie nicht genügen Stimmen, um ihre Wahl zu sichern. Wie wird sich die CVP verhalten?
In der CVP sind heute starke Flügelkämpfe im Gang. Doch ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der CVP Eveline Widmer-Schlumpf wählen wird. Aus eigenem Interesse, denn bei einer rechten Bundesratsmehrheit versinkt die CVP in der Bedeutungslosigkeit.
Sie sitzen jetzt seit vier Jahren im Nationalrat, haben also noch – im Vergleich zu den Fossilien – einen frischen Blick. Wie empfinden Sie das politische Klima im Bundeshaus?
Die Politik im Bundeshaus ist extrem Interessen-gesteuert. Viel mehr als die Kantonspolitik. Die Lobbys haben einen starken Einfluss auf den Parlamentsbetrieb bis in die Kommissionen hinein. Das ist eine bedenkliche Entwicklung. Die fehlende Parteienfinanzierung und die fehlende Transparenz bei den Wahlkampfspenden bringen die Demokratie in Gefahr.
Gibt es auch grüne Lobbys?
Natürlich. Zum Beispiel den WWF oder den VCS. Die Umweltverbände unterstützen uns mit Fachwissen und sind Brückenbauer zu den Mitteparteien. Aber der grosse Unterschied ist: da ist kein Geld im Spiel wie bei den Bürgerlichen. Da kämpft David gegen Goliath – oder der Gurten gegen den Mount Everest.
Wie finanzieren sich die Grünen?
Von Spenden. Und von Mandatsabgaben. Alle gewählten grünen Bundesparlamentarierinnen und –Parlamentarier zahlen pro Jahr rund 20'000 Franken an die lokale, die kantonale und die nationale Sektion.
Die Grünen sind eine pointiere Linkspartei und spannen immer wieder mit der SP zusammen. Die SP hat ja viele der grünen Forderungen übernommen. Braucht es eigentlich die Grünen noch?
Man könnte umgekehrt fragen: braucht es die SP noch, denn auch die Grünen setzen sich für sichere Renten und anständige Löhne ein. Im ernst: Parteienvielfalt ist eine Grundlage der Demokratie. Da gibt es Platz für zwei, drei linke Parteien. Auch wenn in vielen Fragen eine grosse Übereinstimmung herrscht, so setzen wir doch oft die Schwerpunkte anders. Die Grünen haben ihre Priorität bei ökologischen Fragen und den Grundrechten, die SP bei der Verteilungsfrage. Wir sind komplementär, wir ergänzen uns sehr gut.
Sind sie auch mit andern Parteien in ständigem Kontakt?
Wir und die SP sind allein nicht mehrheitsfähig. Deshalb sind wir mit allen Parteien in Kontakt, ausser mit einer.
Welches Verhältnis haben Sie zur SVP?
Ein sehr distanziertes. Doch bei SVP-Bauernvertreter finden wir ab und zu, zum Beispiel beim Kampf gegen gentechnisch manipulierte Lebensmittel, Unterstützung.
Welches Verhältnis haben Sie zu Toni Brunner?
Ausserhalb des politischen Schlagabtausches herrscht eine distanzierte Freundlichkeit.
Einen Kaffee haben Sie noch nie mit ihm getrunken?
Warum? Wir werden uns ja ohnehin nicht finden. Die wenige Zeit, die ich zur Verfügung habe, investiere ich lieber in den Dialog mit Menschen, mit denen ich etwas bewegen kann.
Wie qualifizieren Sie die GLP, die Grünliberale Partei?
Sie versuchen den Spagat zwischen Umweltschutz und freisinniger Wirtschaftspolitik. Ein anstrengendes Programm.
Die bürgerlichen werfen ja der Linken eine Regulierungswut vor...
... genau, und mit diesem Argument torpedieren sie jeden grünen Verbesserungsvorschlag. Auch egoistische Interessenspolitik, zum Beispiel für den Genfer Finanzplatz, wird als Kampf gegen die Überregulieren verkauft. Und die persönlichen Freiheiten werden sehr einseitig bemüht.. Dass zum Beispiel Tempo 30 in Wohngebieten mehr Bewegungsfreiheit für die Kinder auf dem Schulweg bedeutet, wird bei den Laisser-Faire-Freunden gerne ausgeklammert. Der grosse Widerstand gegen grüne Forderungen kommt deshalb nicht aus der Bevölkerung, sondern von den konservativen Wirtschaftsverbänden.
Europa wird von einer Flüchtlingswelle überflutet. Was soll die Schweiz tun?
Es gibt keine schnellen und einfachen Lösungen für diese humanitäre Katastrophe. Zuerst einmal müssen und wollen wir helfen. Hier, in den Transitländern, aber auch in den Flüchtlingslagern rund um die Konfliktgebiete. Wir Grünen fordern aber auch legale Einreisemöglichkeiten für Kriegs- und Gewaltflüchtlinge. Wenn man jene, die man aufnehmen will, schon in den Lagern mit den nötigen Papieren versorgt und dann einreisen lässt, würde das ganze Elend mit den Schleppern und Fluchtwegen entfallen.
Wie viele Flüchtlinge soll die Schweiz aufnehmen?
Simonetta Sommaruga will zusätzlich 3'000 syrische Flüchtlinge aufnehmen. In sechs Monaten sind erst 26 angekommen. Das ist eine Bankrotterklärung. Wir fordern mehr Tempo und weniger Bürokratie. Da kommen Leute, die vor den Bomben geflüchtet sind und vier Jahre in Lagern ausgeharrt haben. Im Kosovo-Krieg hatten wir über 50'000 Menschen aufgenommen. Das wäre auch jetzt von unserer Kapazität her möglich. Wichtig ist dann, dass diese Leute rasch arbeiten können. Sonst steigen die Spannungen auf allen Seiten.
Glauben Sie, dass fremdenkritische Parteien von diesen Flüchtlingsströmen profitieren werden?
Sie versuchen es, im Moment gelingt es nicht, denn die Hilfsbereitschaft in der Schweiz und Europa ist enorm. Aber wir sind nicht naiv:. Die Stimmung kann kippen. Deshalb müssen wir vor allem auch bei den Fluchtursachen ansetzen. Die westlichen Länder haben zu lange nur ihre eigenen Interessen vertreten, also Waffen exportiert und den Hunger nach Rohstoffen und Energie gestillt. Nun haben zu viele Menschen nichts mehr zu verlieren. Das müssen wir ändern.
(Das Gespräch mit Regula Rytz führte Heiner Hug im Bundeshaus)