Die Bilder von Evelyn Hofer sind eher still. Sie haben also keine Knalleffekte, und ihre Ästhetik ist unaufdringlich. Sie lebte von 1922 bis 2009 hauptsächlich in der Schweiz, Mexiko und den USA. Ihre Arbeit war von beachtlichem Erfolg gekrönt. So publizierte sie in führenden Zeitschriften wie Life Magazine, The New York Times Magazine, The Sunday Times Magazine, House & Garden, GEO, Vanity Fair und Vogue. Einige Zeit gehörte sie auch zur Fotoagentur Magnum.
Geharrlichkeit, Solidität
Im Vorwort schreibt Harald Kunde, Evelyn Hofers Name habe „einen guten, aber keinen kanonischen Klang“. Sie hat also keine Bilder geschaffen, die wie diejenigen der ganz grossen Kolleginnen und Kollegen zu Ikonen in der Geschichte der Fotografie geworden wären. Der Wert ihrer Arbeit liegt in anderen Eigenschaften: Beharrlichkeit, Solidität, grosses handwerkliches Können und ihr Sinn für ganz unterschiedliche Themen.
Evelyn Hofer ist wie eine uneitle Schriftstellerin. Es geht ihr um Genauigkeit, nicht um Effekte. Ob es sich um Porträts oder Stadtlandschaften handelt, um Länder oder Stillleben, stets geht sie sehr gut vorbereitet ans Werk. Wenn sie Städte fotografiert, hat sie sich mit der Architektur auseinandergesetzt, bei Menschen mit ihren Lebensumständen, Geschichten und Interessen. Sie lässt sich Zeit. Das ist es, was in stiller Weise den Betrachter anspricht und berührt.
Fotos aus Soglio
In den 1950er und 1960er Jahren hat Evelyn Hofer in New York und Dublin fotografiert. Speziell die Schwarzweissfotos aus Dublin, auch noch von 1974, sind besonders eindrücklich, weil sie unmittelbar in die damalige Zeit mit all ihren aus heutiger Sicht allzu engen Lebensumständen zurückführen.
1991 hat Evelyn Hofer eine Serie von Fotos vom schweizerischen Soglio gemacht. Auch sie sind schwarzweiss gehalten und erinnern an die früheren Fotos aus Dublin. Das Thema Soglio lag für Hofer buchstäblich nahe, denn sie ist zwar in Deutschland geboren, aber seit 1927 in der Schweiz aufgewachsen. Zeitweilig lebte sie im Fextal, und ihre fotografische Ausbildung erhielt sie unter anderem bei Hans Finsler in Zürich, durch dessen Schule auch andere bekannte Fotografen wie Werner Bischof, René Burri, Ernst Scheidegger und Emil Schulthess gegangen sind.
1942 zog Evelyn Hofer zusammen mit ihrer Mutter nach Mexiko zu ihrem Vater, der dort wegen der Nationalsozialisten schon seit 1939 lebte. Seit 1946 wohnte sie in New York und kehrte 2005 nach Mexiko zurück.
Sichere Stilistin
Eine kurze Bildsequenz aus New York im Jahr 1974 trägt den Titel: „Just Married“. Gerade beim ersten Bild springen die knalligen Farben ins Auge, und das aufgesetzte Lächeln des Paares vermittelt beim Betrachter kein besonders gutes Gefühl. Auch die anderen Paare regen zu Fragen an. Es folgt eine Serie von Bildern mit Menschen aus dem Baskenland (1980), die ebenfalls in Farbe gehalten sind. Das Grün, speziell auf einem Bild mit einem Priester, wirkt giftig. Ganz offensichtlich nutzt Hofer das Mittel der Farbe, um Dissonanzen oder zumindest ein Unwohlsein zu signalisieren.
Oder aber die Farbe dient dazu, wie bei manchen ihrer Stillleben, kompositorische Harmonie zu unterstreichen. Der Wechsel zwischen der Farb- und Schwarzweissfotografie zeigt die grosse Könnerin und sichere Stilistin.
Bilder von Evelyn Hofer wurden im Jahr 1994 in einer ersten Retrospektive vom Musée de l’Elysée in Lausanne gezeigt, dann 2004 im Kunsthaus Aarau, 2015 in der Villa Stuck, München, und 2015/16 im Kunstpalast Düsseldorf.
Evelyn Hofer: Begegnungen / Encounters. Herausgegeben von Susanne Breidenbach. 280 Seiten, 190 Abbildungen, ca. 58 Euro