“Die Stadt war voller Lärm … und da gab es den stillen Wald, aber in der Stille des Waldes verlor man sich”.
Wer heute ein Gedicht verfasst, riskiert unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu schreiben. Wer liest schon noch Gedichte...
Doch die Zeilen, die jetzt in der Via Carlo Alberto im Zentrum von Turin hängen, werden von Zehntausenden gelesen. Zwangsläufig.
Ein Gedicht zum Abschreiten
“Wer den Lärm der Stadt nicht mehr ertrug, der ging in den Wald, und die Stille trug ihn fort. So ging das Gerücht um, im Wald gebe es ein Ungeheuer. Soldaten wurden hingeschickt, doch auch sie verschwanden.”
Das Gedicht des italienischen Künstlers Luigi Mainolfi wurde in etwa 50 Zeilen zerlegt. Geht man die Strasse von der Piazza Carlo Alberto hinauf zum Corso Emanuele II., so leuchtet alle hundert Meter eine farbige Schrift.
Die Via Carlo Alberto ist eine Fussgängerzone, gesäumt von Geschäften, Restaurants und dem besten Hotel der Stadt. Die Strasse ist etwa 700 Meter lang. Um das ganze Gedicht zu erfassen, muss man es abschreiten.
Und das tun jetzt ganze Heerscharen. Sobald die Dunkelheit hereinbricht starren sie nach oben. Vor allem Junge stehen hier, gehen hin und her, diskutieren, rezitieren den Text.
Luigi Mainolfi, 1948 geboren, studierte in Neapel und kam schon 1973 nach Turin. Seither lebt und arbeitet er hier. Eigentlich ist er nur nebenbei ein Dichter. Er ist vor allem Maler und Bildhauer, immer häufiger arbeitet er “multimedial”. Mainolfi gehört zu den wichtigsten Vertretern der italienischen Gegenwartskunst.
Sein Gedicht, das nun da in der Strasse hängt, zieht auch Touristen an – und fremdsprachige Studenten und Schüler.
Da steht eine Schulklasse aus Genf unter Mainolfis Geschichte. Mit Hilfe des Lehrers übersetzen die Schülerinnen und Schüler Zeile um Zeile – und lernen Italienisch.
Das Gedicht endet versöhnlich. Die in der Stille Verschwundenen tauchen wieder auf. Ein “Verrückter”, der “die Sprache des Windes, des Regens, der Steine, des Holzes und der Erde” gelernt hatte, bringt sie zum Vorschein. “Wie Pilze schiessen sie wieder aus dem Boden”. “Incominciarono a saltare fuori come funghi."
***
La città era piena di rumore: era sempre più difficile parlare e ascoltare. E poi c’era il bosco silenzioso. Ma nel silenzio del bosco ci si perdeva. Chi non sopportava il rumore della città andava nel bosco, e il silenzio se lo portava via. Così si sparse la voce che nel bosco c’era un orco. Furono mandati soldati e anche quelli sparirono. Quando Luì il matto arrivò in città, trovò rumore e musi lunghi. Qualcuno gli raccontò la storia di quelli che sparivano nel silenzio e a Luì venne una gran voglia di fare una passeggiata nel bosco. Ma capì che era necessario studiare la lingua del vento e della pioggia, dei sassi, del legno e della terra. E dopo tanto studiare Luì inventò uno strano bastone che faceva un rumore dolce ad ogni passo. Tric trac, fran fran troc. Così il bosco non era più tanto silenzioso. Poi, le forme degli alberi e della terra tentarono di ingannarlo. Ma Luì con il suo coltellino intagliò il legno e raccolse pietre, e legò rami e fece balene orchi elefantesse. Le illusioni del bosco silenzioso diventarono cose da toccare e tutti quelli che si erano perduti incominciarono a saltare fuori come funghi. Da quel giorno tutti i bambini vollero i bastoni sonori di Luì per non perdersi nel silenzio e nel rumore. E quando chiesero a Luì che nome dare ai suoi bastoni, egli disse: chiamateli sonagli.
E così fu.