Doch die ägyptische ist nicht die tunesische Armee. Sie ist viel grösser, etwa 330 000 Mann, und sie erhält viel Geld aus den Vereinigten Staaten, ungefähr 1,3 Milliarden Dollar im Jahr. Denn sie ist für Washington ein Garant des Friedens im Nahen Osten. Das gilt im Besonderen für das Verhältnis zu Israel.
Mit dem vielen Geld gehen auch persönliche Beziehungen einher. Die Verbindungen der Hohen Offiziere mit dem militärischen Establishment der USA sind eng. Der Oberbefehlshaber der ägyptischen Armee, General Mohammad Tantawi, ist erst vor kurzem von einem Besuch in den USA heimgekehrt. Doch die niedrigen Offiziere stehen der Bevölkerung nahe. Sie kennen die Nöte, die die ägyptsishe Jugend in die Proteste getrieben haben.
Hohes Ansehen des Militärs
Diese Jugend differenziert zwischen der gehassten Polizei und Geheimpolizei, mit denen sie es bisher zu tun hatten, und der Armee, welche viele eher bewundern. Sie war in der heute als grosse Vergangenheit angesehenen Zeit Abdel Nassers das Zentrum des Regimes, und sie hat damals in zwei Kriegen für Ägypten gekämpft. Etwas von ihrem gewaltigen Prestige aus jener Zeit ist übrig geblieben. Die Demonstranten versuchten, die Soldaten für sich einzunehmen, als sie am Freitag Abend auf den Strassen von Kairo erschienen. Doch kam es nur im ersten Moment zu Andeutungen von Verbrüderungen.
Mubarak versucht, die Armee nicht autonom, sondern eher als Stütze seiner Sicherheitskräfte einzusetzen. Die Demonstranten hoffen wiederum, dass, wenn es nicht zu wirklicher Verbrüderung mit den Soldaten kommt, sie doch mässigend auf das brutale Vorgehen der Polizeikräfte einwirken könnten.
Aber die Entscheidung dürfte nicht auf den Strassen fallen, sondern bei den Kabinettsgesprächen, die jetzt zwischen Mubarak und den hohen Offizieren im Hintergrund stattfinden. Mubarak selbst ist ein alter Berufsoffizier. - Und natürlich gibt es auch Gespräche unter den Offizieren selbst. Denn sie werden verschiedener Meinung sein, mindestens so lange, als es nicht eine klare Befehlslinie gibt, die sich durchsetzt.
Das Dilemma Obamas
Man kann vermuten, dass dem ägyptischen Heer viel an Stabilität liegt. Dies dürfte auch der Refrain der Ratschläge sein, die sie von ihren Kollegen aus Amerika hören. Offiziell stützt Washington ja Mubarak weiter, jedoch mit der Auflage, nun endlich etwas für seine Bevölkerung, ihre politischen Freiheiten und ihr Wohlbefinden zu unternehmen. Präsident Obama hat am Freitag in diesem Sinne geredet.
Schliesslich kann er nicht als Staatschef einem befreundeten Staatschef öffentlich den Ratschlag erteilen, abzutreten. Doch es muss in der militärischen Führung der USA und speziell bei den amerikanischen Offizierskollegen der ägyptischen Kommandanten einsichtige Leute geben, die wissen, was Mubarak in den letzten 30 Jahren alles versäumt hat. In diesen 30 Jahren standen ihm viele Handlungsoptionen offen. Er hat sie nicht genutzt. Es ist kaum anzunehmen, dass der Staatschef quasi im Belagerungszustand unter dem massiven Druck einer ihn völlig ablehnenden Bevölkerung mehr tut. Die Zeit für eine Demokratisierung unter Mubarak ist endgültig abgelaufen.
All dies dürfte auf die Entscheidungen der hohen Offiziere der Armee einwirken. Je länger die Unruhen andauern, desto deutlicher wird auch den höheren Offiziersrängen werden, dass die Dinge, so wie sie sind, keine echte Stabilität mehr zulassen. Solche Erkenntnisse könnten für sie den Hauptgrund dafür abgeben, Mubarak zur Abreise zu raten oder ihn sogar dazu zu drängen. Oder aber, wenn die Dinge sich langsamer entwickeln sollten, könnten sie ihm nahe legen, nicht noch einmal das Präsidentenmandat anzustreben.