In den letzten Monaten wurden offenbar rund 3000 Tonnen Waffen aus kroatischen Beständen an syrische Aufständische geliefert. Ungeachtet des europäischen Waffenembargos schafften türkische und jordanische Transportmaschinen in mehr als 70 Flügen die Fracht nach Jordanien, von dort wurde sie weiterverteilt. Das meldet die Neue Zürcher Zeitung unter Berufung auf Recherchen der zweitgrössten kroatischen Tageszeitung Jutarnji list. Ende Februar hatte die New York Times das Thema bereits aufgegriffen. Demzufolge wurde der Deal von Saudiarabien finanziert, organisiert wurde er mit der Hilfe des amerikanischen Geheimdienstes.
"Nicht-tödliches Material"
Dass Saudiarabien und Katar die Waffen für den syrischen Aufstand liefern, ist nicht neu und wurde von amerikanischen Medien bereits bei Beginn des Konfliktes gemeldet. Die diskreten Aktionen der Saudis – der engsten Verbündeten der Amerikaner in der Region - haben es Washington bisher erlaubt, nicht öffentlich als Waffenlieferant für den syrischen Aufstand aufzutreten. Aussenminister John Kerry versprach kürzlich in Rom bei der Zusammenkunft der „Freunde Syriens“ direkte Hilfe für die Aufständischen, betonte jedoch, die USA lieferten keine Waffen, sondern „nicht-tödliches Material“.
Das tödliche Material schicken die Saudis. Eine praktische Arbeitsteilung. Gleichzeitig tönt aus allen offiziellen westlichen Verlautbarungen ein unaufhörliches Lamento über die Flüchtlings-Tragödie und 70‘000 Tote im Syrien-Konflikt.
Die sogenannte Gruppe der Freunde Syriens ist in Wirklichkeit ein Zusammenschluss der Feinde des Asad-Regimes, wie auch die sogenannte syrische Beobachtungstelle für Menschenrechte in London in Wirklichkeit eine Propaganda-Abteilung der syrischen Opposition ist. Das alles müsste den meisten Journalisten und Journalistinnen seit Langem bekannt sein. Es ist daher erstaunlich, mit welchem Eifer und wie unkritisch die Informationen aus diesen Quellen täglich von neuem verbreitet werden, als seien sie unumstössliche Fakten.
Der Mythos von Gut und Böse
Für die gigantische Flüchtlingsbewegung wird einzig und allein das Asad-Regime verantwortlich gemacht. Dass auch Christen, Alawiten, Schiiten und allgemein Leute, die als Sympathisanten des Regimes verdächtigt werden, massenhaft ethnischen und politischen „Säuberungen“ zum Opfer fallen, wird von den meisten Medien souverän ignoriert.
Schon vor Jahresfrist berichteten Korrespondenten, dass mehr als hunderttausend Christen Syrien verlassen hätten. Nach der Sprachregelung der meisten Medien fliehen sie nicht vor den sogenannten Rebellen, sondern „vor dem Krieg“. So abstrakt formuliert ist das problemlos.
Wollte man konkreter werden, könnte der Mythos kollabieren, demzufolge Asad der Böse und die Aufständischen die Guten sind, die Holzschnitt-Darstellung der Ereignisse käme ins Wanken, die Welt würde in Syrien zu kompliziert für die News-Konsumenten und die Klientel der rasend schnellen News-Fabriken.
Cameron, der Feldherr
Wenn die syrische Armee Stellungen der Aufständischen bombardiert, erhebt sich allenthalben ein lautes Jammern über Menschenrechtsverletzungen, wenn dagegen die Aufständischen in Damaskus halbe Wohnviertel in die Luft jagen, bedauert man – mit abstrakter und scheinheiliger Rhetorik – die „Eskalation der Gewalt“.
Die Waffenlieferungen an die Aufständischen laufen – soweit bekannt ist – seit Beginn des Konfliktes. Vieles deutet darauf hin, dass in der Obama-Administration einmal mehr diejenigen Seilschaften die Oberhand gewinnen, die glauben, man könne politisch heikle Probleme mit massiver militärischer Gewalt lösen. Dabei weiss Washington die anderen NATO-Staaten an seiner Seite. In Grossbritannien lässt David Cameron keine Gelegenheit aus, den Feldherrn zu spielen, und die Deutschen haben bereits Patriot-Raketen in der türkisch-syrischen Grenzregion stationiert.
Langer Konflikt mit ungewissem Ausgang
Man hofft – unter nonchalanter Ignorierung der Faktenlage - auf einen baldigen Sturz des Asad-Regimes und tendiert dazu, die Sache kurzerhand so zu erledigen, wie sie in Libyen erledigt oder scheinbar erledigt wurde. Dort wurde mit NATO-Bomben das Gaddafi-Regime gestürzt, was mit brutalen Vertreibungen und Verfolgungen der Touareg und anderer Gaddafi-Anhänger einherging. Die mittelbare Folge war der Aufstand der Touareg und die Destabilisierung Malis sowie das Erstarken islamistischer Gruppen in der zentralen Sahara-Region.
Dass ein paar hundert französische Fallschirmjäger und Fremdenlegionäre dort in Kürze aufräumen könnten, ist eine Illusion. Das sagen sogar warnende Stimmen in der französischen Armee. Die Franzosen wissen – spätestens seit ihrem Rückzug aus Indochina und Algerien - dass asymmetrische Kriege dieser Art von einer Besatzungs-Armee kaum zu gewinnen sind. Siehe Vietnam, siehe Afghanistan, siehe Irak, siehe Somalia und so weiter. Auch intensive Beschwörungsformeln aus Paris und das unsäglich dumme Body counting („Erneut wurden 25 Terroristen getötet“) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in der Sahara ein langer militärischer Konflikt mit ungewissem Ausgang entwickelt.
Afghanistan - warnendes Beispiel
Libyen seinerseits ist nach der NATO-Intervention ein Land in der Anarchie, in dem Stammes-Milizen sich die Macht streitig machen, während die Regierung in Tripolis weder Rechtssicherheit noch eine landesweit funktionierende Exekutive herstellen kann.
Die geheimen – oder nun nicht mehr ganz geheimen - Waffenlieferungen an den syrischen Aufstand sind für viele von uns älteren Journalisten ein déjà vu. In den achtziger Jahren lieferte die amerikanische CIA mit saudiarabischer Finanzhilfe Stinger-Luftabwehr-Raketen und andere hochwirksame Waffen an die Mudschaheddin in Afghanistan. Kanalisiert wurde die Operation über den pakistanischen Geheimdienst. Es galt, die Russen aus Afghanistan zu vertreiben - psychologisch für die USA eine Art Kompensation der Niederlage in Vietnam.
Nach dem Abzug der Sowjet-Truppen tobte von 1988 bis in die neunziger Jahre ein Bürgerkrieg der verschiedenen Warlords. Aus diesem Konflikt gingen am Ende die Taliban als Sieger hervor und errichteten einen islamischen Gottesstaat. Auch die Taliban waren mit pakistanisch-amerikanischer Unterstützung aufgebaut worden. Heute kontrollieren sie weite Teile von Afghanistan und werden – das ist vorauszusehen – nach dem kläglichen Abzug der Amerikaner und ihrer Verbündeten das Karzai-Regime in Kabul hinwegfegen.
Gewaltsamer statt demokratischer Wandel
Ein ähnlich abschreckendes Beispiel ist der Irak. Dort haben die Amerikaner nach ihrem Einmarsch die sunnitischen Anhänger von Saddam Hussein entmachtet und die Schiiten in Bagdad an die Macht gebracht. Zehntausende sunnitischer Offiziere und Funktionäre der Baath Partei verloren ihren Job und wurden verfolgt und in den Untergrund gedrängt. Der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten ist bis heute ungelöst und schlägt sich Tag für Tag in immer neuen blutigen Auseinandersetzungen nieder.
All diesen militärischen Abenteuern unter amerikanischer Führung ist ein Prinzip gemeinsam, das da lautet: Warum auf langwierige Demokratisierungs-Prozesse setzen, wenn man einen schnellen Machtwechsel mit militärischer Gewalt erreichen kann! Die Ergebnisse dieser kurzsichtigen Strategie sind katastrophal. Denn ein Krieg hinterlässt soviel Traumata, Hass und Rachedurst in einer Gesellschaft, dass Frieden und demokratische Entwicklung für Jahrzehnte blockiert sind.
Wandel braucht Zeit
Eine Land wie Marokko, wo der arabische Frühlings nicht viel mehr als lauwarme Luftbewegungen in der Monarchie ausgelöst hat, kann auf mehr Chancen für eine Demokratisierung hoffen als Libyen oder Syrien, wo der Aufstand von Beginn an auf einen gewaltsamen Machtwechsel gesetzt hat.
Darüber hinaus zeigen die desolaten Erfahrungen in Afghanistan und im Irak eines mit absoluter Klarheit: Demokratie kann nicht aus zehntausend Metern Höhe in Form von Bomben abgeworfen oder durch den Einsatz von Kampf-Drohnen eingeführt werden.
Nach einem militärischen Sturz der Regierung Asad ist zu befürchten, dass ein Bürgerkrieg zwischen verschiedenen Warlords und Kriegsparteien entsteht, der zwangsläufig auf die umliegenden Länder übergreift. Vor diesem Szenario warnen renommierte Experten nicht nur in den arabischen Ländern, sondern auch in den USA und Europa. Die Waffenlieferungen an syrische Aufständische sind kein Schritt in Richtung auf eine Verhandlungslösung, sondern ein Schritt in Richtung auf ein neues Afghanistan.