Neujahr ist, unvermeidlich, die Zeit der Bestenlisten, der Aufzählung der Ersten des vergangenen Jahres. Da äussert sich der Urtrieb des Menschen, Noten zu verteilen und Einzelnem sowie Einzelnen, egal ob aufgrund objektiver oder subjektiver Kriterien, den gebührenden Platz zuzuweisen. Oder wie es eine deutsche Kabarettistin sagt: Lehrer ist kein Beruf, sondern eine Diagnose.
Die Liste der jährlichen Bestenlisten ist lang und wird immer länger: die besten Bücher, die besten Filme, die besten Fernsehprogramme, die besten Podcasts, die besten Konzerte, die besten Musicals, die besten Operninszenierungen, die besten Theateraufführungen. Soweit lediglich und unvollständig die Kultur.
Nicht zu vergessen der Konsum: die besten Autos, die besten Fahrräder, die besten Skis, die besten Airlines, die besten Hotels, die besten Feriendestinationen, die besten Restaurants, die besten Handys, die besten Kopfhörer, die besten Laptops.
Und nicht zu vernachlässigen die menschliche Spezies: die besten Ärzte, die meistverfolgten Influencer, die angesagtesten Köche, die einflussreichsten Politiker, die cleversten Manager, die schönsten Prominenten, die erfolgreichsten Sportler, die nettesten Wohltäter. Und und und. Die Liste lässt sich fast beliebig verlängern.
Bestenlisten sind ein gefundenes Fressen für Zeitungen. Ein Kolumnist der «Washington Post» zählt die zehn besten Dinge auf, die Donald Trump 2019 gemacht hat. Am besten: Der Präsident hat so zügig wie kaum einer vor ihm konservative Richter ernannt. Fairerweise nennt Marc A. Thiessen in einer zweiten Kolumne auch die zehn schlechtesten Dinge, die Trump getan hat. Am schlimmsten: Sein Rückzug aller US-Truppen aus Syrien stoppt Amerikas Druck auf die Terroristen.
Die Presseorgane können es nicht lassen, auch sich selbst zu benoten. Die «New York Times» zum Beispiel listet zu Neujahr die 100 bestgelesenen Artikel des Jahres 2019 auf. Auf Platz 1: «Wer will 2020 Präsident werden?». Eine gute Frage, zumindest was die Demokraten betrifft. Auf Platz 2: «Die derzeit 50 besten Filme auf Netflix». Nicht von Hollywood gesponsert. Und auf Platz 3: «Das britisch-irische Dialekt-Quiz». Eine Fingerübung für Leser von James Joyce.
Das Weltblatt teilt auch mit, wo überall es im vergangenen Jahr vor Ort war: «12 der beliebtesten Depeschen aus den 4 Ecken der Erde». Zuoberst aus Indien: «Beim Warten auf den Monsun einen Hirntumor entdeckt». Oder später aus Japan: «Die richtige Antwort? 8’186’699’633’530’061 (Ein Abakus lässt das beinahe leicht aussehen)». Beide Depeschen, keine Frage, machen neugierig.
Neben allem Selbstlob mangelt es der «Times» nicht an Selbstkritik. Die Zeitung publiziert «die besten Korrekturen 2019», von lästigen Druckfehlern bis hin zum Umstand, die Anzahl der Bakterien auf einem Toilettensitz masslos überschätzt zu haben. Sie entschuldigt sich auch dafür, das Zitat eines Historikers unkritisch übernommen zu haben, welches dieser – unbelegt – Mark Twain zuschrieb: «Politiker und Windeln müssen häufig gewechselt werden und zwar aus demselben Grund.» Auch kein Ruhmesblatt die Korrektur mehrerer Fehler in einem Beitrag des «Style Magazine» über den «perfekte Fischermantel». Mit 189 Wörtern war die Berichtigung mehr als halb so lang wie der gesamte Artikel.
Nun bietet das neue Jahr die Chance, 2020 alles zu unternehmen, um es auf eine Bestenliste zu schaffen. Um endlich zu werden, was Tina Turner so schön besingt: «You’re simply the best, better than all the rest, better than anyone, anyone I ever met». Und um im neuen Jahr auf der Statusleiter gezielt aufzusteigen – immer eingedenk der zeitlosen Erkenntnis von Karl Valentin: «Früher war sogar die Zukunft besser.»