Wer sich dieser Tage in Paris aufhält, sollte sich unbedingt die Zeit für einen Besuch der Place de la République nehmen, um sich abends, nachts unter die Protagonisten der „Nuit debout“ zu mischen, die dort seit gut einem Monat gestikulieren und reden. Ob da schon eine Art Agora entstanden ist, ein Platz und eine kollektive Stimme von Bedeutung für den Staat, wie das vor allem die Zeitung „Libération“ und andere linke Medien gerne hätten, muss bezweifelt werden. Zu klein, zu disparat nimmt sich die stark studentisch imprägnierte Bewegung aus, die sich hier Abend für Abend manifestiert. Trotzdem: der Eifer, der Idealismus und vor allem die Eloquenz, mit der junge Frauen und Männer das Wort ergreifen, um über weltbewegende Themen zu reden, Oekologie, Oekonomie und Klima, Krieg und Gewalt, Arbeit und Bildung, die Virulenz von Rede und Gegenrede – das vermag zu beeindrucken. Man erlebt Politik, Gesellschaftsanalyse und entsprechende Kritik gewissermassen körperlich. Das ist doch ganz was anderes, als mit dem Handy in den sogenannten sozialen Medien herumzusurfen und mit ein paar Klicks irgendeine Behauptung zu liken oder zu disliken, die einer abgegeben hat. Man muss natürlich an Macht und Ueberzeugungskraft des Worts glauben, wenn man sich die Statements auf der Place de la République anhört. Denn umgesetzt in Taten wird wohl nichts. Praxistaugliche Forderungen werden wenige gestellt, ins soziale Gefüge integrierte Alliierte nicht wirklich gesucht; man bleibt unter sich. „Nuit debout“ will (vorderhand?) keine Strukturen, vor allem keine Hierarchien, keine Wortführer. Das Stehen und Sitzen auf einem symbolträchtigen Platz, unter der überlebensgrossen Marianne-Figur, um öffentlich gegen verkalkte Strukturen, prekäre Entwicklungen, besorgniserregende Verhältnisse im Staat, in der Welt anzudenken und anzureden hat etwas Anregendes und Befreiendes. Auch wenn es folgenlos bleibt.
Die Aufrechten
Wortgewaltig, tatenarm und eindrücklich