Wie soll die Schlange aussehen in Mozarts «Zauberflöte», die Tamino verfolgt und in Ohnmacht fallen lässt? Welche Gestalt sollen der Waldvogel und der Lindwurm erhalten in Wagners «Siegfried»? Wie soll man die Vögel fliegen, sitzen und zwitschern lassen, die in Messiaens «Saint François d’Assise» eine so wichtige Rolle spielen? Um nur wenige Herausforderungen für den Umgang mit Tieren auf der Opernbühne zu nennen!
Da in den Märchen Tiere sich wie Menschen verhalten und auch wie diese sprechen, kann man natürlich Sängerinnen und Sänger in Tierkostüme stecken und diese in Bewegungen und Gebärden sich artgerecht auf der Opernbühne benehmen lassen. Und weil im Ballett weder gesungen noch gesprochen wird, klappt dies dort besonders gut, wie wir in Tschaikowskys «Schwanensee» und Strawinskys «Der Feuervogel» immer wieder erfahren.
Wer aber eine ganze Menagerie auf die Bühne bringen will, etwa die Tierwelt, die sich in einem Wald tummelt, muss gut überlegen, wie er dies anstellen will. Wie soll er Fuchs und Dachs, Igel und Eichhörnchen, Eule, Specht und Frosch samt der reichlich schwirrenden Insektenwelt über die Bühne huschen und flattern lassen?
Der Traum eines alternden Komponisten
Leoš Janáček (1854–1928) war ein bereits bekannter und erfolgreicher Komponist, als er 1921 beschloss, eine Oper zu schreiben, in welcher neben einigen ziemlich skurrilen Exemplaren der Gattung «homo sapiens» vor allem Tiere auftreten sollten. Obwohl beruflich vor allem im mährischen Brünn (Brno) tätig, war es seine Gewohnheit, die sommerliche Ferienzeit mit seiner Familie auf dem Land zu verbringen, insbesondere in Hukvaldy (zu deutsch: Hochwald), seinem Geburtsort, wo er ein Sommerhaus hatte. Janáček war ein Naturfreund und liebte es, mit dem Wildhüter und Förster der Region in aller Herrgottsfrühe durch die Wälder der näheren Umgebung zu streifen, um Tiere zu beobachten und um in den Morgenstunden die Atmosphäre eines erwachenden Waldes zu geniessen.
Wir wissen auch, dass der Komponist, der bereits auf die 70 zuging, sich 1917 in eine verheiratete und um 37 Jahre jüngere Frau verliebt hatte, die seinem an Gewohnheit und ehelicher Reizbarkeit leidenden Familienleben neue Begeisterung und frische Lebenslust einhauchte. Dieser Kamilla Stösslová verdankt die Musikwelt die glühendste Liebesmusik eines alternden Komponisten, die man sich vorstellen kann. Die beglückende Liebeserfahrung im höheren Alter ist auch offen in den zahlreichen Briefen dokumentiert, die Janáček an seine geliebte Kamilla in dieser Lebensphase schrieb.
Die Entstehung von Janáčeks Tieroper ist auch deshalb ungewöhnlich, weil sie auf eine Fortsetzungsgeschichte in einer Lokalzeitung zurückgeht, bei der ein mährischer Maler unter dem Titel «Die Abenteuer der Füchsin Schlaukopf» (tschechisch «Bystruška») Bildminiaturen lieferte, zu denen ein mährischer Schriftsteller die Legenden verfasste und lieferte. Später arbeitete dieser Schriftsteller namens Rudolf Těsnohlídek die Bildlegenden zu einer zusammenhängenden Erzählung aus, die illustriert mit den populär gewordenen comic-artigen Miniaturen des Malers Stanislav Lolek 1921 auch als Buch erschien. Janáček wurde durch die Haushilfe der Familie auf die Serie aufmerksam, welche die Tageszeitung ihrer Herrschaft immer erst auslieferte, nachdem sie zuerst selbst lesend erfahren hatte, wie es mit den Abenteuern der schlauen Füchsin von Tag zu Tag weiter ging.
Eine symbolträchtige Geschichte
Der Komponist war von den beschriebenen und bebilderten Abenteuern zwischen Menschen und Tieren geradezu begeistert und einigte sich mit dem Schriftsteller, dass er selbst aus den Szenen dieser Geschichte das Libretto verfertigen wolle. Mit Ausnahme eines Liedtextes im 2. Akt über Veronika – eine alternde Frau, deren Schönheit wie die Nadeln einer Lärche im Spätherbst abfällt und dahin ist – stammen Text und Musik von Janáček selbst. Es ist – wie Musikliebhaber weltweit bekunden – eine Geschichte mit einer Musik von ganz eigenartig intimem Zauber und von einer Schönheit, die uns bis heute sprachlos macht.
Janáček vermischt Menschen und Tiere in wunderlicher Weise, wobei die Tiere in den allermeisten Szenen die weit bessere Figur machen als die Menschen. Der Jagdaufseher samt Ehefrau, der Schulmeister, der Pfarrer, der Landstreicher und der Wirt: allesamt höchst schrullige, vom Leben enttäuschte, verbitterte Figuren, die im Wirtshaus bei Bier und Kartenspiel die Lebensunlust vertreiben und sich nur in einem einig sind: dass die Erinnerungen an das erträumte Liebesglück ihrer Jugend die einzige Illusion ist, die ihrem Leben noch ein bisschen Schwung und Kraft verleiht.
Dagegen ist die Welt der Tiere bunt und munter, frisch und frech in jeder Beziehung. Janáček hat in geradezu fabelhafter Stimmverteilung zwischen Kindern und Erwachsenen den alten Dackel des Försters, den Hahn und die Legehennen der Försterin, den brummigen Dachs in seiner Höhle, Herrn und Frau Fuchs mit ihrer Kinderschar, die Vogelwelt, aber ebenso Grille, Heuschreck, Frosch und Libelle charakterisiert. Überströmende Lebensfreude herrscht in der Tierwelt, und wer Ohren hat zu hören, vernimmt – etwa bei den Ballettszenen in den Sonnenlichtungen des Waldes – die geradezu filigrane Schönheit eines in Musik verwandelten Naturzaubers.
Leben, sterben, wiedergeboren
Ziemlich vollständig hat Janáček hier die verschiedenen Lebensphasen in Musik gesetzt: Die junge unerfahrene Füchsin Schlaukopf wird gefangen, der Förster möchte sie zum Spielzeug seiner Kinder machen, doch ihre Natur bricht durch: sie macht dem Hahn und den Hennen der Försterin den Garaus, beisst die Kordel ihrer Gefangenschaft durch, kommt zurück in den Wald, vertreibt dort den Dachs aus seiner Höhle, verliebt sich in einen jungen Fuchs, wird von Specht und Eule in einer Hochzeitszeremonie getraut, bekommt eine reiche Kinderschar, wird vom Landstreicher, der auch ein wildernder Jäger ist, an ihrem Lebensende erschossen.
Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Die Oper – bestehend aus 3 Akten und 9 Szenen – schildert in der Schlussszene wie der Förster als frisch Verliebter mit seiner Geliebten in seinen jungen Jahren durch den Wald ging und vor lauter Umarmungen und Küssen die Pilze im Waldboden zertrat. Jetzt ist es anders, doch im Wald empfindet er nach wie vor das, was man als das verbleibende Lebensglück bezeichnen kann. Er legt sich hin, um ein Nickerchen in der Abendsonne zu machen. Im Halbschlaf und Traum tanzen für ihn Nymphen, die das Glück wie Morgentau auf die Erlebenden ausstreuen. Er erwacht und entdeckt eine junge Füchsin, die der von ihm einst gefangenen «aus dem Gesicht geschnitten» scheint.
Der Förster streckt die Hand aus, erwischt jedoch einen kleinen glitschigen Frosch, der ihm stotternd kundtut, er sei nur der Enkel jenes Frosches, der dem Förster bereits in der Anfangsszene der Oper auf der Nase herumtanzte. Das Leben blüht weiter, jedenfalls im Wald und bei den Füchsen und den Fröschen.
Das Werk war bei der Uraufführung 1924 in Brünn ein grosser Erfolg, anfänglich auch in den Nachbarländern, obwohl es zunächst in das Original stark verfälschenden Fassungen zur Aufführung kam. Seine eigentlichen Qualitäten wurden aber der nicht tschechischen Welt erst erfahrbar nach der epochemachenden deutschsprachigen Neufassung von Felsenstein 1956 an der Komischen Oper in Berlin. In unserer Zeit ist «Das schlaue Füchslein» – wie die Oper oft ungenau auf deutsch benannt wird – zu einem der meistaufgeführten Bühnenwerke von Janáček avanciert. Selten hat die Tonkunst die Natur schöner verherrlicht, als es in diesem Meisterwerk geschieht.
Die Oper zeichnet sich auch durch ausserordentlich eindrucksvolle Orchesterinterludien zwischen den einzelnen Szenen aus. Im Jahr 1937 hat der tschechische Dirigent Václav Talich aus diesen und anderen Teilen der Oper eine Orchestersuite zusammengestellt, die sich grosser Beliebtheit erfreut. Das führte dazu, dass die einzigartige Schönheit dieser Musik wohl häufiger noch im Konzertsaal als auf der Bühne zu erfahren ist.
Wir hören und sehen hier die Schlussszene der Oper in einer Realisierung von Nicolas Hytner für das Théâtre du Châtelet in Paris aus dem Jahr 1995. Den Förster singt der Bass-Bariton Thomas Allen. Am Pult des Orchestre de Paris steht der Janáček-Spezialist Sir Charles Mackerras.